Granit Xhaka lässt nach dem 2:2 im Kosovo mit kritischen Aussagen aufhorchen. Schnell ist in den Medien von einem Machtkampf mit Trainer Murat Yakin die Rede. Ein solcher existiert aber nicht. Stattdessen wird klar, dass die Nati den Weckruf des Captains dringend gebraucht hat.
Ausgerechnet Granit Xhaka ist es, der am Dienstagabend im Spiel gegen Andorra für die Entscheidung sorgt. Mit einem satten Flachschuss aus 20 Metern lässt er dem Goalie keine Abwehrchance und stellt in der 84. Minute auf 2:0. Danach hält er sich den Zeigefinger vor den Mund. Die Botschaft ist klar: Er will seine Kritiker verstummen lassen.
Kritik prasselte in den vergangenen Tagen einmal mehr viel auf den Nati-Captain ein. Weil er nach dem Kosovo-Spiel (2:2) in aller Öffentlichkeit die Trainings-Einheiten und -Leistungen in der Nati anprangerte. «So, wie wir gespielt haben, sah das die ganze Woche aus», sagte Xhaka etwa.
Drei Tage und ein 45-minütiges Gespräch mit Murat Yakin später hängt der Haussegen in der Nati wieder gerade. Nach dem 3:0-Sieg über Andorra sagt Xhaka dem SRF: «Ich bin einer, der die Dinge offen anspricht. Der Zeitpunkt war sicher nicht perfekt, trotzdem glaube ich, dass es auch ein Weckruf an die Mannschaft war. An alle, auch an mich selbst.»
Diesen Weckruf hat die Nati gebraucht. Nachdem man in den letzten beiden Quali-Spielen gegen Rumänien und Kosovo jeweils in der Nachspielzeit den sicher geglaubten Sieg verspielt hatte, bleiben die Schweizer gegen Andorra bis zum Schlusspfiff hoch konzentriert und lassen keinen einzigen Torschuss des Gegners zu. Auch wenn es in der ersten Halbzeit ein Knorz war und es lange nur 1:0 stand, war dieser Sieg nie gefährdet.
Nur Xhaka kann als Nati-Captain infrage kommen
Man kann von Granit Xhaka halten, was man will. Und gewiss waren viele seiner Aktionen unnötig und komplett Fehl am Platz: Der Doppeladler-Jubel gegen Serbien, das Tattoo unmittelbar vor EM-Start, die Provokation mit dem Jashari-Trikot an der WM. Doch eines kann ihm keiner nehmen: Xhaka ist ein geborener Leader. Einer, der eine ganze Mannschaft mitziehen kann. Und deshalb kann auch nur er als Nati-Captain infrage kommen.
Xhaka ist sich auch nicht zu schade, eigene Fehler einzugestehen. «Ich als Captain hätte das vielleicht schon zu Beginn der Woche ansprechen sollen, weil ich das Gefühl hatte, dass wir nicht hoch konzentriert und nicht auf dem Niveau sind, das wir uns gewohnt sind», sagt er. Und: «Mein einziger Fehler war, dass ich es hätte intern ansprechen sollen. Aber der Trainer kennt mich, so bin ich leider.»
Zum Glück ist Xhaka so. Er sagt, wenn ihm etwas nicht passt. Klar, deutlich und ungefiltert. Er spricht Probleme direkt an, notfalls auch in der Öffentlichkeit. Aber er ist keiner, der hinterrücks Stimmung gegen den Trainer aufbaut. Jeder, insbesondere Murat Yakin, weiss immer genau, woran er bei Xhaka ist. Da darf es auch mal knallen, solange es auf sachlicher Ebene bleibt.
Der Vergleich mit den Deutschen
Wie es herauskommen kann, wenn Spieler und Trainer trotz schlechten Leistungen auf Schmusekurs sind – zumindest in der Öffentlichkeit –, hat man bei unseren nördlichen Nachbarn gesehen. Deutschland kam unter Hansi Flick nicht aus der Negativspirale raus, Worte wie jene von Xhaka hörte man von einem DFB-Spieler indes nie.
Flick wurde in den Medien an den Pranger gestellt, die Spieler hingegen wurden kaum in die Pflicht genommen. Es scheint Flicks Entlassung gebraucht zu haben, damit das Selbstvertrauen bei den Deutschen zurückkehrt. Gegen Vize-Weltmeister Frankreich gibt es am Dienstag mit einem 2:1-Sieg einen Befreiungsschlag.
Der Captain übernimmt Verantwortung
Zurück zu Xhaka. Ob bewusst oder unbewusst: Er hat mit seinen Aussagen nach dem Kosovo-Spiel viel Verantwortung auf sich genommen und Yakin viel Druck abgenommen. «Wenn er sich aus dem Fenster lehnt, ist er auch in der Verpflichtung. Dann muss er Leistung bringen. Ich verlange von ihm als Captain auch, dass er vorangeht», sagte Yakin vor dem Andorra-Spiel über Xhaka.
Jeder schaute Xhaka am Dienstagabend ganz genau auf die Füsse. Und der Captain lieferte. Nicht nur wegen des Assists zum 1:0 und dem Tor zum 2:0. Er war der lautstarke Anführer und auch fussballerisch der Chef im Tourbillon.
«Die Antwort folgt auf dem Platz, einmal mehr», sagt der 30-Jährige nach dem Spiel, wie gewohnt sehr von sich selbst überzeugt. Genau solche Typen braucht eine erfolgreiche Mannschaft. Typen, die vorangehen, auf und neben dem Rasen. Typen, die Selbstvertrauen ausstrahlen und Teamkollegen mitziehen. Typen wie Granit Xhaka. Ein Glück, haben wir ihn in der Nati.