Seit 1960 werden im Fussball die Europameisterschaften durchgeführt. In den bisher 15 Turnieren gab es natürlich auch viele Aufreger. Wir haben die zehn grössten Skandale des Wettbewerbs zusammengetragen.
Englands Wut auf Schiedsrichter Urs Meier
Im Viertelfinal Portugal gegen England (8:7 n.P.) bei der EM 2004 annulliert Schiedsrichter Meier in der 90. Minute den vermeintlichen Siegtreffer der Three Lions – nicht der Torschütze Sol Campbell, sondern John Terry hat den Keeper der Einheimischen behindert.
Meiers (gerechtfertigter) Pfiff sorgt auf der Insel für rote Köpfe. Der englische Boulevard veranstaltet eine beispiellose Hasskampagne – der damals 45-Jährige wird zum Sündenbock gestempelt. «What An Urs Hole», geifert der «Daily Star». Für die «Sun» ist der korrekte Schweizer einfach nur der «Swiss Banker». Wer der englischen Sprache mächtig ist, versteht sicher die Andeutung ...
Die Treibjagd geht aber noch weiter. So erhält Meier 16'000 (!) E-Mails aus England. Sein Haushaltswaren-Geschäft in Würenlos wird mit 5000 Telefon-Anrufen belästigt.
Nach einigen Morddrohungen muss Meier auf Anraten der Polizei sogar untertauchen. Seit knapp zehn Jahren lebt Meier, der auch für «blue Sport» als Champions-League-Experte im Einsatz ist, an der spanischen Costa del Sol in Marbella – in friedlicher Koexistenz mit den amtlich gut 5000 registrierten Briten.
Spucken mit Alex Frei ...
2004 bei der EM in Portugal hält die Spuck-Affäre um Alex Frei die (Fussball-)Schweiz in Atem. Der in der Qualifikation so treffsichere Stürmer (fünf Tore) erzielt beim Turnier nur einen einzigen Treffer. Beim zweiten Gruppenspiel landet seine Spucke im Nacken von Steven Gerrard. Rund 24 Stunden lang bekommt es keiner mit.
Dann tauchen, auch mithilfe von SRF, TV-Bilder auf, die Frei entlarven. Und mit ihm die Spitze des SFV. Diese hatte sich um Kopf und Kragen gelogen und den Spieler angeblich zur Falschaussage ermuntert. Das kreativste Argument der Verteidigung: Frei habe nicht gespuckt, sondern zu Gerrard bloss mit feuchter Aussprache «putain» («Hure») gesagt.
Der damalige Rennes-Profi wird für sein Spucken mit einer Sperre von drei Spielen belegt. Nach seinem Rücktritt gestand er: «Das Einzige, was ich bereue, ist diese Spuckgeschichte.»
... und Francesco Totti
Am gleichen Turnier sorgt auch die grosse italienische Stürmer-Hoffnung Francesco Totti mit seinem Lama-Verhalten für Kopfschütteln. Zwar sanktioniert der Schiedsrichter die Spuck-Attacke im Auftaktspiel gegen Dänemarks Christian Poulsen nicht, Totti wird dank der zahlreichen TV-Kameras dennoch überführt und mit drei Spielsperren bestraft. «Ich bin tief betroffen und bitte um Verzeihung», bereut die Roma-Legende danach sein Vergehen.
Koeman simuliert WC-Papier
Die Niederlande erlebt bei der EM 1988 ihr Märchen – Torschützenkönig Marco van Basten schiesst im Final gegen die UdSSR mit seiner Direktabnahme aus spitzem Winkel das wohl schönste Tor der EM-Geschichte. Während in der Offensive van Basten mit Captain Ruud Gullit wirbelte, hielten hinten Frank Rijkaard und Ronald Koeman dicht.
Doch der heutige Barça-Trainer sorgt im Halbfinal mit einer unschönen Aktion für rote Köpfe. Nach dem 2:1-Sieg im Hamburger Volksparkstadion gegen den ungeliebten Rivalen aus Deutschland (Olaf Thon: «Damals der pure Hass») wischt sich der Abwehrchef nach dem Trikot-Tausch mit Thon demonstrativ mit dessen Jersey seinen Hintern ab. Ein Eklat, welcher Koeman später auch öffentlich bereut. Die Episode ist seither tief in das Gedächtnis der beiden Nachbarstaaten eingebrannt.
