Russische Wirtschaft Laufen die Sanktionen des Westens ins Leere?

Von Oliver Kohlmaier

2.2.2023

Die russische Wirtschaft profitierte auch von den hohen Energiepreisen.
Die russische Wirtschaft profitierte auch von den hohen Energiepreisen.
Stringer/dpa (Archivbild)

Trotz drastischer Sanktionen des Westens erweist sich die russische Wirtschaft als erstaunlich robust, auch die Prognosen sind nicht schlecht. Warum ist das so?

Von Oliver Kohlmaier

2.2.2023

Infolge des Angriffskrieges gegen die Ukraine belegten westliche Staaten Russland mit teils drastischen Sanktionen. Die Hoffnung dabei: Den Angreifer so wirtschaftlich in die Knie zwingen.

Diese Erwartungen haben sich bislang jedoch nicht erfüllt, wie der neue «World Economic Outlook» des Internationalen Währungsfonds (IWF) nahelegt. Neben der Prognose für die gesamte Weltwirtschaft hob die Organisation auch jene für Russland überraschend deutlich an.

So soll die Volkswirtschaft mit 0,3 Prozent sogar leicht wachsen. Für das Folgejahr erhöhte das IWF seine Wachstumsprognose gar auf 2,1 Prozent. 

Und auch im vergangenen Jahr ist die russische Wirtschaft nach zunächst düsteren Prognosen um lediglich 2,2 Prozent geschrumpft — von einem «Einbruch» kann also keine Rede sein.

Höheres Wachstum als Deutschland

Damit sagen die Ökonomen für Russland ein höheres Wachstum voraus als etwa für Deutschland. Warum erweist sich die russische Wirtschaft als so robust? Schliesslich waren manche Expert*innen im vergangenen Frühjahr noch davon ausgegangen, dass die russische Wirtschaft um zehn Prozent und mehr einbrechen werde.

Der IWF selbst prognostizierte zunächst einen Rückgang der Wirtschaftsleistung zwischen acht und neun Prozent, korrigierte in den Folgeberichten jedoch stets nach unten.

Russland profitiert von hohen Energiepreisen

Der Hauptgrund für die Resilienz der russische Wirtschaft entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn das Land profitiert bislang von den hohen Energiepreisen, die ihrerseits erst durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine und teils durch Sanktionen in die Höhe schnellten.

Jenes Erdöl und Erdgas, das im Westen keiner mehr kaufen will, fand in vielen Ländern wie etwa Indien und China dankbare Abnehmer. Auch einige arme afrikanische Staaten freuten sich über vergleichsweise günstiges Erdöl.

Zwar verkaufte Russland 2022 durch die Sanktionen insgesamt weniger Erdöl und Erdgas. Die höheren Weltmarktpreise machten diesen Verlust aber mehr als wett — trotz Preisnachlässen. 

Das IWF erwartet zudem kaum Auswirkungen des westlichen Ölpreis-Deckels. «Bei der derzeitigen Ölpreisobergrenze der Gruppe der Sieben werden die russischen Rohölexportmengen voraussichtlich nicht wesentlich beeinträchtigt werden, weil der russische Handel weiterhin von sanktionierten in nicht sanktionierte Länder umgelenkt wird», heisst es in dem Bericht.

Importe ersetzt

Der Wert des Rubels ist bislang ebenso nicht eingebrochen und blieb stabil, auch bedingt durch eine positive Handelsbilanz infolge sprudelnder Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft.

Bei vielen Gütern springen indessen andere Lieferanten in die Bresche, hauptsächlich China. Das Land exportierte erst im Dezember Waren im Rekordwert an Russland. So gibt es statt neuer westlicher Modelle eben chinesische Autos. 

Und auch von Sanktionen belegte westliche Güter gelangen immer wieder über Hintertüren nach Russland.

Viele Firmen sind noch da

Hinzu kommt: Offenbar haben weit weniger Firmen Russland verlassen als angenommen. Nach dem russischen Angriff kündigten internationale Unternehmen in einer PR-Bieterschlacht scharenweise an, das Land zu verlassen. Geblieben ist davon nicht viel. 

Einer aktuellen Studie der Universität St. Gallen und der Wirtschaftshochschule IMD zufolge haben von 1404 untersuchten Unternehmen aus den EU- und G7-Staaten lediglich 8,5 Prozent ihre Aktivitäten in Russland eingestellt.

Krieg kostet Russland Milliarden

Die Hoffnungen des Westens, die russische Wirtschaft signifikant zu schwächen, haben sich also nicht erfüllt — zumindest vorerst.

Der grosse wirtschaftliche Schaden wird sich gleichwohl erst mit der Zeit einstellen. Die Kosten für den Krieg belaufen sich derzeit auf rund ein Drittel des Staatshaushalts, Hunderttausende meist junge Männer stehen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung — vom Exodus der IT-Fachkräfte ganz zu schweigen.

Die meisten Sanktionen, vor allem im Energiesektor, werden zudem erst in diesem Jahr ihre volle Wirkung entfalten. Schon jetzt fallen die Weltmarktpreise für Russlands Exportschlager teils deutlich. Und erwartet wird, dass andere Staaten den Verlust der EU-Abnehmer auch langfristig nicht ausgleichen können.

Weiterhin gilt also: Der Westen braucht einen langen Atem.