Leber aus dem Leib gerissenZwei Orcas vertreiben Weisse Haie aus Revier vor Südafrika
tgab
25.1.2025
Vor zehn Jahren lebten vor der Küste Südafrikas noch Hunderte Weisse Haie. Jetzt sind sie grösstenteils verschwunden. Denn neuerdings reissen Orcas den berüchtigten Raubfischen gern die Leber raus.
tgab
25.01.2025, 23:47
Gabriela Beck
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Orcas machen Jagd auf Weisse Haie vor der Küste Südafrikas.
Die Haie flüchten und kehren nur noch in geringer Anzahl zurück.
Das hat negative Auswirkungen auf das lokale Ökosystem.
Nach dem Verschwinden der Weissen Haie aus dem Gebiet sind die Populationen ihrer Lieblingsbeute, der Kap-Pelzrobbe und des Bronzehais, in Gansbaai stark angestiegen.
Seit Juni 2024 sind Robben im Westkap mit Tollwut infiziert.
Gansbaai, eine Bucht in der Nähe von Kapstadt in Südafrika, hatte vor rund 15 Jahren Jahren noch eine Population von 800 bis 1000 Weissen Haien. Der Adrenalin-Tourismus florierte. Doch inzwischen meiden die Raubfische den Küstenabschnitt. Denn sie werden gejagt – aber nicht von Menschen.
Der erste mysteriöse Kadaver eines Weissen Hais wurde am 9. Februar 2017 an Land gespült. Der 2,6 Meter lange Körper wies keine Haken- oder Netzspuren auf, was eine menschliche Beteiligung ausschloss, wie Meeresbiologin Alison Towner dem «Guardian» erklärt. Was auch immer ihn getötet hatte, war verschwunden.
Innerhalb von fünf Tagen wurden drei weitere Kadaver gefunden, gefolgt von einem fünften im Juni. Acht unheimliche Wochen lang wurde kein einziger Weisser Hai gesichtet. Und so ging es weiter: Mit jedem Todesfall flohen die Haie der Bucht für längere Zeit und kehrten in geringerer Zahl zurück.
Den aufgerissenen Kadavern fehlte die Leber
Towner und ihre Kollegen waren entschlossen, das Rätsel zu lösen und führten Autopsien an den vier zuletzt verstorbenen Haien durch. Es stellte sich heraus: Alle waren mit chirurgischer Präzision am Brustgürtel, direkt hinter den Kiemen, aufgerissen worden. Zwei Körper wiesen deutliche Kratzer auf. Am auffälligsten war, dass allen vier die Leber fehlte.
Die Anzeichen deuteten alle auf dieselben Täter hin: Orcas. Towners unmittelbare Verdächtige waren zwei männliche Orcas, die Gansbaai seit 2015 häufig besucht hatten. Die Namen, die ihnen die örtlichen Zoologen gaben, waren «Port» und «Starboard», benannt nach ihren charakteristischen Rückenflossen, die jeweils nach links bzw. rechts zusammengefallen waren.
Das Paar war wenige Stunden nach der Entdeckung der toten Haie vor der Küste von Gansbaai gesichtet worden. Sie wurden auch dabei beobachtet, wie sie in der nahegelegenen False Bay Siebenkiemerhaie töteten und sich an deren Lebern gütlich taten.
Towner war sich sicher, dass «Port» und «Starboard» für die Kadaver der Weissen Haie verantwortlich waren. «Der fehlende Beweis war die direkte Beobachtung eines Angriffs», sagt sie.
Drohne beobachtet Orca-Angriff auf einen Weissen Hai
Am 16. Mai 2022 flog Christiaan Stopforth mit seiner Drohne über Mossel Bay, etwa 305 Kilometer östlich von Gansbaai, als er etwas Aussergewöhnliches aufzeichnete: Fünf Orcas griffen einen drei Meter langen Weissen Hai an, bissen ihm zwischen die Brustflossen und rissen ihm die Leber heraus. Einer der Orcas war Starboard.
Eine Hubschrauberbesatzung wurde an diesem Tag Zeuge von drei weiteren Tötungen. Genau wie in Gansbaai verliessen die überlebenden Weissen Haie von Mossel Bay das Gebiet. 45 Tage lang kehrte keiner zurück.
Als die Orcas Port und Starboard im darauffolgenden Juni nach Mossel Bay zurückkehrten, war Esther Jacobs, Gründerin der Meeresschutzorganisation Keep Fin Alive, unter denen, die auf ein Boot sprangen, um sie zu beobachten. Als das Team das Paar erreichten, lag der deutliche, stechende Geruch einer Haileber in der Luft, was auf eine kürzlich erfolgte Tötung hindeutete.
Plötzlich tauchte ein junger Weisser Hai auf, berichtet Jacobs, und Starboard griff ihn an. «Es war sowohl ehrfurchtgebietend als auch erschütternd. Starboards enorme Kraft war deutlich zu sehen, als er den Hai fest im Griff hatte, selbst als dieser um sich schlug», erinnert sie sich. «Wir sahen fassungslos zu, wie er den Hai schliesslich ausweidete.» Der Hai sei innerhalb von nur zwei Minuten tot gewesen, seine Leber verschlungen.
Fehlen der Haie bringt Ökosystem aus dem Gleichgewicht
Heute sind die Weissen Haie in Mossel Bay so gut wie verschwunden. Seit dem Vorfall im Jahr 2023 seien sie nicht mehr in nennenswerter Weise zurückgekehrt, sagt Jacobs. «Soweit ich weiss, gab es im Jahr 2024 weniger als zehn bestätigte Beobachtungen.»
Nach dem Verschwinden der Weissen Haie aus dem Gebiet sind die Populationen ihrer Lieblingsbeute, der Kap-Pelzrobbe und des Bronzehais, in Gansbaai stark angestiegen. Ökologen nennen es eine «trophische Kaskade», wenn der Verlust eines Raubtiers die Nahrungskette hinunter nachhallt und das Ökosystem aus dem Gleichgewicht bringt.
Meeresbiologin Towner stellt fest, dass die Robben, die nicht mehr bedroht sind, «mutiger wurden, einige jagten sogar die vom Aussterben bedrohten afrikanischen Pinguine». Aber: Das Fehlen von Beutejägern wie Haien kann auch Krankheiten mit sich bringen. Seit Juni 2024 sind Robben im Westkap mit Tollwut infiziert, einer Epidemie, die im Juli Mossel Bay erreichte.
«Meiner Meinung nach hätte die Population des Weissen Hais, wenn sie wieder auf ihrem vorherigen Höhepunkt gewesen wäre, möglicherweise dazu beigetragen, die Tollwutsituation zu entschärfen, da tollwütige Robben wahrscheinlich leichtere Ziele wären», sagt Jacobs.