Erpressungsaffäre um Benzema
Bereits vor Turnierbeginn der EM 2016 bebt es in Frankreich: Stürmerstar Karim Benzema wird beschuldigt, zusammen mit seinem mehrfach vorbestraften Kumpel Karim Zenati seinen Nationalmannschaftskollegen Mathieu Valbuena erpresst zu haben. Die beiden waren im Besitz eines Sextapes, auf dem Valbuena zu sehen war und drohten ihm, es zu veröffentlichen. Das geforderte «Schweigegeld» beträgt 150'000 Euro. Benzema und seine Anwälte wehren sich vehement gegen die Vorwürfe.
Die Staatsanwaltschaft lässt ermitteln, dem Real-Profi droh(t)en fünf Jahre Haft. Bei den bisherigen Untersuchungen kann Benzema aber – zumindest juristisch – kein grobes Fehlverhalten nachgewiesen werden. Der nächste Gerichtstermin steht im kommenden Oktober an. Der Vorfall führt damals zum Rauswurf des 28-Jährigen. Er verpasst nicht nur die Heim-EM 2016, sondern auch den WM-Titel der «Tricolore» 2018 in Russland. Doch nun scheint die unsägliche Geschichte trotzdem ein gutes Ende zu nehmen. So bot Nati-Coach Didier Deschamps überraschend den lange verschmähten Torjäger für die kommende EM auf.
Brutale Krawalle in Marseille
Bei der EM 2016 liefern sich nach der Partie zwischen England und Russland in Marseille die Anhänger der Mannschaften im und ausserhalb des Stadions grobe Auseinandersetzungen – mit einigen Schwerverletzten.
Der Sport gerät durch die russischen und englischen Horden zum Nebenschauplatz. «L'Equipe» titelte nach den kriminellen Exzessen: «La Honte» (die Schande).
Die UEFA zeigt den beiden Nationalverbänden die Gelbe Karte und droht sogar, bei weiteren Vorkommnissen der Fans mit dem Ausschluss einer Mannschaft oder sogar beider Mannschaften aus dem Turnier. Auch bei der Partie zwischen Deutschland und der Ukraine kommt es zu Tumulten.
Die Festnahme der Fans führt noch zu diplomatischen Spannungen zwischen Russland und Frankreich. Igor Lebedew, Vizepräsident des russischen Parlaments und hochrangiger Funktionär im Fussballverband, spornte die russischen Heisssporne sogar weiter an. «Ich kann nichts Schlimmes an kämpfenden Fans finden», so Lebedew. «Im Gegenteil: Die russischen Fans schlagen sich gut – weiter so!»
Dramatisches Spiel mit unschönem Ende
Bei der EM 2000 sind Stars wie Luís Figo oder Rui Costa auf dem Zenit ihres Könnens. Der ehemalige Basler Meistertrainer Paulo Sousa gibt den Anführer und Strategen, der junge Stürmer Nuno Gomes ist mit vier Toren die Entdeckung des Turniers. In der Gruppenphase schlägt das Team Deutschland (3:0) und England (3:2), im Halbfinal ist dann auf besonders bittere Weise gegen Frankreich Schluss. Auch diesmal führt Portugal mit 1:0, ein Tor von Thierry Henry rettet den Weltmeister in die Verlängerung. In der 117. Minute wehrt Verteidiger Abel Xavier den Ball im eigenen Strafraum aus kurzer Distanz mit der Hand ab. Schiedsrichter Günter Benkö zeigt zu Recht auf den Elfmeterpunkt. Zinédine Zidane verwandelt den Penalty. Das «Golden Goal» bringt den Weltmeister ins Finale.
Nach dem Schlusspfiff entlädt sich die Wut bei den Verlierern. Die portugiesischen Spieler bedrängen den Österreicher, Nuno Gomes bespuckt ihn sogar. Die Täter werden danach für mehrere Monate von der UEFA gesperrt (Xavier neun Monate, Gomes acht, Bento sechs).
Kurz vor Spielende kommt es zu einem weiteren Zwischenfall. Der notorische Flitzer Jimmy Jump stürmt auf das Spielfeld und bewirft Luís Figo mit einer Barcelona-Flagge – kurz vor Turnierbeginn wird sein Transfer zum Erzrivalen Real Madrid angekündigt. Der Störefried springt anschliessend noch ins Tornetz. Bis ihn die Ordner überwältigen und den ehemaligen Immobilienmakler vom Spielfeld tragen können, vergehen stolze zwei Minuten.
Die teuerste Unterhose der Welt
Bei der EM 2012 feiert Nicklas Bendtner sein Tor gegen Portugal, indem er sein Trikot hochzieht – darunter blitzt gut sichtbar seine grüne Unterwäsche hervor, der Bund mit einem grossen «Paddy Power»-Logo versehen. «Paddy Power» ist ein irisches Wettunternehmen.
