KolonialismusGeneral Sutter, ein Schweizer Held (und Kinderhändler)
Von David Eugster
29.6.2020
General Sutter galt den Schweizern als Leuchtturm helvetischen Erfolgsstrebens in den USA. Bis ein Blick in die Archive mehr Gräuel- als Heldentaten zeigte. Eine Geschichte über den Wunsch zu vergessen.
Ja, die Schweiz hatte keine eigenen Kolonien. Doch der Kolonialismus war nicht nur ein Eroberungsprojekt einiger Nationen, sondern auch die Grundlage der Industrialisierung und damit des globalen Kapitalismus: Wer beispielsweise die Wege der Baumwolle verfolgt, die nach 1800 in Schweizer Fabriken zu Wohlstand verarbeitet wurde, landet unweigerlich auf amerikanischen Plantagen, auf denen Menschen schufteten, die als Sklaven aus Afrika verschleppt worden waren.
Genauso wie das Geld machten auch die Menschenbilder, die die Unterwerfung ganzer Länder rechtfertigten, sicher nicht ausgerechnet vor der Schweizer Grenze halt. Der Kolonialismus durchdrang und durchdringt auch die Schweizer Alltagskultur: In den Namen von Kolonialwaren, den «dummen Wilden» in Kindermärchen und Abenteuergeschichten von denen, die auszogen, um die Welt zu erobern. Eine solche Geschichte ist die des Schweizer Wildwesthelden Johann August Sutter.
General Sutter: Ein Held
Sutter wuchs in der Region um Basel auf, versuchte sich nach einer kaufmännischen Ausbildung als Händler. Er scheiterte und ging den Weg, den die Hoffnungslosen und Hungrigen im 19. Jahrhundert oft gingen: 1834 schiffte er nach Amerika über. Fünf Jahre später landete er letztlich in Kalifornien. Dort gründete er die Kolonie «Neu-Helvetia» und liess sich fortan stolz «General Sutter» nennen.
Geschickt bewirtschaftete er das brache Land, hiess es, und verdiente ein Vermögen am Sacramento River. Doch dann wurde ein Goldnugget in einer Baugrube entdeckt, seine Arbeiter rannten, vom Goldfieber gepackt, von seinen Feldern – und Horden von Goldgräbern verwüsteten Sutters mühevoll aufgebautes Paradies. Später versuchte er in Gerichtsprozessen, etwas davon zu retten, was ihm Rachsucht und noch mehr Gewalt eintrug.
Sutters tragische Geschichte fand internationale Aufmerksamkeit: Der österreichischer Schriftsteller Stefan Zweig widmete ihm ein Kapitel in seinem Buch über die «Sternstunden der Menschheit», dort steht Sutter neben Genies wie Tolstoi und Goethe. Am Schluss erscheint Sutter als «alter, geistesschwacher, schlechtgekleideter Mann», der in Washington um den Justizpalast zieht – ein bemitleidenswertes Opfer der Geschichte.
Man liebte diesen Plot vom aufstrebenden Habenichts, der durch Fleiss und Fähigkeit im Niemandsland ein Reich aufbaut, das dann von der Goldsucht anderer zerstört wurde. In den USA und in der Schweiz wurden Schulen und Strassen nach Sutter benannt.
1953 errichtete Rünenberg BL seinem Bürger, der dort nie gewohnt hatte, ein Denkmal. In den 1980er-Jahren kam die Idee auf, man müsse diesem grossen Schweizer auch in seiner Wirkungsstätte in Sacramento ein Denkmal setzen. Die Triebkräfte dahinter waren Parlamentarier aus Basel-Land, Auslandschweizer in Sacramento, aber auch Vertreter der General Sutter Distillery in Sissach und das Tourismusunternehmen United Swiss Lodge of California – die Erinnerung an den Helden sollte eine Schweizer Leistung ehren, aber auch etwas Werbung machen. 1987 wurde die Statue in Sacramento errichtet, mit Schweizer Geld.
Der Bankrotteur, der mit Kindern handelte
Anfang Juni 2020 wurde die Statue im Rahmen der Black-Lives-Matter-Demonstrationen mit roter Farbe attackiert, vor einigen Tagen wurde sie durch die Stadt Sacramento offiziell entfernt. Dass Sutter vom Sockel geholt wird, ist nicht zuletzt auch der Basler Historikerin Rachel Huber zu verdanken, die sich längst vorliegende Quellen noch einmal genauer angeschaut hat. Darin zeigt sich ein erschreckend anderes Bild des Schweizer «Helden».
Nachdem Sutter Frau und Kinder zusammen mit seinen Schulden in der Schweiz sitzen lassen hatte, errichtete er nach einigen Rückschlägen eine kleine Willkürherrschaft im Wilden Westen: In seinem Neu-Helvetien arbeiteten mehrere hundert Indigene unter schlechtesten Bedingungen. Viele von ihnen waren von Sutter mit Tricks und Gewalt in die Zwangsarbeit gedrängt worden. Wer nicht gehorchte, wurde ausgepeitscht.
