Aerosole So gross ist das Infektionsrisiko an verschiedenen Orten

uri mit Material von dpa

18.2.2021

Schülerinnen und Schüler bei der Eröffnungsfeier am ersten Tag nach den Sommerferien im Kanton Zürich: Für die Virenbelastung in Räumen sind etliche Faktoren verantwortlich. (Symbolbild)
Schülerinnen und Schüler bei der Eröffnungsfeier am ersten Tag nach den Sommerferien im Kanton Zürich: Für die Virenbelastung in Räumen sind etliche Faktoren verantwortlich. (Symbolbild)
Bild: Keystone

Das Coronavirus verbreitet sich vor allem auch durch Aerosole in der Luft. Im Alltag dürfte deshalb nicht zuletzt auch entscheidend sein, wo man sich konkret aufhält.

Mit Impfungen gegen Covid-19 keimt die Hoffnung auf ein baldiges Ende der Pandemie auf. Doch ganz so schnell wird es leider nicht gehen. Bis dahin wird man achtgeben müssen, sich nicht anzustecken. Eine grosse Rolle spielen dabei die in der Luft zirkulierenden Aerosole. Verschiedene Experten haben sich kürzlich zu den Risiken geäussert. 

Nicht zuletzt auf beliebten Spazierpfaden kommt man derzeit unter Umständen auch keuchenden Joggern gefährlich nahe. Laut Gerhard Scheuch, ehemals Präsident der Internationalen Gesellschaft für Aerosole in der Medizin, der heute auch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) berät, ist das Risiko hier jedoch gar nicht so gross, wie die meisten annehmen.

«Die Leute müssen aus den Räumen raus»

«Beim Spazierengehen müssen Sie gar nicht so sehr auf irgendwas achten», erklärte Scheuch kürzlich im Interview mit dem Deutschlandfunk. Die Ansteckungsgefahr über die Luft sei im Aussenbereich, «auch beim Spaziergang, sehr, sehr gering.» Man solle sich jedoch nicht unbedingt «zu zweit oder zu dritt in einem engen Bereich aufhalten und lange miteinander reden.» Das Risiko steige dann, doch selbst in diesem Fall wird es nach Meinung Scheuchs nicht wirklich gefährlich. 

Man müsse sich das Problem in etwa vorstellen, wie wenn man mit einem Zigarettenraucher zusammenstehe, der einem ständig Rauch ins Gesicht puste: «Dann sind Sie als Passivraucher auch belastet.» Idealerweise bleibe man im Freien in ständiger Bewegung, so der Experte. So sei er auch ein «grosser Freund davon zu sagen, die Leute müssen aus den Räumen raus, sie müssen ins Freie.» Das habe auch im Sommer dazu beigetragen, die Pandemie zu bändigen. 

Risiko durch Jogger wohl sehr gering

Selbst bei Joggern, die einem direkt entgegenkommen, sieht Scheuch keine grosse Gefahr gegeben. Die Virenkonzentration bei einer solch kurzen Begegnung reiche seiner Meinung nach nicht aus, um sich zu infizieren. Bereits im letzten Jahr habe man berechnet, dass man rund «15 Minuten zusammen sein muss, damit man sich ansteckt.» Solange werde man einem Jogger allerdings nie begegnen, meint Scheuch. «Joggen, Laufen, Wandern, Spazierengehen, das halte ich für absolut ungefährlich», so der Experte.



Angemerkt sei an dieser Stelle aber auch, dass Expertenmeinungen recht häufig weit auseinander gehen. Wer sich an die Bestimmungen des Bundesamts für Gesundheit (BAG) hält und stets Maske trägt, wo man einen Abstand von 1,5 Metern nicht gewährleisten kann, der macht sicher nichts falsch.

Eine neue Studie hat zudem das Infektionsrisiko für verschiedene Innenräume ermittelt und das mit klaren Aussagen verbunden. Fachleute, darunter auch Scheuch, teilen jedoch nicht alle von ihnen.

Hohes Risiko in Fitnessstudios, Schulen und Büros

Die Forscher der Technischen Universität Berlin haben in einem kurzen Papier Berechnungen zum Ansteckungsrisiko für verschiedene Innenraum-Szenarien veröffentlicht: vom Friseur über den Supermarkt bis hin zu Kino und Fitnessstudio. In den Kalkulationen, die nicht von unabhängigen Experten begutachtet wurden und nicht in einer Fachzeitschrift veröffentlicht sind, fokussieren sich Studienleiter Martin Kriegel und seine Kollegin Anne Hartmann auf gängige Orte wie etwa Theater, Restaurants und Schulen.