Die UEFA findet die Werbe-Einlage wenig(er) lustig und bestraft den Dänen neben einer Spielsperre mit 100'000 Euro Bussgeld. Die Ausführungen des Übeltäters – Bendtner beteuert, er trage die Shorts als Glücksbringer – finden bei der Disziplinarkommission kein Gehör.
Immerhin muss der Stürmer die happige Strafe nicht selbst begleichen, das Unternehmen übernimmt die Busse. Die Episode gehört in die dicke Skandal-Akte des Exzentrikers – er bekam nicht zufälligerweise den Spitznamen «Lord» verpasst – des heute 33-Jährigen. Anfang Juni gab Bendtner seinen Rücktritt als Spieler bekannt. Sein nächstes Ziel: Trainer werden.
«Trikot-Gate» – der zerrissene Puma
2016 fallen im letzten EM-Gruppenspiel der Schweiz gegen Frankreich zwar keine Tore, aber im einen oder anderen Fall die rotweisse Hülle. Die hautengen und speziell atmungsaktiven, von ausgesuchten Designern entworfenen Dresses von Ausrüster Puma halten dem Belastungstest nicht stand.
Innert Kürze kursieren im weltweiten Netz Scherze über die Schweizer Kleiderfetzen. Über dem Hersteller mit Sitz in Herzogenaurach braut sich ein Twitter-Gewitter zusammen, die Häme verbreitet sich rasend schnell.
In der deutschen Puma-Zentrale reagieren die Verantwortlichen sofort. Nach stundenlangen Abklärungen folgt das Communiqué zum Materialproblem des EM-Tages: Während der Produktion beschädigte Garne hätten den exquisiten Stoff der Schweizer Fussball-Nation beeinträchtigt. Der «Trikot-Gate» war für das Image des Sportartikel-Giganten sicher nicht förderlich.
Der Tag, an dem das Bild ausfiel
Von der «ärgerlichsten anzunehmenden Panne» spricht der deutsche TV-Sender ZDF nach dem EM-Halbfinal 2008 zwischen Deutschland und der Türkei. In der 56. Minute beim Stand von 1:1 fällt plötzlich das Bild aus. Bei allen übertragenden Sendern ist wie beim ZDF bloss noch der Hinweis auf den Bildausfall und die Bitte um Geduld zu sehen. Sechs lange Minuten dauert der Blackout, danach läuft die Übertragung wieder eine knappe Viertelstunde lang, bevor sie für die meisten TV-Sender fast komplett zum Erliegen kommt.
Grund für die technischen Probleme ist ein Gewitter über Wien, wo die Bilder von der UEFA im Internationalen Fernsehzentrum IBC produziert werden. Das Notfallsystem sei nicht angegangen, erklärt der europäische Verband später und sprach von sehr seltenen «Mikroausfällen» in der Stromversorgung. Davon nicht betroffen ist das Schweizer Fernsehen, dass dank einer Glasfaser-Direktverbindung sein eigenes Bild produziert.
In Deutschland, wo das Interesse selbstredend besonders gross ist, stellt sich die Glasfaser-Direktverbindung des SRF als grosses Glück heraus. So kann wohl die «super ärgerlichste anzunehmende Panne» verhindert werden. «Als wir von den Problemen hörten, stellten wir unser Signal sofort dem ZDF und der Europäischen Rundfunkunion zur Verfügung», so das Schweizer Fernsehen. Das ZDF nahm dankend an und kann nach sechs Minuten Radiokommentar per Telefon wieder Bilder zeigen.
Das ZDF verpasst keines der Tore, Deutschland gewinnt 3:2. Doch der Ärger bei den deutschen TV-Produzenten ist gross, weil wohl ein Zuschauerrekord verpasst wurde. 29,54 Millionen verfolgten die Übertragung im Schnitt, knapp weniger als beim Bestwert vom WM-Halbfinal 2006 zwischen Deutschland und Italien. Womöglich sehen sich einige die Übertragung aber auch deshalb an, weil sie ausserordentlich war. In der 76. Minute nimmt Kommentator Béla Réthy das 2:1 der Deutschen vorweg, weil seine Telefonverbindung dem Bild voraus ist.
Die UEFA entschädigt die TV-Sender, die dazu verpflichtet sind, das Signal vom IBC zu übernehmen. Nur das Schweizer Fernsehen hatte für die Heim-EM 2008 eine Ausnahmeregelung aushandeln können.
Anm. d. Red.: Einige Geschichten mit Material von Keystone-SDA ergänzt