Düstere Aussichten Extremwetter wird auch in der Schweiz häufiger
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9.8.2021
Der neue Weltklimabericht spricht eine deutliche Sprache: Die drastischen Folgen der Klimaerwärmung werden sich immer häufiger zeigen. Und der bisherige Klimaschutz reicht nicht aus.
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09.08.2021, 11:02
10.08.2021, 05:29
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Starkregen und Hochwasser in der Schweiz und Deutschland sowie Hitzewellen in Südeuropa – extreme Wetterereignisse wie in den vergangenen Wochen werden in Zukunft häufiger und heftiger auftreten. In seinem neuen Bericht schlägt der Weltklimarat IPCC deutliche Töne an.
Meeresspiegelanstieg, Eisschmelze, mehr Hitzewellen, Dürren und Starkregen lassen sich nach den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen deutlich sicherer vorhersagen als bisher. Das geht aus dem Bericht über die physikalischen Grundlagen des Klimawandels hervor, der heute in Genf veröffentlicht wurde.
Die Fakten sind alarmierend: «Es ist sehr wahrscheinlich, dass Episoden mit Starkniederschlägen in den meisten Regionen mit einer weiteren Klimaerwärmung intensiver und häufiger werden», heisst es. Belegt ist auch, dass der Meeresspiegel weiter ansteigt und das Eis weiter schmilzt. «Sehr wahrscheinlich» heisst: mit 90 bis 100-prozentiger Sicherheit.
Die Rolle des Menschen ist jetzt viel klarer
Über 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 66 Ländern, darunter fünf aus der Schweiz, arbeiteten im ersten Teil des sechsten Sachstandberichts die naturwissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels auf. Seit dem letzten Sachstandbericht vor sieben Jahren sei die Sicherheit vieler Aussagen dank mehr Daten, besserem Verständnis der physikalischen Prozesse und verbesserter Modelle deutlich gestiegen, so die Schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften (SCNAT).
Vieles ist klarer geworden, unter anderem die Rolle des Menschen, der jetzt eindeutig als Hauptverursacher des Klimawandels gilt. «Bei einigen der jüngst beobachteten Hitzewellen ist es extrem unwahrscheinlich, dass sie ohne menschlichen Einfluss so aufgetreten wären», sagt Sonia Seneviratne, Professorin an der ETH Zürich und koordinierende Leitautorin des Kapitels zu den Änderungen in Wetter- und Klimaextremen, in einer Mitteilung der SCNAT.
Das Ausmass der jüngsten Veränderungen im gesamten Klimasystem und der gegenwärtige Zustand vieler Aspekte des Klimasystems sind dem IPCC zufolge seit vielen Jahrhunderten bis Jahrtausenden beispiellos.
CO2-Emissionen ausser Rand und Band
«Der Bericht zeigt, dass die atmosphärische CO2-Konzentration im Jahr 2019 47 Prozent höher war als zu Beginn der Industrialisierung und insgesamt höher als je zuvor in den letzten 2 Millionen Jahren», liess sich Gian-Kasper Plattner von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) und einer der Leitautoren des Berichts zitieren. Die globale Oberflächentemperatur lag zwischen 2011 bis 2020 um durchschnittlich etwa 1,1 Grad Celsius höher als in vorindustrieller Zeit (1850 bis 1900).
«Ursache der globalen Klimaerhitzung und von zusätzlichen Hitzewellen, Dürren, Feuer, Starkniederschlägen, und Überschwemmungen sind die ausser Rand und Band geratenen, mensch-verursachten CO2-Emissionen aus der Verbrennung von Kohle, Erdöl, und Gas», sagte Fortunat Joos, Professor für Klimaphysik an der Universität Bern, gemäss dem Science Media Center: «Wir sind zusammen mit der fossilen Energiewirtschaft gerade dabei, das Klimasystem in wenigen Jahrzehnten weit über den natürlichen Bereich der vergangenen Millionen Jahre hinaus zu katapultieren», so der Berner Forscher, der nicht am aktuellen Bericht mitgewirkt hat.
Der Meeresspiegel steigt – egal was jetzt passiert
Die Forschenden äussern sich im Bericht auch zur Gletscher- und Poleisschmelze und zum Anstieg des Meeresspiegels. So seien der Anstieg des Meeresspiegels oder das Abschmelzen der Eiskappen bereits heute für Hunderte oder Tausende von Jahren unumkehrbar, sagte Plattner. Dem IPCC-Bericht zufolge wird der Rückzug der Gletscher auch dann noch Jahrzehnte andauern, wenn sich die globalen Temperaturen stabilisieren. Doch je rascher die Treibhausgasemissionen eingedämmt werden, umso mehr können die Erwärmung und deren Folgen minimiert werden.
Selbst, wenn es gelingen sollte, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, dürfte der Meeresspiegel Ende des Jahrhunderts um bis zu 62 Zentimeter höher sein als 1995-2014. Klimaneutralität heisst, dass nur noch höchstens so viel Treibhausgas ausgestossen wird wie Senken aufnehmen können.
Der Weltklimarat entwirft für die Erderwärmung fünf Szenarien. Darunter sind zwei, in denen die Welt etwa 2050 Klimaneutralität erreicht und danach mehr CO2 speichert als ausstösst. Nur damit könnte der Anstieg der Mitteltemperatur Ende dieses Jahrhunderts bei 1,8 Grad oder darunter bleiben.
Bei gleichbleibenden Emissionen bis 2050 würde die Temperatur Ende dieses Jahrhunderts um 2,1 bis 3,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau liegen. In zwei weiteren Szenarien mit mindestens der Verdoppelung der CO2-Emissionen bis Mitte des Jahrhunderts wäre ein Anstieg der Temperatur um bis 5,7 Grad möglich.
«Wenn man sich anschaut, was die einzelnen Regierungen für den Klimaschutz zugesagt haben, würde man im Moment am ehesten im mittleren Szenario landen», sagte Mitautor Dirk Notz vom deutschen Max-Planck-Institut für Meteorologie. «Für die Zukunft bleibt aber natürlich unklar, ob die Zusagen eingehalten werden oder ob die Regierungen andererseits ihre Bemühungen noch verstärken werden.»
Extremwetter wird auch in der Schweiz häufiger
Die Schweiz wird sich den Entwicklungen nicht entziehen können: Denn laut dem Bericht erwärmen sich die Landmassen grundsätzlich stärker als das globale Mittel, und Wetterextreme werden regional unterschiedlich auftreten. «Hitzewellen, Starkniederschläge und landwirtschaftliche und ökologische Dürren werden in Westzentral-Europa, und deshalb auch in der Schweiz, mit zunehmender globaler Erwärmung vermehrt auftreten und intensiver werden», so Seneviratne.
Im kommenden Jahr sollen zwei weitere Teile des Weltklimaberichts zu den Folgen des Klimawandels und Möglichkeiten der Anpassung sowie zu Wegen zu einer Minderung der Treibhausgasemissionen folgen. Den Abschluss bildet ein Synthesebericht. Im Hintergrund steht dabei die Frage, wie das Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens noch erreicht werden kann, die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad, mindestens aber deutlich unter zwei Grad zu begrenzen.
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