Rätselhafte Attacken auf SchiffeWas ist bloss mit den Orcas los?
Nicole Agostini und Fabienne Kipfer
1.9.2024
blue News auf Spurensuche: Warum geraten Schiffe ins Visier der Orcas?
Seit der Pandemie ist die Zahl der Vorfälle zwischen Schiffen und Orcas in der Strasse von Gibraltar explodiert. Was ist mit den Orcas passiert? blue News war vor Ort und kam den Orcas näher – viel näher als erwartet.
29.07.2024
Seit der Pandemie ist die Zahl der Vorfälle zwischen Schiffen und Orcas in der Strasse von Gibraltar explodiert. Was ist mit den Orcas passiert? blue News war vor Ort und kam den Orcas näher – viel näher als erwartet.
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N. Agostini, F. Kipfer
01.09.2024, 11:07
Fabienne Kipfer
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Seit der Meldung im Mai 2020 wurden laut Wissenschaftler*innen mehr als 673 Vorfälle mit rammenden Orcas dokumentiert.
blue News Reporterinnen Nicole Agostini und Fabienne Kipfer reisen nach Südspanien und sprechen mit Wissenschaftlern, Fischern und Seglern vor Ort.
Es gibt verschiedene Theorien und Meinungen, warum Orcas Segelboote rammen.
Augenzeugen berichten, dass das Verhalten nicht aggressiv, sondern eher spielerischer Natur sei.
Katharina Heyer forscht seit 27 Jahren über Wale und Delfine vor Tarifa.
Die Schweizerin hat die Stiftung firmm für Artenschutz gegründet und kennt das Verhalten der Tiere besser als die meisten Menschen.
Doch jetzt steht auch sie vor einem Rätsel. Das alles habe ja erst mit den Coronajahren begonnen, sagt sie zu blue News.
Katharina Heyer
Katharina Heyer fährt täglich mit dem Boot aufs Meer, um Wale und Delfine zu beobachten.
Bild: Quelle: blue News
Die Schweizerin gründete 1998 die Stiftung firmm zum Schutz der Meeressäuger.
Bild: Quelle: blue News
Die Stiftung bietet Whale Watching-Touren an, um die Menschen über Meerestiere zu sensibilisieren.
Bild: Quelle: blue News
Heyer kann sich das derzeitige Verhalten der Orcas auch nicht wirklich erklären.
Bild: Quelle: blue News
Katharina Heyer
Katharina Heyer fährt täglich mit dem Boot aufs Meer, um Wale und Delfine zu beobachten.
Bild: Quelle: blue News
Die Schweizerin gründete 1998 die Stiftung firmm zum Schutz der Meeressäuger.
Bild: Quelle: blue News
Die Stiftung bietet Whale Watching-Touren an, um die Menschen über Meerestiere zu sensibilisieren.
Bild: Quelle: blue News
Heyer kann sich das derzeitige Verhalten der Orcas auch nicht wirklich erklären.
Bild: Quelle: blue News
Heyer steht in ihrem Büro in Tarifa, Spanien, an der Strasse von Gibraltar. Sie hat einen Schal um den Hals und einen wachen Geist. Nie habe es zuvor Probleme gegeben, so Heyer, «die Orcas sind immer friedlich geblieben».
firmm
Die Stiftung firmm engagiert sich für den Schutz von Meeressäugern und deren Lebensraum. Durch respektvolles Whale Watching schafft firmm in Tarifa Begegnungsmöglichkeiten zwischen Mensch und Tier. Über Forschung und Informationsveranstaltungen will die Stiftung einen respektvolleren Umgang mit dem Meer und seinen Bewohnern fördern.
Doch seit die Pandemie abgeflacht ist und die Boote aufs Meer zurückgekehrt sind, ist in der Strasse von Gibraltar nichts mehr wie früher.
Über 670 Attacken – Forscher*innen sprechen von «Interaktionen» – registrierte die Orca-Forschungsstelle GT Atlantica Orca bis heute.
Die Mehrheit der registrierten Interaktionen betrifft Segelboote, mit 72% Einrumpfbooten und 14% Katamaranen. Registriert wurden aber auch Begegnungen mit Motorbooten (6%), Halbstarrbooten (5%) und Fischerbooten (knapp 3%).
Erst am 24. Juli 2024 versenkten Orcas ein ganzes Segelboot. Das ist bereits das siebte gekenterte Boot seit den Interaktionen. Die Insassen sind dabei immer heil davongekommen. Doch der Schreck ist gross.
