Genderneutrales FürwortDrei Franzosen streiten um drei Buchstaben
Von Sven Hauberg
21.11.2021
«Etwas Historisches» oder Wegbereiter einer Ideologie, «die unsere Werte zerstört»? Unsere französischen Nachbarn streiten derzeit um ein Wort mit nur drei Buchstaben: «iel».
Von Sven Hauberg
21.11.2021, 19:30
Von Sven Hauberg
Das Wörterbuch «Le Robert» ist für Frankreich so etwas wie der «Duden» für den deutschsprachigen Raum: Ein Nachschlagewerk, das zeigt, wie Wörter richtig geschrieben werden, aber auch eine Autorität, die festhält, welche Sprache die Menschen benutzen. Vor ein paar Wochen fügten die Macher des «Robert» in der Online-Version ihres Wörterbuchs einen neuen Begriff hinzu – der nun, mit etwas Verzögerung, in Frankreich hohe Wellen schlägt.
Es geht um ein Wort mit lediglich drei Buchstaben: «iel». Der Begriff ist eine Mischung aus den Personalpronomen «il» («er») und «elle» («sie») und soll all jene Menschen beschreiben, die sich keinem der beiden traditionellen Geschlechter zugehörig fühlen. Für den Plural existiert die Variante «iels».
Bei «iel» beziehungsweise «iels» handele es sich um ein «Subjekt-Personalpronomen in der dritten Person Singular und Plural, das verwendet wird, um eine Person unabhängig von ihrem Geschlecht anzusprechen», heisst es in der Definition des Begriffs. Das Wort werde «in der inklusiven Kommunikation» verwendet.
«Wegbereiter der ‹Woke›-Ideologie»
Der Abgeordnete François Jolivet warf den Machern des «Robert» vor wenigen Tagen in einem auf Twitter veröffentlichten Brief an die Académie française vor, der französischen Sprache zu schaden. Der Eintrag «iel», so der Politiker der Macron-Partei La République En Marche, sei «Wegbereiter der ‹Woke›-Ideologie, die unsere Werte zerstört».
Le Petit Robert, dictionnaire que l'on pensait être une référence, vient d'intégrer sur son site les mots « iel, ielle, iels, ielles ». Ses auteurs sont donc les militants d'une cause qui n’a rien de Français : le #wokisme. J'ai écrit à l'Académie française. #LePetitRobertpic.twitter.com/ixFIP7s0It
Zustimmung erhielt François Jolivet von Erziehungsminister Jean-Michel Blanquer. Der Parteigenosse von Jolivet schrieb, ebenfalls auf Twitter: «Die inklusive Schreibweise ist nicht die Zukunft der französischen Sprache.» Schülerinnen und Schüler sollten sich «nicht daran orientieren».
Das wiederum wollte Charles Bimbenet, Generaldirektor des Verlagshauses Le Robert, nicht auf sich sitzen lassen. In einer Stellungnahme verteidigte er das genderneutrale Personalpronomen. «Seit einigen Monaten stellen die Dokumentalisten des ‹Robert› eine zunehmende Verwendung des Wortes ‹iel› fest. Die Häufigkeit der Verwendung eines Wortes wird durch die statistische Analyse umfangreicher Textkorpora aus verschiedenen Quellen untersucht. Diese ständige Überwachung ermöglicht es uns, das Auftauchen neuer Wörter, Wendungen, Bedeutungen usw. zu erkennen.»
«Das ist fast schon etwas Historisches»
Kurzum: Man habe das Wort ja nicht erfunden, sondern einfach nur im allgemeinen Sprachgebrauch bemerkt und deshalb ins Wörterbuch aufgenommen. Noch werde das Wort zwar selten verwendet, die Häufigkeit nehme aber seit Monaten zu.
Die Diskussion um «iel» begrüsst Bimbenet: «Dass die Kontroverse um unsere Sprache, ihre Entwicklung und ihren Gebrauch manchmal lebhaft und manchmal hitzig sein kann, ist nichts Neues und kann sogar als hervorragendes Zeichen für ihre Vitalität angesehen werden.»
Lee Ferrero vom Verein Transat für transgeschlechtliche Menschen in Marseille unterstützt die Entscheidung der Wörterbuch-Macher. «Das ist fast schon etwas Historisches», sagte Ferrero laut «france inter». «Sprache begründet die Existenz von Dingen, also stellen Sie sich eine Situation vor, in der Ihre Identität nicht ausdrückbar ist, eine Situation, in der man nicht auf einfache Weise kommunizieren kann und verstanden wird, wenn man über sich selbst spricht.» Die Anerkennung des Wörtchens durch die «Robert»-Macher «iel» werde «Dinge in Bewegung bringen», so Ferrero.