Experte erklärt So haben andere Länder die Fan-Gewalt in den Griff bekommen

Von Andreas Fischer

25.10.2021

FCZ-Fans schmeissen Leuchtraketen in die GC-Kurve

FCZ-Fans schmeissen Leuchtraketen in die GC-Kurve

Beim Zürcher Fussballderby am Samstagabend kam es nach Spielende zu Auseinandersetzungen zwischen den beiden Fan-Lagern.

24.10.2021

Vom Derby zwischen Grasshoppers und FCZ bleiben nicht Tore, sondern wüste Szenen in Erinnerung. Wie gross ist das Hooligan-Problem in der Schweiz? Und können wir von anderen Ländern lernen? Ein Fan-Forscher ordnet ein.

Von Andreas Fischer

Der Schweizer Fussball macht mal wieder Schlagzeilen – aber keine positiven. Nach Abpfiff des Zürcher Derbys am Samstag stürmten vermummte FCZ-Anhänger auf die gegnerische Kurve zu und warfen Leuchtraketen auf die GC-Anhänger.

Es war nicht der erste Ausbruch von Gewalt, der in den letzten Jahren zu reden gibt. Ist die Schweiz besonders anfällig für Gewalt in den Fussballstadien? Nein, sagt Fan-Forscher Harald Lange von der Universität Würzburg im Gespräch mit blue News. «Es ist extrem schwierig, eine ganze Nation wissenschaftlich in die eine oder andere Ecke zu stellen. Zumal bei Phänomenen wie der Gewalt im Fussball, die in den letzten Jahren vorwiegend spontan auftauchen und sich vorwiegend aus dem Sportgeschehen und klassischen Rivalitäten heraus erklären lassen.»



Auf den Rängen und in den Fankulturen würden sich vor allem gewachsene Rivalitäten auswirken, die hin und wieder in Gewaltausbrüchen mündeten. Dies trotz aller Präventionsmassnahmen und Fansozialarbeit. Natürlich sei jeder Fall ein Fall zu viel und habe Gewalt im Sport nicht zu suchen, so Lange. Aber: «So wie ich es beurteile, würde ich mir in der Schweiz keine allzu grossen Sorgen machen, dass es sich dabei um ein strukturelles Problem handelt.»

Ein Muster lasse sich für Lange jedenfalls nicht erkennen: «Ich sehe keine Szene, die sich über die Vereinsfarben hinweg schweizweit Wochenende für Wochenende auf Randale und Ausschreitungen freut.» Doch wie sieht es in anderen Ländern mit der Gewalt im Fussball aus?

Deutschland

«Am Samstagnachmittag ist ein Bundesligastadion zweifelsohne einer der sichersten Orte, an denen man sich für seine Freizeitgestaltung aufhalten kann», sagt Harald Lange. Das war nicht immer so: In den 1980er-, 1990er- und auch noch den frühen 2000er-Jahren hatte der Profifussball in Deutschland ein massives Gewaltproblem. Dass es gelungen ist, dies erheblich einzugrenzen, sei massgeblich einer Fansozialarbeit zu verdanken, die von Verbänden und Klubs mit grossem Aufwand betrieben werde.

«Fanarbeit im Sport muss immer darauf hinauslaufen, permanent Jugendsozialarbeit zu leisten in den Städten und Regionen, aus denen die Fussballklubs kommen», sagt Lange. In der deutschen Bundesliga habe man es mit diesem Konzept in den vergangenen zehn Jahren aus Langes Sicht «ganz hervorragend hinbekommen, das Gewaltproblem in den Griff zu bekommen. Solche Anlässe wie jetzt in Zürich sollten meiner Ansicht nach dazu dienen, die eigenen Konzeptionen zu prüfen und dass man gemeinsam versucht, das Gewaltproblem über Kommunikation – das ist nämlich der Schlüssel – mittelfristig in den Griff zu bekommen».

England

In England, in der Premier League, sind gewalttätige Ausschreitungen seit langer Zeit kaum der Rede wert. Nach der Katastrophe von Hillsborough im Jahr 1989, in deren Folge 97 Fans des FC Liverpool starben, und anderen Vorfällen wurde ein ganzes Massnahmenbündel umgesetzt. «Mit der Gründung der Premier League in ihrer jetzigen Form wurde eine ganz andere Zuschauerpolitik betrieben», erklärt Lange.

Die Stehplätze wurden verbannt, die Tickets teurer gemacht. «Bei teureren Tickets kommen andere Menschen ins Stadion», sagt Lange. Gewalttäter im Sport seien in der Regel nicht älter als Mitte oder Ende zwanzig – «wenn überhaupt». «Diese jungen Menschen können sich solche teuren Tickets nicht leisten. Das trägt ganz wesentlich dazu bei, das Gewaltpotenzial im Stadion einzudämmen.»

