Tschernobyl-Tourismus Im verstrahlten Kommandoraum der Katastrophe

uri

11.10.2019

Es ist der ultimative Hotspot des Katastrophentourismus: Der Kontrollraum des 1986 havarierten Reaktorblocks 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl ist jetzt für Besucher freigegeben.

Seit dem Jahr 2011 hat die Ukraine die Zone um den am 26. April 1986 explodierten Reaktorblock 4 in Tschernobyl für zahlende Besucher freigegeben. Freunde des sogenannten «schwarzen Tourismus» können jetzt direkt ins Epizentrum der Katastrophe: Der marode Kontrollraum des Reaktorblocks, in dem vor 33 Jahren das Unglück seinen Anfang nahm, ist öffentlich zugänglich.

Tschernobyl wurde nach einer missglückten Simulation eines Stromausfalls 1986 bis heute zum Schauplatz des schlimmsten Atomunfalls der Geschichte. Unmittelbar war das Unglück für über 50 Menschen tödlich. Nach einem Bericht der WHO könnte es für rund 4'000 Todesfälle aufgrund von Krebserkrankungen verantwortlich sein. Andere, weniger vorsichtige Reporte, gehen teils sogar von einer 14 Mal höheren Zahl von Todesopfern aus.



Inzwischen zieht die Region aber zigtausende wagemutige Besucher im Jahr an. Im Zuge der populären Fernsehserie «Chernobyl» wurden es zuletzt noch einmal mehr: In diesem Jahr kamen bereits 87'000 Menschen zu 72'000 im Vorjahr. Wohl nicht zuletzt deshalb hat die Ukraine zuletzt 21 neue Touristenrouten rund um das Kernkraftwerk angekündigt.

Besonders Mutige können nun sogar in den Kontrollraum von Reaktorblock 4 gehen. Das ist der Ort, an dem einige folgenschwere Fehler begangen wurden, die das Unglück überhaupt möglich machten. Der Raum liegt nicht unter dem alten und brüchigen Stahlbetonsarkophag von 1986, inzwischen aber unter der Schutzhülle «New Safe Confinement», die umgerechnet über eine Milliarde Franken kostete und den Austritt von Radioaktivität für die nächsten 100 Jahre verhindern soll.

Wie der «Telegraph» berichtet, wurde im Kontrollraum im Zuge einer Untersuchung nach dem Unfall zwar ein Grossteil der Apparaturen entfernt, doch etliche verrostete Anzeigetafeln und Tastaturen sind noch zu besichtigen, wie Foros zeigen. Der Besuch ist nur für wenige Minuten gestattet, um die Strahlenbelastung auf einem relativ risikolosen Niveau zu halten. Mehr Zeit als für die Besichtigung selbst, muss laut der Zeitung für die aufwendige Einkleidung mit Atemschutzmasken, Helm Schutzanzug und dem Strahlenscan beim Ein- und Austritt aufgewendet werden.

Infrarotbilder von Tschernobyl

Wie der «Telegraph» weiter berichtet, variiert die Höhe der Strahlung auf dem Gelände stark und ist vor allem auf dem Boden hoch. Das grösste Risiko gehe vom radioaktiven Staub aus, der auch an Gegenständen haften kann, mitunter erst von den Besuchern selbst aufgewirbelt wird. Mitarbeiter versprühen deshalb im Kontrollraum immer wieder Chemikalien, um Staubpartikel zu fixieren.

Laut Yaroslav Yemelianenko, dem Chef von Chernobyl Tour, einem grossen Tourimusveranstalter setzen sich Besucher aber keiner grossen Gefahr aus – vorausgesetzt, sie halten sich an die ausgeschilderten Wege und berühren keine Gegenstände. Sie bekämen dann nämlich lediglich eine Strahlendosis von vier Mikrosievert ab. Das sei weniger als das, was man auf einem einstündigen Transatlantikflug ausgesetzt sei.

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