Das weiss auch Werner Schaufelberger. «Gräblet» habe es, als die Orcas kamen, erzählt er blue News. «Die Orcas haben die Ruder ganz herausgerissen.» Sein Schiff füllte sich mit Wasser, der Schweizer Segler musste notfallmässig ein Rettungsboot anfordern und konnte sich und die Crew in Sicherheit bringen.
Kaputtes Schiff Champagne in Barbate
Das zerstörte Segelschiff steht ein Jahr nach der Orca-Interaktion immer noch in der Trockenwerft von Barbate.
Bild: Quelle: blue News
Die Orcas haben am Ruder so lange gerüttetl, bis Wasser ins Schiff eindrang.
Bild: Quelle: blue News
Der Schaden ist immer noch am Rumpf sichtbar.
Bild: Quelle: blue News
Kaputtes Schiff Champagne in Barbate
Das zerstörte Segelschiff steht ein Jahr nach der Orca-Interaktion immer noch in der Trockenwerft von Barbate.
Bild: Quelle: blue News
Die Orcas haben am Ruder so lange gerüttetl, bis Wasser ins Schiff eindrang.
Bild: Quelle: blue News
Der Schaden ist immer noch am Rumpf sichtbar.
Bild: Quelle: blue News
Die Schäden an seinem Boot sind noch heute sichtbar, wie sich auf der Werft in Tarifa zeigt. Dort werden mittlerweile fast täglich Schiffe angeliefert, die von Orcas beschädigt worden sind.
Orca-Opfer aus Schweiz // So erlebte Skipper Werner Schaufelberger den Angriff
Schaufelberger alarmierte sofort die Küstenwache, die ganze Besatzung musste das Boot verlassen und zusehen, wie es immerzu mit Wasser vollläuft, wie er gegenüber blue News eindrücklich erzählt (im Video).
16.08.2024
Auch Fernando Santamarias Schiff landete dort. Der Spanier wurde ebenfalls Zeuge eines solchen Erlebnisses. Ausführlich schildert er blue News, wie die Tiere sein Boot umkreisten und schliesslich sein Schiff beschädigten. Er habe das Ereignis mittlerweile verarbeitet und sei den Orcas nicht böse, «aber ich will ihnen nicht mehr begegnen».
Orcas können dem Segler Fernando Santamaria seine Leidenschaft nicht nehmen
Auf der Überfahrt von Mallorca nach Spanien wurde der passionierte Segler Fernando Santamaria von Orcas überrascht. Die Gruppe hat es auf das Ruder abgesehen. Die Freude am Segeln konnten ihm die Tiere aber nicht nehmen.
16.08.2024
Es kursieren zahlreiche Erklärungsversuche
Wie kann es sein, dass sich das Verhalten von Tieren innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne derart verändert? Warum geraten seit der Corona-Pandemie plötzlich Schiffe ins Visier der tonnenschweren Tiere? Und vor allem: Warum zeigen bisher nur Mitglieder der Subpopulation Orca Iberica in der Strasse von Gibraltar dieses mysteriöse Verhalten, obwohl die Orcas in allen Weltmeeren leben?
Eine im Juni veröffentlichte Studie der Internationalen Walfangkommission (IWC) legt nahe, dass Orcas Boote attackieren, weil die Fischereiverbote zu einem Überfluss an Thunfisch geführt haben. Dadurch bleibe ihnen wohl mehr Zeit, da sie weniger nach Nahrung suchen müssen und sich die intelligenten Tiere nun zu langweilen scheinen.
Es ist eine der letzten möglichen Erklärungen, die in den vergangenen Monaten zu den Orca-Interaktionen aufgetaucht ist. Die Theorien über mögliche Ursachen häufen sich fast täglich.
Katharina Heyer glaubte zunächst, dass es mit der Rückkehr des Frachtverkehrs nach Corona zusammenhänge. Der Schiffsverkehr nahm nach der Pandemie schnell zu. «Wir dachten, die Orcas fühlen sich vielleicht davon gestört.» Mittlerweile hat sie eine andere Theorie: «Ich glaube, für sie ist es ein Spass geworden. Ich glaube nicht, dass die Orcas den Menschen Schaden zufügen wollen.»
«Dass es sich um ein Spiel handeln könnte, sagen Leute, die noch nie so eine Interaktion erlebt haben», sagt Fernando Santamaria. Für ihn habe es sich wie ein Angriff angefühlt – wenn auch auf spielerische Art. «Aber die Menschen fühlen sich angegriffen und reagieren entsprechend.»
Der Hafen von Tarifa ist auch ein Umschlagplatz. Hier wird der Frischfang angeliefert – darunter die grossen Thunfische. Sprechen möchten hier nicht viele über die Orcas. Immerhin bringt ein grosser Thunfisch über 1000 Euro, und die Orcas lieben Thunfisch.
