Tier-Studie zeigt Wildgänse lange gestresst von Silvesternacht

dpa

27.12.2022 - 08:28

Wildgaense aus der Arktis treffen am Montag, 14. Oktober 2002, wie in jedem Jahr zum ueberwintern in Griethausen am Niederrhein bei Emmerich ein. Bis zum Januar kommen fast 200.000 Gaense aus dem 6.000 Kilometer entfernten Sibirien ueber Moskau und Polen in die Wiesen- und Wasserlandschaften zwischen Wesel und dem niederlaendischen Nimwegen, um bei gemaessigten Temperaturen sicher zu ueberwintern. Das Land Nordrhein-Westfalen hat die Winterboten schon seit 1974 unter Schutz gestellt und zahlt den Landwirten Entschaedigungen fuer gefressenes Saatgut. (KEYSTONE/AP Photo/Martin Meissner)
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Das neue Jahr mit einem grossen und lauten Feuerwerk zu begrüssen – das hat eine lange Tradition. Doch für die Tierwelt bedeutet das Stress pur. Eine Studie zeigt: Die Folgen für Wildgänse zum Beispiel hallen noch Tage nach.

Feuerwerk sieht zwar schön aus, doch die pfeifenden Raketen und der Feinstaub bedeuten gerade für die Tierwelt Stress. Forschende des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Konstanz und des Niederländischen Instituts für Ökologie haben sich acht Jahre in Folge angeschaut, wie sich Silvester auf Wildgänse auswirkt. Dafür wurden Vögel mit GPS-Sendern ausgestattet. Die Ergebnisse zeigen: Das Feuerwerk beeinflusst die Tiere länger als nur eine Nacht.

Die Bewegungsdaten von 347 Gänsen in Norddeutschland, Dänemark und den Niederlanden wurden laut der Studie ausgewertet – jeweils im Zeitraum vom 19. Dezember bis zum 12. Januar. Demnach flohen die Gänse in der Silvesternacht pünktlich um Mitternacht von ihren Schlafgewässern und flogen in Gebiete mit weniger Menschen. Die Nachtruhe der Tiere wurde um zwei Stunden verkürzt. Die Feinstaubbelastung über ihren Ruhezonen stieg um bis zu 650 Prozent.

Sie flogen den Forschern zufolge bis zu 16 Kilometer weiter und bis zu 150 Meter höher als üblich. In Einzelfällen wurden auch extreme Distanzen von mehr als 500 Kilometer zurückgelegt. Von den Strapazen erholten sich die Tiere den Auswertungen nach nur langsam.

«Schockierend zu sehen»

«Es ist schockierend zu sehen, wie viel weiter die Vögel in der Silvesternacht flogen», so Studienautorin Andrea Kölzsch vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie. «Einige Tiere legten Hunderte von Kilometer in einer einzigen Winternacht zurück, Distanzen, die sie normalerweise nur während des Zuges absolvieren», erklärte die Wissenschaftlerin.

Beobachtet wurden vier Gänsearten: Bläss-, Weisswangen-, Kurzschnabel- sowie Saatgänse. Das sind arktische Zugvögel, die ihren Winter in Norddeutschland, Dänemark und den Niederlanden verbringen. Normalerweise fressen oder ruhen die Tiere den ganzen Tag, um möglichst wenig Energie zu verbrauchen.

Die Flucht in der Silvesternacht kostet die Gänse aber viel Kraft. Um diese wieder rein zu holen, schonten sie sich danach deutlich. Sie frassen zehn Prozent mehr und bewegten sich tagsüber deutlich weniger. «In strengen Wintern, wo nicht genug zusätzliches Futter gefunden werden kann oder dieses nicht schnell genug an den kurzen Tagen aufgenommen werden kann, mag dies zu Problemen führen», erklärte Kölzsch. Veröffentlicht wurde die Studie in der Fachzeitschrift «Conservation Letters» Ende November und damit rund einen Monat vor dem Böllerverkaufsstart am 29. Dezember.

Auch andere Tiere leiden in der Silvesternacht. «Jedoch sind die Reaktionen auf diese Störung je Art unterschiedlich», sagte Kölzsch. Ein Singvogel im Nistkasten werde sich dort in eine Ecke drücken und den Schock mit erhöhten Herzschlag oder viel Hin-und-Her-Hüpfen kompensieren, ein Wildschwein verstecke sich vielleicht im Unterholz und wilde Gänse, die von Natur aus vor Gefahr in die Luft flüchten, würden eben wegfliegen.

Auch kleinere Explosionen an Silvester würden schon ausreichen, um die Tiere enorm zu verschrecken. Das hätten die Auswertungen aus den Corona-Jahren gezeigt, wo das Böllern in vielen Ländern nur eingeschränkt möglich war. Statt einem generellen Böllerverbot sei es sinnvoller, Partyfeuerwerk in der Nähe von Nationalparks, Vogelschutzgebieten und anderen wichtigen Ruhegebieten zu verbieten.

dpa