Infektiologe «Mit Affenpocken droht keine Pandemie wie bei Aids»

sda

29.7.2022 - 05:23

Mit Affenpocken droht keine Pandemie wie bei Aids. Dieser Ansicht ist der Infektiologe Pietro Vernazza. (Archivbild)
Mit Affenpocken droht keine Pandemie wie bei Aids. Dieser Ansicht ist der Infektiologe Pietro Vernazza. (Archivbild)
Keystone

Mit Affenpocken droht keine Pandemie wie bei Aids. Dieser Auffassung ist der Infektiologe Pietro Vernazza. Zwischen den beiden Erkrankungen gebe es drei wesentliche Unterschiede, sagte er in einem Zeitungsinterview.

Zunächst würden Affenpocken nicht übertragen, wenn die infizierte Person noch keine Symptome wie Pockenbläschen und Pusteln habe, sagte Vernazza im am Freitag veröffentlichten Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung». Infizierte wüssten also, dass sie ansteckend seien.

Immunität nach Abheilung

Zum zweiten seien an Affenpocken Erkrankte nicht lange ansteckend. Wenn die Pusteln ausgeheilt seien, sei die Person immun. Bei den Aids verursachenden HI-Viren sei das anders: Sichtbare Symptome zeigten sich meist erst Jahre nach der Ansteckung, doch ansteckend seien Infizierte bereits davor.

Zum dritten sind laut Vernazza Affenpcken-Viren gemäss derzeitigem Stand des Wissens kaum via Blut übertragbar. «Für eine Übertragung von Affenpockenviren braucht es enge körperliche Kontakte, es geschieht derzeit fast immer durch sexuelle Kontakte», sagte der Infektiologe.

Mit Isolation lässt sich laut Vernazza die Krankheit in den Griff bekommen. Wer infiziert sei, solle verhindern, dass die mit Pusteln und Bläschen befallenen Stellen am Körper mit anderen Menschen in Kontakt kämen. Wer um eine Infektion wisse, werde die Zahl der engen sexuellen Kontakte vorübergehend stark reduzieren.

Stigmatisierung kontraproduktiv

Die in der Schweiz bisher gemeldeten Affenpocken-Fälle betrafen fast ausschliesslich Männer, die sexuelle Kontakte mit anderen Männern haben. Wichtig ist laut Vernazza eine unvoreingenommene, sachliche und vor allem motivierende Information dieser Personen. Stigmatisierung und Zwangsmassnahmen seien kontraproduktiv.

Vernazza äusserte sich überzeugt, dass in der Schweiz der Ausbruch der Affenpocken noch dieses Jahr wieder abflauen wird. Ausbrüche könne es zwar immer wieder geben, aber die Hauptbetroffenen würden jetzt lernen, mit der Krankheit umzugehen und ihr Verhalten anzupassen.

Eine Impfung gegen Affenpocken ist in der Schweiz bisher nicht zugelassen. Vernazza will mit der Impfung «nichts überstürzen», wie er sagte. Vor dem grossflächigen Einsatz einer Impfung wolle er mehr Daten zur Sicherheit des zurzeit angebotenen Impfstoffes sehen.

Anderer Meinung ist der Zürcher Infektiologe Jan Fehr, sagte er am Freitag im Schweizer Radio SRF. Es sei an der Zeit, einen Gang höher zu schalten, damit die Impfung rasch erhältlich sei. Sonst riskiere man eine Ausbreitung der Krankheit. Auch für die Aids-Hilfe Schweiz befürwortet eine Impfung.

Bisher wurden in der Schweiz rund 260 laborbestätigte Ansteckungen gezählt, wie das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf seiner Webseite schreibt. Am vergangenen Samstag rief die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wegen Affenpocken einen internationalen Gesundheitsnotstand aus.

Pietro Vernazza ist ehemaliger Chefarzt der Klinik für Infektiologie und Spitalhygiene am St. Galler Kantonsspital. Ende August 2021 ging er in Pension.

sda