Schweizer Minenräumer in der Ukraine «Ich kriege eine Gänsehaut, wenn Sie danach fragen»

Von Philipp Dahm

28.5.2023

Erfolgreiche Abnahme: GCS-Angestellte und militärisches Personal posieren im Dezember 2022 im deutschen Stockach mit dem Schweizer Gerät, bevor es in die Ukraine geht.
Erfolgreiche Abnahme: GCS-Angestellte und militärisches Personal posieren im Dezember 2022 im deutschen Stockach mit dem Schweizer Gerät, bevor es in die Ukraine geht.
GCS

Die Schweiz liefert schon seit Monaten schweres Gerät in die Ukraine: Die Schwyzer Firma GCS hilft Kiew mit Minenräum-Sytemen, das Land von Sprengkörpern zu befreien. Der CEO erklärt das Besondere an dem Einsatz.

Von Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Global Clearance Solutions (GCS) aus Freienbach SZ beliefert die Ukraine seit Herbst 2022 mit Minenräum-Systemen.
  • Sieben Systeme sind bereits im Land. Pro Monat kommen zwei bis vier weitere hinzu. Hauptabnehmer sind Polizei und Zivilschutz.
  • Das Personal, das extrem motiviert ist, wird in der neu eröffneten GCS-Niederlassung in der Ukraine geschult.

Schweres Schweizer Gerät in der Ukraine ganz offiziell? Ja, aber die Kettenfahrzeuge richten keinen Schaden an. Im Gegenteil: Global Clearance Solutions (GCS) aus Freienbach SZ hilft Kiew, das Land von Minen zu befreien.

Philipp von Michaelis, Gründer und CEO des Unternehmens, erklärt, wie der Kontakt nach Osteuropa zustande kam, wie motiviert die Ukrainer sind – und warum der Einsatz ein Härtetest ist.

Zur Person
ZVG

Philipp von Michaelis ist Gründer und CEO von Global Clearance Solutions in Freienbach SZ. Das Unternehmen wurde 2015 als Nachfolge-Firma von MineWolf Systems gegründet, das nach einem Verkauf an einen Private-Equity-Investor im Jahr 2015 den Betrieb einstellen musste.

Wie ist der erste Kontakt zu den ukrainischen Behörden entstanden?

Ich war schon vor Beginn des Krieges im Februar 2022 in der Ukraine. Seitdem der Donbass 2014 besetzt und mit Minenfeldern versehen wurde, haben wir angeboten, bei der Räumung zu helfen. Die Kontakte bestanden also schon vor der Invasion Russlands vor gut einem Jahr.

Wie ging es nach der Invasion im vergangenen Jahr weiter?

Es ging direkt Ende Februar, Anfang März 2022 los. Wir hatten verschiedenste Kontakte: Polizei und Katastrophenschutz sind auf uns zugekommen. Es gibt auch verschiedene private Organisationen, die sich schon lange des Themas annehmen – etwa eine ukrainische Gruppe, mit der wir auf anderen Projekten schon Berührungspunkte hatten. Wir hatten also sehr schnell verschiedenste Anfragen: Im Endeffekt stand im Oktober 2022 die erste Finanzierung, und kurz darauf wurden auch die ersten Systeme geliefert.

Ukrainische Polizisten üben 2022 in Schytomyr 120 Kilometer westlich von Kiew den Umgang mit dem Minenräum-System GCS-100.
Ukrainische Polizisten üben 2022 in Schytomyr 120 Kilometer westlich von Kiew den Umgang mit dem Minenräum-System GCS-100.
GCS

Ist die Lage besonders heikel?

Es war eine lange Vorbereitungszeit, weil natürlich lange nicht klar war, wie die Situation vor Ort ist. Das war auch für uns sehr schwierig: Wir werden normalerweise erst aktiv, wenn ein Land befriedet ist und wir uns – gemeinsam mit anderen – an die Aufbauarbeit machen können. Trotz unserer grossen Erfahrung über viele Jahre und in sehr vielen Ländern: Die Situation in der Ukraine ist vor diesem Hintergrund auch für uns speziell.

Wie viele Geräte haben Sie in die Ukraine gebracht?

Es sind jetzt sieben Systeme im Land. Sie sind zwischen Charkiw und Cherson zum Teil bereits im Einsatz, zum Teil wird noch Ausbildung betrieben. Zwei weitere sind unterwegs und es kommen jetzt jeden Monat zwei bis vier Systeme hinzu.

