Alle Achttausender in 92 TagenFür den Weltrekord stieg sie über einen sterbenden Mann
toko/gbi
11.8.2023
Die Extrembergsteigerin Kristin Harila vollbringt alpinistische Höchstleistungen – doch der tragische Tod eines Mannes am K2 bringt der Norwegerin jetzt noch mehr Kritik ein als ohnehin schon.
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11.08.2023, 11:48
11.08.2023, 12:02
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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Die norwegische Extrembergsteigerin Kristin Harila bestieg alle 14 Achttausender in nur 92 Tagen. Damit unterbot sie den bisherigen Rekord um mehr als die Hälfte.
Wie rund 50 andere Bergsteiger*innen soll auch Kristin Harila über einen sterbenden Mann gestiegen sein, um auf die Spitze des K2 zu gelangen. Auch wenn sie nicht allein gewesen sein soll, bringt das der Norwegerin besonders laute Kritik ein: Der Vorfall vom 27. Juli soll sich während ihrer ohnehin schon umstrittenen Mission ereignet haben, alle 14 Achttausender der Welt in Rekordzeit zu erklimmen.
Rekordjagd ohne Skrupel? Harila verteidigt sich jetzt: «Es ist schlicht nicht wahr, dass wir nichts getan hätten, um ihm zu helfen», sagte sie am Donnerstag dem britischen «Telegraph». Ihr Team habe anderthalb Stunden lang versucht, dem verunglückten Sherpa zu helfen. Ihr Kameramann sei sogar noch eine Stunde länger dort geblieben.
Dennoch hätten sie schlicht nichts für den Mann tun können, der am Schluss am Berg verstarb: «Angesichts der Bedingungen ist es schwer vorstellbar, wie er hätte gerettet werden können. Er stürzte im wahrscheinlich gefährlichsten Teil des Berges, wo die Chancen, jemanden abzutransportieren, durch die schmale Spur und die schlechten Schneeverhältnisse begrenzt waren», erklärt sich Harila.
Der Norwegerin zufolge trug der verunfallte Mohammed Hassan weder Handschuhe noch eine Daunenjacke. Ausserdem schien der Mann – der am K2 als Träger im Einsatz stand – keinen Sauerstoff erhalten zu haben.
Alle Achttausender in drei Monaten erklommen
Die Tragödie am K2 lässt den von Harila aufgestellten Rekord endgültig zur Nebensache werden. Schon zuvor prasselte massive Kritik auf sie nieder: In den sozialen Medien, aber auch aus der Bergsteiger-Szene wird ihre Leistung zerpflückt.
Zunächst die Fakten: Kristen Harila hat in 92 Tagen alle 14 Achttausender der Erde erklommen. So schnell hat das noch niemand geschafft. Den bisherigen Rekord stellte zuvor Nirmal Purja aus Nepal auf, der mit 189 Tagen allerdings gut doppelt so lang brauchte. Das «Guinness-Buch der Rekorde» bestätigte der Nachrichtenagentur DPA, dass Harila den bisherigen Rekord gebrochen habe.
Die Extrembergsteigerin Gerlinde Kaltenbrunner äusserte sich dabei noch vergleichsweise zurückhaltend. Dem Bergsteigermagazin «Alpin» sagte sie: «Das ist eine andere Disziplin des Bergsteigens.» Mit dem Höhenbergsteigen habe ein solches Unterfangen nichts mehr zu tun.
Dabei ist die Diskussion um das Bergsteigen und moderne Technik nichts Neues: «Vielleicht unterstellen sie mir das, weil sie selbst mit dem Helikopter geflogen sind», raunzte einst der legendäre Bergsteiger Reinhold Messner seinen Kritiker*innen entgegen.
Der Vorwurf? Messner sei zwischen den Basislagern des Makalu und des Lohtse mit einem Helikopter geflogen, um so als erster Mensch alle Achttausender besteigen zu können.
Sherpas spuren vor
Dass der Weltrekord von Harila nicht ohne Hilfe und Hilfsmittel möglich ist, versteht sich von selbst. Und sie machte auch kein Geheimnis daraus.
Die 37-Jährige hatte neben dem nötigen Kleingeld durch Sponsoren Hunderte Sherpas zur Verfügung, die nicht nur Gepäck und Ausrüstung trugen, Fixseile befestigten und Hochlager einrichteten, sondern zum Teil auch vorspurten.
Harila verwendete ausserdem bei allen Besteigungen Sauerstoffflaschen. Ausserdem flog sie per Helikopter von einem Basislager zum nächsten. Besonders dieser Punkt machte in der Bergsteiger-Gemeinschaft viele rasend.
Nur: Auch der bisherige Rekordhalter machte wenig anderes als nun Harila. Auch er flog mit Helikoptern in Zentralasien umher, nutzte Flaschensauerstoff und liess Fixseile anbringen.
«Jeder hätte helfen können»
Angesichts des tragischen Todes von Mohammed Hassan wird diese Rekordjagd in den Bergen nun aber ohnehin vermehrt kritisch gesehen.
Den Urner Profi-Alpinisten Dani Arnold überrascht das Drama nicht: «Diese Entwicklung hat sich über Jahre abgezeichnet. Es ist eine menschliche Katastrophe», sagte er im Gespräch mit blue News.
Am K2 würden Besteigungen als touristische Trophäe verkauft. «Man glaubt, man kann mit Geld alles kaufen, der Verstand wird dabei ausgeschaltet.» Sehr oft spiele das Wetter nicht mit, das mache eine Gipfelexpedition lebensgefährlich.
Ausreden, dem sterbenden Mann habe man nicht helfen können, lässt er ohnehin nicht gelten: «Jeder hätte helfen können. Stattdessen rennt man auf den Gipfel, um sein Ego zu befriedigen.»
Drama auf dem K2: 50 Leute steigen über sterbenden Mann
Erschreckende Szenen müssen sich auf dem K2, dem zweithöchsten Berg der Erde, abgespielt haben. Ein Österreichischer Bergsteiger erzählt.