Erste Prüfung, erste Busse Wie eine Herzogin Auto-Pionierin der ersten Stunde wurde

Von Gil Bieler

15.5.2023

Die erste Fahrprüfung der Welt: Anne d'Uzès besteigt ihr Fahrzeug unter den gestrengen Blicken der männlichen Experten.
Die erste Fahrprüfung der Welt: Anne d'Uzès besteigt ihr Fahrzeug unter den gestrengen Blicken der männlichen Experten.
Gemeinfrei

Vor 125 Jahren muss Anne d'Uzès in Paris die weltweit erste Auto-Fahrprüfung ablegen – weil sie eine Frau ist. Doch die Herzogin mit Benzin im Blut lässt sich bis zu ihrem Lebensende nicht ausbremsen.

Von Gil Bieler

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Anne d'Uzès schreibt Autogeschichte: Die französische Herzogin muss im Mai 1898 die erste Fahrprüfung überhaupt absolvieren.
  • Der Grund: Die Männer trauen ihr das Fahren nicht zu.
  • Die umtriebige Herzogin besteht mit Bravour – und bewahrt sich die Liebe zum Auto bis an ihr Lebensende.
  • Anne d'Uzès kämpft an verschiedenen Fronten für die Rechte der Frauen und gründet auch Frankreichs ersten Frauen-Automobilklub.
  • Geschichtsträchtig ist auch die wohl erste Geschwindigkeitsbusse überhaupt, die sie sich einhandelt.

Ein Maitag im Paris des ausklingenden 19. Jahrhunderts: Perfekt für eine Spritzfahrt, denkt sich Anne d’Uzès, eine umtriebige Herzogin mit Benzin im Blut.

Und mit Bleifuss: Weil sie mit überhöhter Geschwindigkeit durch die Pariser Parkanlage Bois de Boulogne braust, schreibt sie Geschichte. Als die erste Person, die wegen zu schnellen Autofahrens gebüsst wird.

Mit 15 statt der erlaubten 12 km/h soll die Herzogin unterwegs gewesen sein, wird überliefert. Sacre bleu! Dafür muss sie ein Bussgeld von 5 Franc berappen.

Dass man sich 125 Jahre später noch an diese Episode erinnert, muss sich Anne d’Uzès hart erkämpfen. Die Französin mischt die von Männern dominierte Autoszene in den Anfangsjahren so stark auf wie nur wenige andere Frauen.

«Die Herzogin ist patentiert!»

Den Männern ist sie mit ihrem Interesse am Automobil hochgradig suspekt. Sie muss daher mit ihrem fabrikneuen Zweizylinder-Delahaye erst eine Fahrprüfung ablegen, bevor man sie für strassentauglich befindet. Diese wird am 15. Mai 1898 durchgeführt, ebenfalls im Bois de Boulogne.

Unter dem gestrengen Blick und «gebührend flankiert von drei Prüfern der Polizeipräfektur» muss die 51-Jährige ihre Fahrkünste unter Beweis stellen. Sie besteht mit Bravour, heisst es bei «Le Progrès» – und wird so zur ersten Person mit einer Art Fahrausweis.

Eine Sensation: «Die Herzogin ist patentiert! Mein Gott, ja, sie ist patentiert und fährt auch noch Auto! Das ist eine sehr wahrheitsgetreue Nachricht, die viele Leute in Erstaunen versetzen wird!», lässt die Zeitung «La vie au grand air» ganz Paris wissen. Die Verkehrsbussen-Premiere folgt dann nur wenige Monate später.

Anne d’Uzès lässt sich aber von nichts und niemandem ausbremsen. Im Gegenteil: Ihre Leidenschaft für das Autofahren bewahrt sie sich bis an ihr Lebensende.

Vierfache Mutter, Witwe – und Rebellin

Geboren wird Anne de Rochechouart de Mortemart am 10. Februar 1847 in die Pariser Oberschicht. Sie erbt von ihrer Urgrossmutter, der Gründerin des Champagnerhauses Veuve Clicquot, 1866 ein beträchtliches Vermögen. Sie heiratet den Herzog von Uzès und bekommt mit ihm vier Kinder, um die sie sich nach seinem Tod im Jahr 1878 kümmert.