Mehrere Augenzeugen beschrieben unabhängig voneinander, dass Sutter diese Menschen wie Tiere hielt: Essen erhielten sie aus Fresströgen, aus denen sie mit den Händen gekochten Weizen schöpften. Der Glarner Heinrich Lienhard, Aufseher in Neu-Helvetien, schrieb in seinen Erinnerungen, die Abspeisung der Indigenen habe ihn an «das Füttern einer Anzahl Schweine» erinnert. Schlafen mussten sie eingesperrt in Ställen, ohne jede Einrichtung und sanitäre Anlagen.
Trotz der billigen Arbeitskräfte kann Sutters Fort nicht sehr profitabel gewesen sein, er steckte zeitlebens in Schulden. Um diese zu tilgen, betrieb er noch einen anderen Geschäftszweig neben der Landwirtschaft. Mit einer kleinen Privatarmee jagte er rebellische Indigene – die Männer erschoss er, die Frauen und Kinder verkaufte er, wenn er sie nicht für sein persönliches Harem rekrutierte. Wenn Sutter je schwarze Zahlen schrieb, dann auf Grund seines Handels mit indigenen Sklaven, mit einer besonderen Spezialisierung auf Kinder.
Kolonialer Gedächtnisverlust
Sutters Geschichte ist ein gutes Beispiel dafür, was Historikerinnen und Historiker als «koloniale Amnesie» beschreiben: Man bevorzugt die Glorifizierung der Epoche anstelle der Wahrheit. Die Behauptung, man habe es damals halt nicht besser gewusst, stimmt selten. Sutter wurde bereits von Zeitgenossen verachtet und auch als in den 1980er-Jahren für Sutters Denkmal geweibelt wurde, lag einiges an Forschungsliteratur bereits vor.
Auch Schweizer Kritiker meinten damals, der selbsternannte General sei eine zwielichtige Figur gewesen, der insbesondere an der indigenen Bevölkerung Verbrechen begangen hätte. Doch der Präsident des Regierungsrats Basel-Land, Paul Nyffeler, hielt das für vernachlässigbar, schliesslich habe Sutter die Schweiz vor über 150 Jahren verlassen. Während das Heldentum repatriiert wurde, überliess man die Grausamkeit im Dunklen dem Ausland
Im texanischen Houston marschierten Zehntausende im Gedenken an den getöteten George Floyd.
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Demonstrationen fanden am Dienstag unter anderem auch in Los Angeles, New York und Washington statt.
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Bei einem Gedenkmarsch in Los Angeles kniete Bürgermeister Eric Garcetti nieder.
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Der gewaltsame Tod von George Floyd bewegt in den USA die Gemüter. Der Afroamerikaner war am 25. Mai bei einem Polizeieinsatz in Minneapolis brutal getötet worden, obwohl er unbewaffnet war.
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Ein weisser Polizist hatte fast zehn Minuten lang sein Knie in den Nacken des am Boden liegenden Floyd gedrückt, bis dieser das Bewusstsein verlor. Floyd hatte mehrfach gesagt, er bekomme keine Luft.
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Die Polizei hat Floyd angehalten, weil er mit einer gefälschten Banknote bezahlt haben soll. Der Bruder des Opfers (im weissen T-Shirt) trauert an der Todesstelle in Minneapolis.
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Auch in zahlreichen anderen Städten gehen die Menschen auf die Strasse, um gegen Polizeigewalt gegen Schwarze zu demonstrieren. Hier etwa in New York ...
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... und in Charlotte im Bundesstaat North Carolina.
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Wie hier in Seattle verlaufen die Demonstrationen oft friedlich, doch ...
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... kommt es auch zu Gewalt, Sachbeschädigungen und Plünderungen. Hier haben Randalierer in Philadelphia ein Polizeiauto in Brand gesetzt.
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Los Angeles im Jahr 2020: In der Westküstenmetropole wecken solche Bilder Erinnerungen an die schweren Unruhen von 1992. Damals gab es Dutzende von Toten, nachdem Polizisten freigesprochen wurden, die den Afroamerikaner Rodney King bei einer Verhaftung massiv verprügelt hatten.
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Bereits wurden Tausende Festnahmen aus zahlreichen US-Städten gemeldet. Im Bild ein Demonstrant in Washington.
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«Black Lives Matter», auch die Leben von Schwarzen zählen – so lautet das Motto der Protestbewegung ...
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... die auch von vielen Weissen unterstützt wird.
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Am Montagabend, 1. Juni, liess US-Präsident Donald Trump die Polizei mit Tränengas gegen die Demonstranten vor dem Weissen Haus vorgehen.
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Der Grund dafür wurde später klar: Trump lief öffentlichkeitswirksam zu Fuss zum nahegelegenen Lafayette-Park ...
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... wo er sich mit einer Bibel in der Hand vor der historischen St.-John's-Kirche fotografieren liess. Für diese Aktion wurde Trump unter anderem von der für die Kirche zuständigen Bischöfin kritisiert.
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Auch nach einer Woche ist die Protestwelle noch nicht abgeflacht. Trump droht Staaten und Gemeinden, die «zu wenig» gegen die Proteste unternähmen, mit dem Militär.