Millionen sehen ihm zu Youtuber erklimmt den Mount Everest – und verklärt die Gefahr

Philipp Fischer

2.10.2024

Der französische YouTuber Inès Benazzouz beim Aufstieg zum Mount Everest.
Der französische YouTuber Inès Benazzouz beim Aufstieg zum Mount Everest.
Screenshot: Kaizen

Der französische Streamer «Inoxtag» hat sich ohne jede Vorerfahrung die Besteigung des Mount Everest zum Ziel gesetzt. Eine Youtube-Doku zeigt die Bezwingung des höchsten Berges der Erde – doch die Bilder können auch trügen.

Philipp Fischer

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Der französische YouTuber Inès Benazzouz wollte innerhalb eines Jahres zum Gipfelstürmer werden und den Mount Everest erklimmen.
  • Die bildgewaltige Dokumentation «Kaizen» über seinen Aufstieg wird innert zwei Wochen mehr als 34 Millionen Mal angesehen.
  • Doch die vorgegebene Unerfahrenheit des Youtubers trügt.

Influencer entwickeln auf ihren Kanälen ja gerne ausgefallene Ideen, um ihre Reichweite und Bekanntheit zu steigern. Manche kippen sich grosse Menge Salz in den Mund und versucht sie zu schlucken, andere übernachten in Afrika im Revier der Löwen und so manch Aufmerksamkeitsorientierte kleben sich den Mund vor dem Schlafgehen mit Klebeband zu, sodass während der Nacht nur durch die Nase geatmet werden kann.

Ganz so banal wollte der französische Youtuber Inoxtag, der mit bürgerlichem Namen Inès Benazzouz heisst, nicht auf sich aufmerksam machen. Er nahm sich vor, innerhalb eines Jahres zum Bergsteiger zu werden, den Mount Everest zu erklimmen und die Vorbereitung und Besteigung filmisch festhalten. Sein Handicap: Er ist vollkommen unsportlich und hat noch nie in seinem Leben einen grösseren Berg erobert.

Über 34 Millionen Klicks in nur zwei Wochen

Unbeirrbar machte sich Benazzouz auf den langen Weg eines Gipfelstürmers – vom Training an kleineren Bergwänden in den Alpen bis hin zum letzten Schritt auf den höchsten Gipfel der Welt in den zweieinhalbstündigen Dokumentarfilm «Kaizen. 1 Year to Climb Everest!». Nachdem das bildgewaltige Bergsteiger-Epos in den französischen Kinos anlief, stellte Benazzouz nur einen Tag nach der Leinwandpremiere die Dokumentation auf seinen Youtube-Kanal.

Innert zwei Wochen hat sein Film über 34 Millionen Klicks generiert. Fast 200’000 Jugendliche begleiteten seinen Weg vom lahmen Computernerd zum hochalpinen Everest-Bezwinger in den Kinos in Frankreich, Belgien und Luxemburg.

Für viele junge Menschen wurde Inès Benazzouz zum Vorbild und Helden. Er hat geschafft, was eigentlich unerreichbar scheint. Doch so fesselnd und perfekt orchestriert das Gipfelstürmer-Epos eines völlig untrainierten Durchschnitts-Kraxler auch daherkommt, so offenbart es bei genauer Betrachtung doch auch ein organisatorisch, logistisch und finanziell bis ins kleinste Detail durchgeplantes Alpinmachwerk des Hauptakteurs.

Grandioser Erfolg – mit Unterstützung

Der leicht falsch zu verstehende Mythos von «heute etwas trainieren, morgen den höchsten Gipfel der Erde bezwingen» ist jedoch  – ohne die Leistung schmälern zu wollen – leicht zu entzaubern. 365 Tage bereitete sich der 22-Jährige bis ins kleinste Detail auf die Everest-Besteigung vor. Ein straffes Intensivtraining mit Profibergsteigern schaffte die Grundvoraussetzung für sein Vorhaben.

Auch ein persönlicher Fitnesstrainer stand ihm zur Seite. Der ganze Vorlauf wird in der Dokumentation zwar auch in Szene gesetzt, die Dimension der hochalpinen Vorbereitung versickert jedoch angesichts des gewaltigen Aufstiegsszenariums auf den Everest im Hauptteil der Dokumentation.

Inès Benazzouz streckt dem Gipfel des Mount Everest stolz den Arm die Höhe.
Inès Benazzouz streckt dem Gipfel des Mount Everest stolz den Arm die Höhe.
Screenshot: Kaizen

In Nepal angekommen erwartet Benazzouz alles, was sich das Bergsteiger-Herz für den Sturm auf das Dach der Welt nur wünschen kann. Neben einem Profi-Bergführer stehen ihm auch zahlreiche Sherpas zur Verfügung. Die meisten ausländischen Bergsteiger können von so einem Komplettpaket nur träumen. Bei den günstigsten Everest-Anbietern werden Basis-Besteigungs-Pakete ab circa 30’000 Franken angeboten. Darin sind jedoch weder ein persönlicher Bergführer noch erfahrene Climbing Sherpas oder Unterstützungspersonal enthalten. Dazu wird den Teilnehmern auch nicht unbegrenzt Sauerstoff zur Verfügung gestellt.

Die französische Zeitung «Libération» schätzt das Gesamtbudget der Expedition auf 1,2 Millionen Franken. Zur Finanzierung hat der Youtuber finanzstarke Sponsoren gewinnen können. Sowohl angesichts der intensiven Vorbereitung, als auch der kostspieligen Vor-Ort-Betreuung relativiert sich die Besteigung des Mount Everest durch den Internet-Star dann doch erheblich. Zum Glück gestaltet sich die Eroberung des höchstens Berges der Welt für Nachahmer doch einiges schwieriger, als die Salz-im-Mund-Challenge.