Die jüngsten Extremwetterereignisse haben am Montag die Auftaktsitzung des Weltklimarats dominiert. Als der 2014 zuletzt umfassend über den Zustand des Klimas berichtet hat, war die Welt längst nicht mehr in Ordnung, aber es gab einen ganz entscheidenden Unterschied zu heute.
26.07.2021, 21:02
26.07.2021, 21:59
dpa/toko
Die jüngsten Überschwemmungen in Deutschland und andere Extremwetterereignisse haben die Auftaktsitzung des Weltklimarats (IPCC) dominiert. Alle Redner erwähnten am Montag die Tragödien, verbunden mit dem Aufruf: Die Welt muss aufgerüttelt durch die Ereignisse dringend handeln, um den Klimawandel abzumildern.
Jahrelang hat die Politik sich wenig geschert um die Berichte des Weltklimarats, der seit den 90er Jahren vor verheerenden Folgen der Erderwärmung warnt. Frustrierend sei das gewesen, sagte am Montag der heutige Chef der Weltwetterorganisation (WMO), Petteri Taalas. Ein Grund: Nach den Prognosen mit starkem Temperaturanstieg kam eine lange Pause: von 1998 bis 2014 veränderte sich die globale Mitteltemperatur kaum. Die Wissenschaftler kratzen sich am Kopf.
«Nicht, das jemand Zweifel an den Grundlagen gehabt hätte», sagt Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg der Deutschen Presse-Agentur. «Aber man fragt sich, wenn so ein Phänomen auftritt, das man nicht vorhergesehen hat: Wo sind die Grenzen unserer Erkenntnis?» Schon frohlockten Klimawandel-Skeptiker, aber dann kam es ganz dicke.
Kaum war der 5. IPCC-Sachstandsbericht 2013/2014 raus, stieg die globale Mitteltemperatur dramatisch an. Die vergangenen sechs Jahre – 2015 bis 2020 – waren die wärmsten seit Messbeginn. 2016, 2019 und 2020 waren mit minimalen Unterschieden die drei heissesten Jahre. Dass sich von 1998 bis 2014 wenig tat, war eine normale Schwankung, aber statistisch ein Extremereignis, sagt Marotzke, «so, als wenn man bei «Mensch ärgere Dich nicht» acht Mal hintereinander eine 6 würfelt.»
Am 9. August erscheint nun der mit Spannung erwartete erste Band des neuen Sachstandsberichts über die naturwissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels. Am Montag begann die zweiwöchige Sitzung der Regierungsvertreter, die die Arbeit der Wissenschaftler absegnen und zur Veröffentlichung freigeben. Der Bericht ist Handlungsgrundlage für Politiker bei der Weltklimakonferenz im November in Glasgow. «Es ist wichtig, dass wir so schnell wie möglich Massnahmen zu Minderung der Folgen der globalen Erwärmung ergreifen. Wir können nicht Jahrzehnte warten», sagte Taalas am Montag.
Was ist von dem Bericht zu erwarten? «Der Fokus hat sich verschoben», sagt Douglas Maraun, ein deutscher Mitautor und Experte für statistische Modellierung an der Universität Graz in Österreich der dpa. «Früher war die Hauptfrage: ‹Was ist der Anteil des Menschen am Klimawandel?› Diese Frage ist beantwortet. Jetzt geht es mehr in Richtung Klimarisiken. Jetzt braucht man einen Bericht als Grundlage für Anpassungen.» Dazu gehören zum Beispiel möglichst gute Vorhersagen für den regionalen Klimawandel.
Deshalb enthält der neue Bericht erstmals einen interaktiven regionalen Atlas. Dort kann man schauen, welche regionalen Auswirkungen bestimmte Klimaindikatoren voraussichtlich zu bestimmten Jahreszeiten haben, wie Maraun sagt. Das lasse sich zwar nicht auf Länderebene herunterbrechen, aber auf Regionen, Mittel-West-Europa etwa, wozu Deutschland zählt.
Erwärmung durch weniger Luftverschmutzung
«Die Sommertemperaturen steigen hier deutlich stärker als von Klimamodellen simuliert», sagt Maraun. «Es wird erforscht, welche Rolle dabei Aerosole und natürliche Schwankungen spielen.»
Aerosole, die etwa durch Vulkanausbrüche oder Wüstenstürme, aber auch Verbrennung von fossilen Brennstoffen entstehen, haben meist eine kühlende Wirkung und wirken den Treibhausgasen entgegen. Durch die Verbesserung der Luftqualität seit den 70er Jahren könnte dieser Effekt teilweise ausgeschaltet worden sein.
In Deutschland etwa ist der Klimawandel aus verschiedenen Gründen stärker zu spüren als im Durchschnitt auf der Erde. Weltweit stieg die Temperatur um durchschnittlich rund 1,1 Grad über das vorindustrielle Niveau, in Deutschland um rund 1,6 Grad seit 1881, wie Mitautorin Astrid Kiendler-Scharr vom Forschungszentrum Jülich sagt.
Weitere Kennzahlen für Deutschland: Sonnenscheindauer: plus 17 Prozent seit 1981, Anzahl heisse Tage: plus 196 Prozent seit 1951, Anzahl Tage mit Starkregen: plus fünf Prozent seit 1951, Meeresspiegelpegel: plus 42 Zentimeter in Cuxhaven seit 1843.
Thema sei auch der Meeresspiegelanstieg, sagt Marotzke, ebenfalls Mitautor. «Diese Frage wird in der Wissenschaft heiss diskutiert.» Die grössten Unsicherheitsfaktoren seien die grossen Eisschilde von Grönland und der Antarktis und ihre möglichen Instabilitäten.
Was hat sich getan seit dem letzten Bericht? «Mir fällt spontan nichts ein, wo Dinge weniger dramatisch waren, als es die Modelle vorausgesagt haben», sagt Maraun. Er sei aber «milde optimistisch»: «Die Klimaschutzpolitik bewirkt etwas, wir sind noch lange nicht auf dem grünen Zweig, aber das ganz Dystopische wird unwahrscheinlicher.» Das Ziel des Klimaabkommens von Paris, möglichst unter 1,5 Grad Erwärmung zu bleiben, sei aber «sportlich». Maraun bezeichnet diejenigen als Optimisten, die von drei Grad Erwärmung ausgehen.
Eine Herausforderung, so Maraun, sei es, den Klimaschutz im Einklang mit der Biosphäre zu gestalten. «Wenn man überall Raps und Energiewälder anbaut, hat man das Klima vielleicht geschützt, aber zerstört die Artenvielfalt», sagt er.
Marotzke hadert mit Aktivisten, die mit Untergangsszenarien Stimmung machen: «Ich habe Mühe mit dem Konzept «point of no return», dem Punkt, an dem die Klimawandelfolgen unumkehrbar sind. Klar werden wir einiges unwiderruflich verlieren, etwa Korallenriffe. Aber wenn die Katastrophenlyrik besungen wird, klingt das so, als ob da dieser Punkt kommt, und danach geht die Welt unter, egal was wir tun», sagt er. «Diesen Punkt gibt es nicht. Es lohnt sich immer, weitere Erwärmung zu verhindern oder zu begrenzen.»