Ein «Eventpublikum» mache in der Regel keinen Ärger, «aber gleichzeitig auch keine Stimmung, beziehungsweise höchstens eine Art Theaterstimmung». Diese Art von Publikum breche zudem im Fall von sportlichem Misserfolg ziemlich schnell weg, wohingegen Fans auch in schlechten Zeiten beim Verein bleiben.

Dass Stehplätze ab Januar 2022 in England wieder eingeführt werden sollen, müsse aber nicht zwingend zu neuen Gewaltproblemen führen. «Es wurde zwar sportpolitisch immer wieder ein Zusammenhang zwischen Stehplätzen und Gewaltursachen hergestellt, aber dafür gibt es keinen einzigen empirischen Befund», betont Fan-Forscher Lange.

Spanien

In Spanien bleibt selbst der Classico zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona in der Regel friedlich. Von Gewalt im Umfeld von Fussballspielen bekommt man erstaunlich wenig mit. Das muss aber laut Lange nichts heissen. «Es ist immer auch die Frage, wie die Öffentlichkeit auf gewaltbezogene Vorfälle reagiert.»

Kommt hinzu, dass sich in Spanien eine Kultur mit Auswärtsfan(-fahrten) nie richtig etablieren konnte. Wenn keine Gästefans im Stadion sind, dann gibt es auch kaum einen Grund für Gewaltausbrüche.



Italien

Um das Hooligan-Problem in den Griff zu bekommen, hat Italien vor Jahren einen Fanpass eingeführt, der beim Innenministerium beantragt werden muss. Ohne diesen Fanpass darf man kein Auswärtsspiel seiner Mannschaft besuchen: Wer dennoch ins Stadion geht, macht sich strafbar. Zu Gewaltausbrüchen kommt es bei Spielen der Seria A dennoch immer wieder.

Gegnerische Spieler werden rassistisch beleidigt, rivalisierende Fangruppen gehen prügelnd und nicht selten bewaffnet aufeinander los. 2014 starb vor dem Spiel der AS Rom gegen Napoli ein Tifosi der Süditaliener durch einen Schuss aus einer Pistole. 2018 wurden vier Napoli-Fans in Mailand bei einer Messerstecherei verletzt, ein Anhänger im Inter-Mob starb im Getümmel durch einen Unfall.

Frankreich

In Frankreich machte nicht nur der Transfer von Lionel Messi zu Paris St. Germain Schlagzeilen: In der Ligue 1 gab es zuletzt häufiger Ausschreitungen. So musste im August das Duell zwischen OGC Nizza und Olympique Marseille nach heftigen Tumulten abgebrochen werden, in der Partie zwischen den Nordclubs Lens und Lille stürmten Fans den Platz und prügelten sich. Auch in Angers und in Montpellier gab es im Umfeld von Fussballmatches Ausschreitungen.



«Im europäischen Vergleich fällt die französische Ligue 1 derzeit negativ auf», findet auch Harald Lange. «Im letzten halben Jahr gibt es gehäuft Gewalt und Übergriffe in den Stadien. Dies auch nicht nur bei einzelnen Fangruppen und in einzelnen Stadien. Das Problem ist umfassender.»

Die Ausschreitungen seien heftig, Lange bezeichnet die Gewalt als «schrankenlos». Die Fans hätten zum Teil die Polizei als Gegner auserkoren: «Das deutet auf eine grundlegende, ausgeprägte Gewaltsuche hin.»

Jede Situation ganz genau ansehen

Die ihm bekannten Schweizer Fälle, wie am Wochenende beim Stadtzürcher Derby, wertet Lange hingegen als «spontane Anlässe». Diese müssten einzeln aufgearbeitet werden. «Mit den Sicherheitsbehörden muss geklärt werden, wie es dazu gekommen ist. Dabei sollte ganz sorgfältig darauf geachtet werden, ob sich irgendwann ein Muster erkennen lässt.»

«Die Menschen», sagt der Fan-Forscher, «bringen ihre Probleme von der Strasse, von zu Hause, von der Arbeit mit ins Stadion. Je nach Gemengelage kann es dann überkochen.» Aus diesem Grund müsse man sich jede Situation einzeln «ganz genau ansehen, bevor man meint, Trends ausmachen zu können».

Anhänger des FC Zürich warfen nach dem Derby gegen GC brennende Pyrotechnik in den gegnerischen Block.
Anhänger des FC Zürich warfen nach dem Derby gegen GC brennende Pyrotechnik in den gegnerischen Block.