Der Viertelfinal gegen Spanien könnte das letzte Spiel in der Karriere von Toni Kroos werden. Der deutsche Spielmacher zeigt sich jedoch gewohnt selbstbewusst und siegessicher.
Toni Kroos sitzt auf dem Pressepodium im deutschen Team-Camp in Herzogenaurach, hie und da huscht ihm ein Lächeln übers Gesicht. Die Fragen der zahlreichen Reporter überraschen ihn nicht, wie immer ist er auf alles vorbereitet, beantwortet professionell eine Frage nach der anderen, am Ende auch auf Spanisch. Die Ruhe selbst, so wie auf dem Platz. Dabei hätte der 34-Jährige allen Grund, nervös zu sein.
Die fehlende Anerkennung in der Heimat
Denn nach der EM ist Schluss, beendet Kroos seine glanzvolle Karriere. Sein letztes Spiel auf Klubebene bestritt der Deutsche Anfang Juni. Mit Real Madrid gewann er zum fünften Mal die Champions League. Standesgemäss, könnte man sagen. Weil schlicht alles zu Gold wird, was Kroos anfasst, was er mit seinen weissen Fussballschuhen berührt. 34 Titel stehen in seiner Vita – kein anderer deutscher Spieler hat mehr Trophäen gewonnen.
Während Kroos in seiner Wahlheimat Spanien stets grosse Anerkennung erhielt, wurde er in Deutschland auch kritisch beäugt. Insbesondere in München, wo seine Karriere einst Fahrt aufgenommen hatte, man sich 2015 jedoch nicht über eine Vertragsverlängerung einig wurde und ihn zu Real Madrid ziehen liess. In der deutschen Öffentlichkeit wurde Kroos gerne als «Querpass-Toni» bezeichnet, als Spieler angesehen, der für Verlangsamung steht statt Tempo, für Sicherheit statt Risiko.
Uli Hoeness, einst Förderer von Kroos bei den Bayern, machte den Norddeutschen für das EM-Aus vor drei Jahren verantwortlich, sagte nach dem verlorenen Achtelfinal gegen England: «Toni Kroos hat mit seinem Querpass-Spiel in diesem Fussball nichts mehr verloren.» Seine Zeit, seine Art zu spielen, sei «total vorbei», so der Weltmeister von 1974. Er habe während der Endrunde keinen anderen Spieler gesehen, der diese Art des Fussballs zelebriere.
Passmonster und Metronom
Nun, drei Jahre später, ist Kroos der Heilsbringer für Deutschland. Bundestrainer Julian Nagelsmann bewegte den Mittelfeldstrategen zum Rücktritt vom Rücktritt, den Kroos nach der letzten EM erklärt hatte. Mit dem Madrilenen kam der Schwung zurück in die bis dato lethargisch wirkende deutsche Elf. Nur acht Sekunden brauchte Kroos beim Comeback, um seinen ersten Assist zu verbuchen. Das Blitztor gegen Frankreich und der darauffolgende Sieg gegen die Niederlande sorgten zum richtigen Zeitpunkt für Aufschwung im Gastgeberland. Seit Kroos wieder mit dem Adler auf der Brust aufläuft, hat Deutschland kein Spiel mehr verloren.
An der Heim-EM, seinem letzten Auftritt auf der grossen Bühne, brillierte Kroos bislang. 416 seiner 435 Pässe (95,75 Prozent) kamen beim Mitspieler an, dabei spielte er den Ball nicht nur kurz und quer, sondern auch weit und vertikal. Kein anderer Spieler kommt auch nur annähernd an seine Zahlen heran. Auch nicht Granit Xhaka, der bei 280 Pässen eine Quote von 89,3 Prozent ausweist. Kroos hat erst einmal im Turnier aufs Tor geschossen, bisher keinen Assist verbucht und auch keine klare Torchance herausgespielt. Dafür sind im Team von Julian Nagelsmann andere verantwortlich.
Kroos mag nicht der schnellste auf dem Platz und immer seltener im vordersten Drittel anzutreffen sein. Doch keiner hat so viel Gefühl im Fuss und eine solche Antizipation wie er. Er ist das Metronom im Spiel, das weiss, wann es einen Querpass braucht, um das Spiel zu beruhigen und sich den Gegner zurechtzulegen und wann es mit einem vertikalen Zuspiel Tempo generieren muss.
Gegen die Wahlheimat
Geht es nach Kroos, tut er dies noch dreimal, bevor er in den fussballerischen Ruhestand tritt. «Ich bin überhaupt nicht nostalgisch. Denn ich gehe nicht davon aus, dass morgen mein letztes Spiel sein wird», sagte er auf die Frage eines Reporters nach seiner Befindlichkeit und räumte scheinbar selbstverständlich jeden Zweifel der Anwesenden über den Ausgang des Viertelfinals aus dem Weg. Manche mögen das als arrogant abtun, doch es ist das Selbstbewusstsein und Selbstverständnis, das die Deutschen und insbesondere Kroos seit jeher auszeichnet und erfolgreich macht.
Sie hätten sich zum Ziel gesetzt, das Turnier zu gewinnen. Zurückgekommen sei er schliesslich, um dieses letzte Ziel als Spieler zu erreichen. Es wäre ein standesgemässer Abschluss für Kroos, in dessen Vitrine der Henri-Delaunay-Pokal das einzige ist, was noch fehlt.
Auf dem Weg zu Titel Nummer 35 baut sich – ausgerechnet – mit Spanien die zurzeit wohl grösste Hürde auf. Ausgerechnet, weil Deutschland seit 36 Jahren kein Pflichtspiel mehr gegen die Iberer gewinnen konnte, die Spanier ihrerseits den Deutschen seither schon mehrfach auf dem Weg zu weiteren Titeln in die Quere kamen. Ausgerechnet aber auch, weil Kroos in Spanien heimisch ist, geliebt, ja verehrt wird.
Adios hat er in Madrid schon gesagt. Nur zu gerne würde er am Freitag in Stuttgart mit den gleichen Worten seine ehemaligen Real-Kollegen nach Hause schicken.