Doch genug des familiären Hintergrunds, denn die Herzogin bleibt ja vor allem für ihre zahlreichen Aktivitäten in Erinnerung, die damals für Frauen als eher untypisch gelten: Jagd, Politik, Bildhauerei – unter dem Pseudonym «Manuela» – und eben auch das Auto haben es der umtriebigen Herzogin angetan.

Von «NZZ» bis «Emma» zählen sie viele Publikationen zu den Pionierinnen, die die Geschichte des Automobils mitgeprägt haben. Berühmtheit erreichen sollte etwa auch Bertha Benz, die Frau des Auto-Erfinders Carl Benz, die in Deutschland 1888 die erste Langstreckenfahrt mit dem neuartigen Gefährt wagt.

Dass «Bertha Benz’ automobile Schwestern» – wie sie die «NZZ» nennt – keineswegs mit offenen Armen im Klub der Automobilisten aufgenommen werden, illustriert ein Artikel, der 1902 in der deutschen «Allgemeinen Automobil-Zeitung» erscheint: «Man darf wohl, ohne ungalant zu werden, die Behauptung wagen, dass sich bei den wenigsten Vertreterinnen des zarten Geschlechts jene Eigenschaften finden, die eine gute Automobilistin unbedingt haben muss: Kaltblütigkeit, rasches Auffassen der Situation, blitzartiges Entschliessen, Vorsicht, Niederzwingen des in jedem Automobilisten schlummernden Schnelligkeitswahnsinns

Ein Automobil-Klub nur für Frauen

Doch Herzogin d’Uzès pfeift auf solch starre Rollenbilder. Sie kämpft für die Rechte der Frauen – etwa das Recht, dass Frauen auch ohne Zustimmung ihres Mannes ein Konto eröffnen dürfen – und gründet 1926 Frankreichs ersten Automobilklub nur für Frauen. Dies aus dem einfachen Grund, da sie die anderen Männer-Klubs nicht aufnehmen wollen.

Der Automobile Club féminin stellt zahlreiche Rallyes auf die Beine. Diese bieten den Fahrern und Fahrerinnen «die Möglichkeit, die besten Restaurants Frankreichs und Europas zu geniessen» oder sich in Bergprüfungen zu messen, heisst es bei «Le Progres».

1929 gründet die rastlose Herzogin – jetzt schon über 80 Jahre alt – auch die erste Rallye allein für Frauen. Eines ihrer zahlreichen PS-Abenteuer führt bis nach Rom, wo Papst Pius XI. die Autos aller Fahrerinnen segnet.

Ob es an dem geistlichen Beistand liegt? Mit 86 Jahren erreicht Anne d’Uzès jedenfalls ein beachtliches Alter. Am 3. Februar 1933 verstirbt sie in Paris auf Schloss Dampierre – «nicht ohne sechs Jahre zuvor ihre Lufttaufe im Ballon und später im Flugzeug gefeiert zu haben», wie «Le Progres» betont.

Ihre Errungenschaften, aber auch ihr Kampf haben überdauert: In Saudi-Arabien ist es Frauen erst seit 2018 erlaubt, Auto zu fahren.

Worin dieser hartnäckige Widerstand gegen Frauen am Steuer gründen könnte, dazu hat das feministische Magazin «Emma» eine psychologische Erklärung parat: «Weibliche Mobilität ist den meisten Männern suspekt. Sie zeigt Unabhängigkeit, Selbstbewusstsein, Freiheit und kratzt an männlichen Positionen. Eine Frau, die jederzeit entscheiden kann, wohin sie geht und fährt, entzieht sich patriarchalem Einfluss, Schutz und Macht.»

Anne d'Uzès hätte daran womöglich eine diebische Freude gehabt.

Anne d'Uzès gründet den ersten Automobil-Klub nur für Frauen – und bleibt bis zu ihrem Tod dessen Präsidentin.
Anne d'Uzès gründet den ersten Automobil-Klub nur für Frauen – und bleibt bis zu ihrem Tod dessen Präsidentin.
Bild: Gemeinfrei