Fünf Jahre danach Fünf Jahre danach: Das Mindestkurs-Aus spüren wir bis heute

Von Gil Bieler

15.1.2020

Seit fünf Jahren gibt es keine Vorgaben mehr, wie viel ein Euro kosten muss.
Seit fünf Jahren gibt es keine Vorgaben mehr, wie viel ein Euro kosten muss.
Bild: Keystone/Alessandro Crinari

Der Frankenschock war gross, als die Nationalbank den Euro-Mindestkurs aufhob. Fünf Jahre ist das heute her. Die Bilanz? Der Gewerkschaftsbund spricht von einem Fehler, Economiesuisse sieht das Gröbste überstanden. 

Es war ein Erdbeben für die Schweizer Wirtschaft, und es traf sie ohne Vorwarnung: Am 15. Januar 2015 trat Thomas Jordan, der Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), vor die Medien und verkündete das Ende des bis dahin geltenden Euro-Mindestkurses.

Zur Erinnerung: Die Untergrenze von 1.20 Franken pro Euro hatten die Schweizer Währungshüter 2011 eingeführt, um die Märkte vor den Schattenseiten des starken Schweizer Franken zu schützen. Doch um diesen Kurs zu verteidigen, musste die Nationalbank vor allem Ende 2014/Anfang 2015 riesige Summen aufwenden. An manchen Tagen sollen es gemäss Medienberichten mehrere Milliarden Franken gewesen sein.

Negativzinsen und Kurzarbeit

Jordan begründete den Paukenschlag mit der damals eingesetzten markanten Abwertung des Euros gegenüber dem US-Dollar. Wegen der Untergrenze war der Franken de facto an den Euro gekoppelt und schwächte sich gegenüber dem US-Dollar ebenfalls ab. Gleichzeitig führte die SNB am 15. Januar 2015 Negativzinsen von minus 0,75 Prozent ein. 

Weitreichender Entscheid: SNB-Präsident Thomas Jordan gibt am 15. Januar 2015 bekannt, dass der Euro-Mindestkurs von 1.20 Franken Geschichte ist. 
Weitreichender Entscheid: SNB-Präsident Thomas Jordan gibt am 15. Januar 2015 bekannt, dass der Euro-Mindestkurs von 1.20 Franken Geschichte ist. 
Archivbild: Keystone

Dieser Paukenschlag der SNB hatte weitreichende Folgen: Ein Frankenschock schüttelte die Schweizer Wirtschaft durch, die Produkte der Export-Wirtschaft wurden um rund 20 Prozent teurer. Tausende von Stellen gingen verloren, Kurzarbeit und Stellenabbau machten Schlagzeilen. Allen voran Swissmem, der Verband der Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie, rechnete mit dem Schlimmsten.



Fünf Jahre sind seit diesem Entscheid vergangen. Und die Folgen seien noch immer spürbar, sagt Daniel Lampart, Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, auf Anfrage von «Bluewin». «Der Franken ist gegenüber dem Euro nach wie vor deutlich überbewertet, der korrekt bewertete Kurs liegt immer noch über dem einstigen Mindestkurs von 1.20», erklärt Lampart. Aktuell wird der Euro zu 1.08 Franken gehandelt.

Folgen auch übermorgen noch zu spüren

Diese Franken-Überbewertung hätte vor allem verzögerte Auswirkungen: «Wir stellen fest, dass die Unternehmen etwa bei Investitionen auf die Bremse stehen, weil die Erträge geringer ausfallen», sagt der Ökonom. Auch bei Lohnerhöhungen sei «wenig bis nichts» passiert. «Wir wissen, dass in der Exportindustrie langjährige Mitarbeiter schon seit Jahren keine Lohnerhöhung mehr erhalten haben.» Dadurch verlören Firmen auch an Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt.



All diese Folgen würden wir in der Schweiz auch noch übermorgen spüren, ist sich Lampart sicher: «Weil weniger in innovative Produkte und Know-how investiert wird. Daher befürchten wir auch längerfristig noch Wettbewerbsnachteile für Schweizer Unternehmen.»

Was Lampert besonders irritiert: Die SNB habe sich die missliche Situation damals selber eingebrockt. Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte bereits im Sommer 2014 Negativzinsen eingeführt – die Schweizerische Nationalbank dagegen nicht. Der Franken sei so auf einen Schlag attraktiver geworden, die SNB habe dagegen ankämpfen müssen.

«Ich verstehe bis heute nicht, warum die SNB nicht analog zur EZB Negativzinsen eingeführt hat», sagt Lampart. So hätte sie für Stabilität sorgen und die Interventionstätigkeit auf ein Minimum reduzieren können.

Economiesuisse: Weniger schlimm als befürchtet

Beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse fällt die Bilanz nach fünf Jahren ohne Mindestkurs verhalten positiv aus: Unternehmen der MEM-Industrie (Maschinen, Elektro und Metall), der Textil- und Tourismusbranche hätten zwar einiges einstecken müssen und sich erst jetzt allmählich erholt. «Insgesamt aber waren die Auswirkungen des Frankenschocks sowohl im Ausmass wie auch in der Dauer gesamtwirtschaftlich weniger gravierend als zunächst befürchtet», erklärt Rudolf Minsch, stellvertretender Vorsitzender der Economiesuisse-Geschäftsleitung, auf Anfrage.

Besonders betroffen von der Aufhebung des Mindestkurses sei die exportorientierte MEM-Branche gewesen, die 2015 und 2016 mehr Stellen habe abbauen müssen. «Von Mitte 2016 bis Ende 2018 hat sich die Wirtschaft wieder deutlich besser entwickelt», so Minsch.



Die guten Exportzahlen würden aber etwas täuschen: «Die ausgezeichnete Entwicklung der Pharmaindustrie übertüncht, dass der Frankenschock viele Unternehmen anderer Branchen in existenzielle Nöte brachte. Vorübergehend waren die Margen in vielen Exportbetrieben sogar negativ.» Auch er stellt fest, dass diese Unternehmen in der Konsequenz weniger Investitionen hätten tätigen können.

Kein Zurück zum fixen Mindestkurs

Dass der Frankenschock glimpflicher als befürchtet ausgefallen sei, sei «in erster Linie der Verdienst der Schweizer Unternehmen», sagt Minsch. Diese hätten sich als sehr anpassungsfähig erwiesen. «Sie haben ihre Prozesse optimiert, die Effizienz abermals gesteigert und Innovationen vorangetrieben, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Zudem entwickelte sich die internationale Konjunktur etwas besser, als Anfang 2015 erwartet werden musste.»

Zu einem fixen Mindestkurs zurückzukehren, sei aber nicht wünschenswert. Minsch: «Dauert eine solche Politik zu lange, kommt es faktisch zu einer Anbindung des Frankens an den Euro. Wir wollen, dass die SNB weiterhin eine eigenständige Geldpolitik betreiben kann, die sich auf die Bedürfnisse der Schweiz ausrichtet.»

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