Fragen und Antworten Das bedeutet der Sinkflug des Euro für die Schweiz

uri

13.7.2022

Der Euro ist im Verhältnis zum Franken auf einem Rekordtief. (Symbolbild)
Der Euro ist im Verhältnis zum Franken auf einem Rekordtief. (Symbolbild)
Bild: Keystone

Für einen Schweizer Franken bekommt man heute 1.02 Euro. Und wie es aussieht, ist die Talsohle noch nicht erreicht. Was bedeutet das für Schweizer Konsument*innen und die Industrie?

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Noch vor einem Jahr bekam man für einen Schweizer Franken gerade mal 0,92 Euro. Inzwischen befindet sich der Euro geringfügig unter der Parität. Experten rechnen zudem damit, dass der Wechselkurs noch weiter auseinandergehen dürfte.

Was ist der Grund für das Auseinanderdriften der Währungen?

Am 16. Juni hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) überraschend den Leitzins um 50 Basispunkte von –0,75 auf –0,25 Prozent angehoben, um die Inflation in der Schweiz zu bekämpfen. Mit der ersten Zinsanhebung in der Schweiz seit dem Jahr 2007 gewann der Franken zusätzlich an Attraktivität gegenüber dem Euro.

Wohl noch mehr dürfte die Stärke des Frankens gegenüber dem Euro allerdings aus der stetigen Schwäche der europäischen Gemeinschaftswährung resultieren: Rezessionsängste in Europa haben den Euro auf Talfahrt geschickt – auch gegenüber dem Dollar, der im letzten Jahr rund 15 Prozent an Wert gegenüber dem Euro gewonnen hat.

Was bedeutet das für mich?

Konsumenten profitieren durch den starken Franken bei Reisen ins Ausland, wie der Finanzexperte Martin Spieler jüngst blue News sagte. Dieser Effekt wird inzwischen allerdings aufgrund der galoppierenden Inflation in vielen europäischen Ländern grossteils wieder zunichtegemacht. Schnäppchen im Euro-Ausland sind deshalb nur begrenzt möglich. «Insbesondere bei Lebensmitteln und Benzin, Gütern, die Schweizer bei ihrem Urlaub im europäischen Ausland wohl bevorzugt konsumieren werden», seien die Preise hier zuletzt deutlich explodiert, schreibt das Portal Finanzen.ch.

Mit dem aktuell starken Franken sinken mittel- bis langfristig aber auch die Preise für importierte Güter. Zudem werden die aufgrund des Krieges in der Ukraine stark angestiegenen Energiekosten etwas abgefedert, wie die Finanzexpertin Christa Janjic-Marti vom Beratungsunternehmen WPuls im «Blick» ausführte.

Was bedeutet es für die Industrie?

Für die stark exportorientierte Schweizer Industrie ist der starke Franken ein Wettbewerbsnachteil, denn diese Waren werden nun im Vergleich zu den Produkten ausländischer Mitbewerber teurer. Allerdings hat die Schweizer Industrie den Vorteil, dass die Produzentenpreise im Euro-Raum noch bedeutend stärker angestiegen sind. Schliesslich werden die Unternehmen hier mit «massiv höheren Strom-, Energie- und Rohstoffrechnungen konfrontiert», wie Janjic-Marti ausführt.

Die Firmen würden die gestiegenen Kosten zu einem grossen Teil an die Konsumenten weiterreichen und so die Inflation befeuern. Deshalb bleibe die «Lage für die Schweizer Exporteure trotz aktuell starkem Wechselkurs gut», resümiert Janjic-Marti im «Blick». Die Konkurrenz aus dem Euro-Raum habe den Vorteil, den sie dank des schwachen Wechselkurses nämlich eigentlich hätte, «mit Preiserhöhungen zunichtegemacht».

Was tut die Nationalbank?

Die Nationalbank SNB sieht den Franken derzeit nicht mehr als überbewertet an, wie sie Mitte Juni bekannt gab. Sie bekämpfte stattdessen mit der Zinserhöhung um 0,5 Prozentpunkte auf –0,25 Prozent die Inflation in der Schweiz. Diese lag im Juni aus Jahressicht bei 3,4 Prozent und damit deutlich über dem angestrebten Ziel von zwei Prozent. Es ist davon auszugehen, dass das auch nicht die letzte Zinserhöhung der SNB gewesen sein dürfte: «Im September wird die Nationalbank den Zins sicher weiter erhöhen», sagte denn auch Finanzexperte Martin Spieler im Gespräch mit blue News.

Weil die Nachteile der Schweizer Exportwirtschaft gegenüber Mitbewerbern durch den starken Franken derzeit als eher gering erachtet werden, sei die Aufwertung des Franken der SNB gerade «gar nicht unrecht», vermutet Gérard Piasko, Chef-Anlagestratege bei der Zürcher Privatbank Maerki Baumann dazu beim Nachrichtenmagazin «Focus».

Die Währungshüter teilten bereits Mitte Juni mit, dass sie den Franken derzeit nicht mehr als überbewertet betrachten. SNB-Präsident Thomas Jordan erklärte aber auch, man werde im Falle einer «übermässigen Aufwertung» weiterhin am Devisenmarkt aktiv. Bei einer Abschwächung des Frankens seien im Gegenzug auch Devisenverkäufe möglich.

Ab welcher Grenze die SNB intervenieren wird, ist jedoch ein gut gehütetes Geheimnis. Die Valiant Bank sieht die rote Linie, an der die SNB wieder intervenieren dürfte, für den Euro-Kurs zum Beispiel erst bei 0.95 Franken.

Wie geht es weiter?

Entscheidend für den Fortgang beim Wechselkurs dürfte nicht zuletzt sein, wie sich die Lage beim Euro weiterentwickelt. Und hier stehen die Zeichen nicht besonders gut. Die Eurozone verzeichnete im Juni mit 8,6 Prozent Inflation im Jahresvergleich einen neuen Rekord aufgrund der hohen Energie- und Nahrungsmittelpreise infolge des Ukraine-Kriegs. Die Europäische Zentralbank EZB schreckt aber vor deutlichen Zinserhöhungen und dem Verkauf von Staatsanleiten zurück, wie es etwa die US-Notenbank Fed praktiziert.

Der Grund dafür ist nicht einfach aufzulösen: Die EZB treibt die Sorge um, dass es in diesem Fall zu einer Wiederholung der Schuldenkrise kommen könnte. Hochverschuldete Länder im Süden könnten den Zinsanstieg womöglich nicht mehr stemmen. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Krise im Zuge des Krieges in der Ukraine erscheint es zudem wahrscheinlich, dass der Franken auch weiterhin als «sicherer Hafen» begehrt ist.