Eine Gruppe trainiert im November 2020 mit Maske in einem Schweizer Fitnessstudio. (Archiv)
Eine Gruppe trainiert im November 2020 mit Maske in einem Schweizer Fitnessstudio. (Archiv)
Bild: Keystone

Berücksichtigte Einflussfaktoren sind vor allem die Dauer des jeweiligen Aufenthalts (im Supermarkt mit einer Stunde veranschlagt), der Aktivitätsgrad (im Fitnessstudio hoch) und die Luftzufuhr im Raum. Die Einhaltung der Hygiene- und Lüftungsregeln wird vorausgesetzt, die Schutzwirkung einer Maske mit 50 Prozent einbezogen. Weitere Bedingung: Eine infizierte Person ist zusammen mit anderen im Raum.

Unter den gesetzten Voraussetzungen ist das Risiko beim Coiffeur, in wenig ausgelasteten Museen, Theatern und Kinos, aber auch in Supermärkten demnach vergleichsweise gering. Deutlich höher sei es in Fitnessstudios und vor allem in Klassenzimmern sowie in Grossraum- und Mehrpersonen-Büros.

Grundlegende Fragen unklar

«Es ist von grossem Interesse, typische Situationen miteinander zu vergleichen, um einen generellen Eindruck zu bekommen», sagt Kriegel. Er räumt gleichzeitig ein: «Es ist ein einfaches Abschätzungsmodell, das allerdings auf einem detaillierten Infektions-Risikomodell basiert, das an realen Ausbrüchen validiert wurde.»

Grundlegende medizinische Fragen seien dennoch unklar, etwa wie viele Viren in Aerosolpartikeln und welche Viruskonzentration für eine Infektion notwendig seien. «Man bräuchte eine stärkere interdisziplinäre Zusammenarbeit, um ein umfassendes, ganzheitliches Modell zu erhalten.»

Viele Annahmen

Scheuch indes mahnt zu Vorsicht bei der Interpretation der Resultate: Von der Vielzahl der Einflussfaktoren sei bisher nur ein Teil bekannt, die Studie setze viele Annahmen voraus. «Solche Berechnungen sind unheimlich komplex.» Die Resultate, die das Risiko sehr exakt angeben, erweckten den Eindruck einer Präzision, die es so nicht gebe.

Der Chemiker Jos Lelieveld hebt die vergleichende Gegenüberstellung der Szenarien hervor. «Die Botschaft ist eigentlich simpel», erläutert der Direktor am Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie. «Wenn eine Gruppe von Personen sich mit einem infizierten Menschen längere Zeit in einem geschlossenen Raum aufhält, ist das Ansteckungsrisiko sehr hoch. Über mehrere Stunden reichern sich die virenbeladenen Aerosole an, wobei die infektiöse Dosis erreicht werden kann.»

Dies gelte etwa für Oberstufenschulen, für die sich das Risiko angesichts vergleichbarer Klassen- und Raumgrössen gut abbilden lasse. Auch das Risiko in Büroräumen sei eindeutig. «Diese Aussagen sind richtig und wichtig», betont Lelieveld. «Die Öffentlichkeit sollte verstehen, dass sie mit dem Öffnen der Schulen ein hohes Risiko eingeht.» Auch der Homeoffice-Anteil im Beruf sei in Deutschland noch sehr ausbaufähig.

Alle Eventualitäten betrachten

Andere Aussagen der Studie sieht Lelieveld kritisch – etwa zum Risiko in Hallenbädern, das nach Kriegels Studie beträchtlich ist. Eine Anfrage von einem Schwimmbadverband, das Infektionsrisiko zu berechnen, lehnte Lelieveld ab. «Dafür müsste man für die grossen Hallen die Aerosolströmungen gut simulieren», sagt er. «Das können wir nicht.» Auch für Restaurants und Fitnessstudios seien genaue Angaben schwierig: «Diese Aussagen würde ich so nicht unterstützen.»

Der Physiker Eberhard Bodenschatz betont, dass man relativ gut die Wahrscheinlichkeiten für Infektionen unter gegebenen Bedingungen abschätzen könne. Wichtig sei jedoch, alle Eventualitäten zu betrachten.

Ein Beispiel: Falls sich in einem Restaurant Menschen verabreden, die ohnehin Kontakt zueinander hätten, könnte es sein, dass die ganze Gruppe ansteckend sei, ohne es zu wissen. Dann sei die Wahrscheinlichkeit viel höher, dass sich andere Personen über infektiöse Aerosole anstecken als etwa beim Coiffeur, den Kunden meist unabhängig voneinander besuchten.

Tiefe Fallzahlen wichtig

Unabhängig vom jeweiligen Ort hänge das Risiko enorm von einem Faktor ab: der Verbreitung des Virus in der Bevölkerung. «Wenn die Prävalenz sinkt, sinkt auch die Wahrscheinlichkeit, dass überhaupt eine infizierte Person in einem Raum ist.»

Die Experten betonen, dass politische Entscheidungen auch von vielen anderen Faktoren abhängig seien. Studienautor Kriegel möchte seine Kalkulationen nicht als Vorgabe an die Politik bezüglich möglicher Lockerungen verstanden wissen. «Ich möchte keine Empfehlungen abgeben», betont er. «Wir liefern Informationen. In die Entscheidungsprozesse werden wir nicht eingebunden.»

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