An wen liefern Sie?

Unsere Hauptabnehmer sind der ukrainische Zivilschutz und auch die Polizei, also zivile Organisationen. Wir stehen mit unseren Produkten im Dienst der Bevölkerung. Unsere Maschinen sind keine militärischen Geräte, sondern Systeme für den zivilen Einsatz, die beispielsweise dafür sorgen, dass Landwirte bei ihrer Arbeit auf den grossen und für die Welternährung sehr wichtigen Getreidefeldern der Ukraine nicht durch Minen getötet werden.

Training in Schytomyr: Ohne Theorie geht es auch hier nicht.
Training in Schytomyr: Ohne Theorie geht es auch hier nicht.
GCS

Wie aufwendig ist die Ausbildung?

Es erfordert eine gewisse Organisation, die Maschinen einzusetzen. Es ist nicht wie bei einem Auto oder einem Rasenmäher, die man schnell bedienen kann. Die Organisation muss aufgebaut werden, akkreditiert sein und sie muss gewisse Fähigkeiten besitzen, damit die Maschine effektiv eingesetzt werden kann. Das dauert seine Zeit.

Wo findet das Training statt?

Wir haben seit Kurzem eine Niederlassung in der Ukraine: Seit Januar machen wir mit einem Team dort die Ausbildung an den Systemen und werden das Ganze auch langfristig begleiten. Wir sind dabei, eine Service-Station im Land aufzubauen und suchen gerade nach Räumlichkeiten. Das ist extrem wichtig: Man muss schnell erreichbar sein. Wir haben inzwischen auch ukrainisches Personal, das man natürlich auch erst einmal ausbilden muss.

Es braucht also einen gewissen Vorlauf.

Um eine nachhaltige Wirkung zu erzielen, muss man langfristig denken. Es war in den letzten zwölf Monaten eine meiner Aufgaben, den Leuten zu erklären: Ihr müsst jetzt anfangen, damit ihr in drei Jahren die Effekte spürt. Das will natürlich keiner hören, weil die Leute denken: Übermorgen ist der Krieg vorbei, und dann ist alles wieder wie früher.

Training in der Ukraine: GCS hat in dem Land eine eigene Niederlassung eröffnet.
Training in der Ukraine: GCS hat in dem Land eine eigene Niederlassung eröffnet.
GCS

Gibt es Unterschiede beim Training?

Es gibt eine Bediener-Ausbildung, eine Mechaniker-Ausbildung und dann darauf aufbauend «Train-the-Trainer-Konzepte». Wir bieten auch Unterstützung bei gewissen Tätigkeiten, die das Management der Geräte betreffen, damit diese sauber eingesetzt werden können. Die kosten ja auch was. Es geht dabei nicht nur um den Einsatz im Minenfeld, sondern auch um den Transport oder die Versorgung mit Ersatzteilen.

Man hört ja, dass Piloten oder Panzerfahrer sehr motiviert sind und schnell lernen: Haben Sie auch diesen Eindruck gewonnen?

Uneingeschränkt! Ich kriege eine Gänsehaut, wenn Sie danach fragen. Ich bin noch nicht mal der, der die Ausbildung vornimmt, aber ich war mehrfach vor Ort und habe die Kunden getroffen. Die Dankbarkeit und die Motivation, die man erfährt, lassen einen nicht kalt. Die Teilnehmer kommen nach dem Ende des Trainings noch einmal und sagen, sie wollten noch etwas vertiefen: Meine Techniker und Ausbilder sind überwältigt von der Motivation und Hingabe. Das fasziniert mich jedes Mal und motiviert einen selber auch.

Sinnbild für «Motivation»: Die ukrainischen Lehrlinge überzeugen.
Sinnbild für «Motivation»: Die ukrainischen Lehrlinge überzeugen.
GCS

Wie schlägt sich das Schweizer Gerät in der Ukraine? Ist das ein Härtetest?

Vor GCS hatten wir eine Firma, die Ähnliches gemacht hat: Mine Wolf Systems. Wir haben schon viel erlebt – ich mache das ja schon ein bisschen länger. Wir waren damals schon in 30 Ländern unterwegs, viele davon in Afrika. Seit ein, zwei Jahren sind wir in Aserbaidschan unterwegs, aber die Dringlichkeit, die in der Ukraine gegeben ist, stellt uns sicherlich vor neue Herausforderungen: Wir testen jetzt auf jeden Fall die Grenzen unserer Lösungen und wir werden voraussichtlich an den Rand des Machbaren kommen.

