Treibhausgase auf HöchststandKlima-Forscher: «Wir nähern uns den Kipp-Punkten»
Von Herbert Aichinger
30.10.2022
Neue wissenschaftliche Studien und die Vereinten Nationen zeichnen ein düsteres Bild: Gelingt es der Menschheit nicht, die Klimaerwärmung bald auf 1,50 C zu begrenzen, hat dies unumkehrbare Folgen.
Von Herbert Aichinger
30.10.2022, 12:53
30.10.2022, 15:16
Herbert Aichinger
UNO-Generalsekretär António Guterres beklagte am vergangenen Mittwoch im «Guardian»: «Wir steuern durch die weltweite Klimaerwärmung auf eine globale Katastrophe zu, die auch unsere Ökonomie auf vielen Ebenen zerstören wird.»
Ereignisse wie Dürreperioden, Fluten, Stürme und Flächenbrände bedrohen auf dem ganzen Planeten Menschen, Tiere und Pflanzen in einem nie vorher gesehenen Ausmass. Laut Guterres ist es Aufgabe der G20-Nationen, diese Entwicklung zu stoppen. Denn sie sind die Verursacher von 80 Prozent unserer Treibhausgase.
Klimawende in Scharm el-Scheich?
Vom 6. bis 8. November findet im ägyptischen Scharm el-Scheich die 27. Konferenz der Vertragsparteien der Klimarahmenkonvention (COP 27) der Vereinten Nationen (UNFCCC) statt. COP 27 wird eine Bestandsaufnahme sein, wie weit fortgeschritten die beteiligten Nationen bereits mit der Umsetzung der UNO-Klimaziele sind. Aktuelle Studien zeigen, dass die Zeit drängt.
Klimaanstrengungen gehen nicht weit genug
Seit dem letzten Jahr haben nur wenige Staaten die Klimaziele umgesetzt, zu denen sie sich auf dem letztjährigen COP-26-Klimagipfel in Glasgow verpflichtet hatten. Simon Stiel, Chefsekretär der UNO-Klimarahmenkonvention fordert deshalb im Guardian: «Die nationalen Regierungen müssen neue Ziele definieren und diese in den nächsten acht Jahren umsetzen.»
Selbst bei der Einhaltung aller auf dem COP 26 getroffenen Zusagen wäre laut UNO-Klimaagentur nur eine Begrenzung der Klimaerwärmung auf 2,50 C gegenüber den vorindustriellen Temperaturen möglich. Sollte sich das Klima in den kommenden Jahren jedoch so weit erhöhen, stünden der Menschheit Umweltkatastrophen nie gesehenen Ausmasses bevor.
Wie das Weltklima buchstäblich zu kippen droht
Das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) erklärt, wie es dazu kommt: Sogenannte Klima-Kippelemente des Erdsystems weisen ein Schwellenverhalten auf. Werden durch die globale Erwärmung einzelne Schwellenwerte überschritten, kann sich dies gravierend auf das Weltklima auswirken – wie sich zum Beispiel beim Schmelzen der Polkappen und der Erhöhung der Meeresspiegel, beim Wegschmelzen der Gletscher in Gebirtsgregionen, dem Auftauen der Permafrostböden in Russland oder dem Absterben der tropischen Korallenriffe zeigt.
PIK-Direktor Johan Rockström sagt dazu: «Wir haben so viele wissenschaftliche Beweise dafür, dass wir sehr, sehr nahe an irreversiblen Veränderungen sind – wir nähern uns den Kipp-Punkten.»
Gemeinsam mit Forscher*innen der Universität Exeter, des Stockholm Resilience Center und Future Earth hat PIK die neuesten Erkenntnisse über die Wechselwirkungen der Kippelemente jüngst in einer Studie im Fachmagazin Science zusammengefasst: Fünf der 16 Kipp-Punkte könnten bereits durch das aktuelle Fortschreiten der Klimaerwärmung ausgelöst werden.
Klimakatastrophen belasten zunehmend Staatskassen und Versicherungen
Die Folgen der schleichenden Veränderungen sind bereits heute spürbar in immer extremeren Wettersituationen. Computersimulationen zeigen, wie verheerend sich allein Wirbelstürme in den USA auf Wirtschaftszweige und Lieferketten auswirken werden.
Dazu Robin Middelanis, am PIK einer der Autoren der Studie: «Unsere Berechnungen zeigen zum ersten Mal, dass die US-Wirtschaft, immerhin eine der stärksten auf unserem Planeten, irgendwann nicht mehr in der Lage sein wird, die Produktionsausfälle in Lieferketten aus eigener Kraft auszugleichen. Die zunehmenden Schäden durch Hurrikane werden die Fähigkeiten dieser Wirtschaftssupermacht übersteigen.»
Emission von Treibhausgasen erreichen neuen Höhepunkt
Eine Besserung scheint trotz aller Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit nicht in Sicht zu sein. So weist die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) in ihrem vor wenigen Tagen veröffentlichten Greenhouse Bulletin darauf hin, dass die Konzentration der Treibhausgase Kohlendioxid, Methan und Distickstoff in der Atmosphäre neue Rekordwerte erreicht haben.
Kohlendioxid-Konzentration weiter bedenklich
Die Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre weist seit 2020 laut WMO die höchste jährliche Wachstumsrate der letzten zehn Jahre auf. Prognosen deuten darauf hin, dass sich diese Entwicklung 2022 fortsetzen wird.
Zwischen 1990 und 2021 hat die Klimaerwärmung um 50 Prozent zugenommen: Kohlendioxid ist mit einem Anteil von 80 Prozent einer der wesentlichsten Treiber dieser Entwicklung.
Methan-Konzentration auf Rekordniveau
Auch die Methan-Konzentration erreicht laut Greenhouse Gas Bulletin seit Beginn der ersten systemischen Messungen den höchsten jährlichen Anstieg seit 40 Jahren.
Insgesamt lag die Kohlendioxid-Konzentration 2021 bei 415,7 ppm (149 Prozent über dem vorindustriellen Niveau), Methan bei 1‘908 ppb (+262 Prozent) und Distickstoff bei 334,5 ppb (+124 Prozent).
WMO-Generalsekretär Prof. Petteri Taalas: «Der anhaltende Anstieg der Konzentrationen der wichtigsten wärmespeichernden Gase zeigt, dass wir uns in die falsche Richtung bewegen.»
Es gelte, Industrie-, Energie- und Verkehrssysteme und unsere gesamte Lebensweise umzustellen. Der positive Aspekt laut Prof. Taalas: «Die notwendigen Veränderungen sind wirtschaftlich erschwinglich und technisch möglich.»