Roter Thunfisch
Der Rote Thunfisch kommt jährlich zum Laichen aus dem Atlantik durch die Meerenge im Gibraltar ins Mittelmeer.
Bild: Quelle: blue News
Die Fischer, wie José Antonio, leben davon und, genauso die Orcas. Sie schnappen den Thunfisch von den Fischerleinen.
Bild: Quelle: blue News
Ein grosser Roter Thunfisch kann für einen Fischer bis zu 1000 Euro bringen.
Bild: Quelle: blue News
Roter Thunfisch
Der Rote Thunfisch kommt jährlich zum Laichen aus dem Atlantik durch die Meerenge im Gibraltar ins Mittelmeer.
Bild: Quelle: blue News
Die Fischer, wie José Antonio, leben davon und, genauso die Orcas. Sie schnappen den Thunfisch von den Fischerleinen.
Bild: Quelle: blue News
Ein grosser Roter Thunfisch kann für einen Fischer bis zu 1000 Euro bringen.
Bild: Quelle: blue News
Der Fischer José Antonio erzählt schliesslich doch vor der Kamera. «Einmal hat mir ein Orca den Thunfisch direkt aus der Hand geschnappt.» Ein anderes Mal «lenkte uns ein Orca auf der einen Seite des Bootes ab und ein anderer schnappte auf der anderen Seite zu». Antonio hat seine eigene Theorie. Er glaubt, dass sich die Tiere bedroht fühlen und deshalb mit Angriffen reagieren.
Angriff aus Rache?
Daran glaubt Meeresbiologe José Manuel nicht: «Rache ist ein menschliches Verhalten und Tiere rächen sich nicht, schon gar nicht in freier Wildbahn», sagt er zu blue News. Vielmehr glaubt Manuel, dass die Orcas das Ruder für einen Thunfisch halten und deshalb mit ihm spielen.
Meeresbiologe José Manuel // «Das Ruder bewegt sich wie ein Thunfisch»
Der Meeresbiologe Jose Manuel erzählt blue News im Interview, warum Rache keine mögliche Ursache für die Attacken sein kann (im Video).
16.08.2024
An ein Spiel oder Training glaubt auch der Meeresbiologe Jörn Selling. «Manchmal jagen sie auch nur, um ihre Kälber zu trainieren. Da könnte man spekulieren, dass sie das vielleicht mit den Segelbooten auch machen.»
Sind Parasiten schuld?
Jörn Selling, der 20 Jahre lang in Tarifa Wale und Delfine erforschte, vermutet sogar, dass die Orcas vom Parasiten Toxoplasma infiziert sein könnten. Der würde im Gehirn eine Änderung vornehmen, worauf sie wagemutiger würden.
Meeresbiologe Jörn Selling // «Die Tiere werden durch den Parasit wagemutiger»
Meeresbiologe Jörn Selling forschte 20 Jahre lang die Orcas in der Strasse von Gibraltar.Er glaubt, dass die Motivation der Meeressäuger Segelboote zu rammen, der Parasit Toxoplasma sein könnte.
21.08.2024
Die Strasse von Gibraltar hat sich verändert. Es gibt ein Vor und ein Nach Corona – vor allem für die Segler. Was genau dazu geführt hat, dass die Orcas plötzlich Schiffe attackieren, weiss keiner mit Sicherheit. Jörn Selling sagt: «Es bestand ja die Hoffnung, dass es sich irgendwann ausgespielt hat. Aber das Einzige, was klar zu sein scheint, ist, dass die Orcas damit einfach noch nicht aufhören wollen.»
Es scheint, als habe es sich noch lange nicht ausgespielt.
Sind das die Schwertwale, die Boote rammen?
Als wir mit der Stiftung firmm aufs Meer hinausfahren, um die Meeressäuger zu beobachten, sichten wir diverse Delfinarten, Pottwale, Grindwale und Finnwale – und auch die Orcas.
Die Meeressäuger tauchen unter unserem Boot auf: Exklusive Unterwasseraufnahmen zeigen, wie die intelligenten Tiere den Rumpf inspizieren und ihn anstupsen.
Wir fragen uns sofort, welche Schwertwale das sind, die uns inspizieren. Sind das genau die, von denen immer die Rede ist?
Auge in Auge mit den Schwertwalen: «Das ist einer, der Boote rammt»
blue News geht in der Strasse von Gibraltar den mysteriösen Orca-Attacken auf Schiffe nach: Während der Recherche kommt den Reporterinnen eine Gruppe der Tiere nahe – selbst Wissenschaftler staunten.