Führt die Dringlichkeit auch zu Ungeduld?

In der Ukraine ist es so, dass sie die Maschine erhalten und am liebsten am nächsten Tag sofort loslegen würden. Wir haben auch schon darüber diskutiert, ob man das Training verkürzt. Aber wir pochen darauf: Ihr müsst das vier Wochen machen, sonst können wir die Qualität nicht gewährleisten.

Welche Minenräumlösungen bieten Sie an?

Es gibt in der Minenräumung verschiedene Tools, die je nach Projektgegebenheiten einzeln oder auch in Kombination eingesetzt werden. Dazu gehören manuelle und mechanische Methoden, oder auch der Einsatz von Hunden. Unser Fokus liegt auf der mechanischen Minenräumung, wir bieten aber auch manuelle Lösungen und Hunde-Teams.

Sie offerieren auch Jamming Solutions an: Gibt es Landminen, die aus der Entfernung ausgelöst werden können?

Man muss ein bisschen aufpassen: Es geht dabei nicht um Minenräumung, sondern um Kampfmittelbeseitigung. Da gehören Minen dazu, aber es können auch Blindgänger oder Sprengfallen sein. Gerade Sprengfallen werden oft aus der Ferne über eine Funkverbindung ausgelöst. Wenn der Kampfmittelbeseitiger oder eine Maschine mit einer Sprengfalle hantieren, könnte diese fernausgelöst werden. Das unterbindet man, indem man sich in einer sogenannten Bubble bewegt und die Signale stört, die zur Auslösung führen könnten.

Wie läuft denn so eine Räumung generell ab?

Minenräumung ist eine sehr komplexe Tätigkeit. Sie gucken sich immer zuerst an: Womit habe ich es eigentlich zu tun? Dann überlegen Sie: Wie gehe ich jetzt eigentlich vor? Idealerweise haben sie eine ganze Palette an Einsatz-Optionen und Geräten; eine Art Werkzeugkiste für die Minenräumung: Da gehören eine oder verschiedene Maschinen rein, da gehört Detektion rein, da gehören Drohnen rein, da gehört Schutzausrüstung und sonstiges rein. Dann überlegen sie, wie sie diese Werkzeugkiste am besten einsetzen. Nur wenn die Prozesse und die Methodik dahinter ordentlich gemacht werden, können sie die Technologien effektiv nutzen.

Wo werden die schweren Maschinen produziert?

Die Technologie ist schweizerisch, ein erheblicher Teil der Wertschöpfung geschieht also in der Schweiz. Wir offerieren deshalb auch als Schweizer Unternehmen. Die Produktion findet auf der deutschen Seite des Bodensees an unserem Standort in Stockach statt. Im Jahr kommen wir auf 30 bis 40 neue Systeme, die wir dort herstellen. Die Sicherstellung der Versorgung machen wir meistens in lokalen Service-Zentren. Es ist also alles sehr vernetzt: Wir sind Experten mit einem global agierenden Team. Damit haben wir auch im internationalen Vergleich ein klares Alleinstellungsmerkmal.

Ist der Export problematisch?

Nicht problematisch, aber man muss natürlich die notwendigen behördlichen Einwilligungen haben. Minenräumgeräte sind sowohl in Deutschland wie in der Schweiz sogenannte «Dual-Use-Güter» und benötigen eine Ausfuhrgenehmigung. Wir arbeiten in Deutschland wie in der Schweiz sehr gut mit den jeweiligen Behörden zusammen.

Das Thema Minen wird der Ukraine lange erhalten bleiben ...

Die Lage durch Minen und andere Kampfmittel ist dramatisch, aber ich verweise gern auf Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Noch heute werden dort Fliegerbomben aus dem Boden geholt. Das muss man sich in der Ukraine ähnlich vorstellen, aber das heisst nicht, dass das Land nicht in einem überschaubaren Zeitrahmen auch wieder auf die Beine kommen kann. Ich persönlich gehe davon aus, dass wenn die Ukraine in den nächsten zwei, drei Jahren die notwendigen Fähigkeiten aufbaut, Personal ausbildet und Technologien ins Land holt, in fünf bis zehn Jahren alle kritischen Gegenden in den Griff bekommt. Den Rest zu räumen, wird Jahrzehnte dauern.