Flugzeugabsturz am StadlerbergDer Copilot wollte noch durchstarten, doch der Pilot war dagegen
Von Tobias Bühlmann
14.11.2020
Es war eines der schwersten Flugzeugunglücke in der Schweizer Geschichte: Heute vor 30 Jahren stürzte eine Alitalia-Maschine beim Landeanflug auf Zürich ab.
Es ist der Abend des 14. November 1990. Alitalia-Flug 404 ist unterwegs von Mailand Linate nach Zürich, an Bord befinden sich 40 Passagiere und sechs Besatzungsmitglieder. Ein kurzer Flug über die Alpen, landen soll die DC-9 in Kloten auf Piste 14. Die Maschine wird von der Flugverkehrsleitung hinter einem Flieger der Finair für die Landung eingereiht, der Jet soll mit Hilfe des Instrumentenlandesystems aufsetzen.
Geflogen wird die Maschine zu jenem Zeitpunkt vom Copiloten, der Kapitän assistiert ihm dabei – auch wenn die beiden dabei keineswegs auf Augenhöhe agieren. Die Maschine befindet sich im Sinkflug auf Zürich, eigentlich sieht alles gut aus: Alitalia 404 ist auf dem richtigen Kurs und im richtigen Fallwinkel. Dass eines der entscheidenden Instrumente dabei einen falschen Wert anzeigt, ist im Cockpit keinem bewusst.
Bei der Flugverkehrsleitung verläuft ebenfalls alles wie gewohnt. Dass die DC-9 aus Mailand viel zu tief anfliegt, erkennt der Fluglotse nicht. Doch um 19.11 Uhr verschwindet die Maschine plötzlich vom Radar. Kontaktversuche bleiben ohne Antwort. Also fragt der Lotse das nachfolgende Flugzeug, ob zwei Meilen (gut drei Kilometer) voraus ein Flugzeug zu sehen ist. Der Pilot entgegnet: «Am Boden gibt es ein Feuer, aber wir haben keine Maschine in Sicht.»
Die Antwort löst einen Grosseinsatz der Flughafenfeuerwehr aus, die sofort zum Punkt des letzten Radarkontakts am Stadlerberg ausrückt. Dort finden die Retter das brennende Wrack von Alitalia 404 – aber keine Überlebenden. Alle 46 Menschen an Bord sind bei dem Absturz ums Leben gekommen. Es ist einer der schwersten Flugunfälle, den die Schweiz je erlebt hat.
Der Copilot versuchte noch die Rettung
Die Behörden schalten noch am selben Abend das damalige Büro für Flugunfalluntersuchungen ein, das umgehend die Arbeit aufnimmt. Bei den Nachforschungen der Ermittler zeigt sich, dass ein entscheidendes Instrument der DC-9 fehlerhaft war: das sogenannte Kreuzzeiger-Instrument. Es zeigt an, ob die Maschine im Landeanflug die richtige Richtung eingeschlagen hat und ob sie sich in der korrekten Flughöhe befindet.
Im Cockpit der DC-9 befanden sich zwei dieser Geräte. Arbeiten sie korrekt, zeigen sie beide identische Werte an – doch das war in der Unglücksmaschine nicht der Fall: Das Instrument des Kapitäns war defekt, es zeigte eine falsche Flughöhe an – die Maschine flog in Wahrheit gut 300 Meter tiefer. Die Fehlfunktion liess sich aber nicht ohne Weiteres erkennen, der entsprechende rote Balken auf dem Instrument war nicht sichtbar.
Als es an den Landeanflug in Zürich ging, stellte der Kapitän zwar fest, dass die beiden Kreuzzeiger-Instrumente nicht dieselben Werte anzeigten. Er entschied sich aber kurzerhand und ohne dem Fehler auf den Grund zu gehen, das Gerät Nr. 1 zu verwenden – eine folgenschwere Entscheidung, die wenige Minuten später zur Tragödie führen würde.
Der Kapitän strahlte Sicherheit und Autorität aus, behandelte den fliegenden Copiloten nicht als gleichberechtigten Fachmann, sondern als Schüler, wie die Auswertung des Stimmenrecorders später zeigte. Der Copilot war zwar verunsichert und setzte kurz vor dem Einschlag in die Flanke des Stadlerbergs zum Durchstarten an. Doch der Kapitän hielt ihn vom Manöver ab – und besiegelte damit endgültig den Weg in die Katastrophe.
«Unzweckmässige Zusammenarbeit» im Cockpit
Der Schweizer Dokumentarfilmer Kurt Schaad hat die Katastrophe in einem Dok fürs Schweizer Fernsehen aufgearbeitet. Dabei stützte er sich auf den Untersuchungsbericht des Büros für Flugunfalluntersuchungen, zudem hatte er umfassenden Einblick in die Aufzeichnungen, auf die sich der Bericht stützt.
Im Film wird ersichtlich: Das defekte Instrument allein hat nicht zum Absturz von Alitalia 404 geführt. Vielmehr handelte es sich um eine Verkettung unglücklicher Umstände. Informationen über mögliche Fehlfunktionen wurden nicht weitergereicht, bei der Flugverkehrsleitung überwachte nichts und niemand die korrekte Flughöhe – und das Autoritätsgefälle im Cockpit verhinderte offenbar, dass der Copilot seine Bedenken und seine Verunsicherung zum Ausdruck bringen konnte – im Schlussbericht ist von «unzweckmässiger Zusammenarbeit der Piloten im Anflug» die Rede.
Der Bericht der Untersuchungsbehörde gab darum gut zwei Jahre nach der Tragödie eine ganze Reihe von Empfehlungen ab, die weitere Katastrophen dieser Art verhindern sollten. In der Folge wurden etliche Regeln geändert oder neu erlassen, bestimmte fehleranfällige Instrumente werden nicht mehr eingesetzt. Und auch beim Umgangston im Cockpit hat sich seither einiges geändert. Heute ist das Autoritätsgefälle dort kleiner, sodass Bedenken ausreichend Platz finden.
Die 46 Menschen, die an jenem Novemberabend 1990 den Tod fanden, bringen diese Erkenntnisse allerdings nicht zurück. Noch heute erinnern an der Absturzstelle ein Kreuz und ein Gedenkstein an sie.