Sexualstrafrecht im StänderatZwei neue Lösungsansätze, ein altes Problem für die Opfer
phi
6.6.2022
Dass das geltende Sexualstrafrecht einer Revision bedarf, ist Konsens – ob es nun auf die «Nur Ja heisst Ja»- oder die «Nein heisst Nein»-Lösung hinausläuft, wird in der Praxis vielleicht gar nicht so wichtig sein.
phi
06.06.2022, 17:54
phi
Schweden hat es seit 2018 vorgemacht, und nun ziehen andere in Europa nach. Spaniens Parlament hat am 26. Mai mit deutlicher Mehrheit einen Gesetzesentwurf zur Verschärfung des Sexualstrafrechts abgenickt. Gegen die «Nur Ja heisst Ja»-Lösung stimmten lediglich die Abgeordneten der konservativen Volkspartei (PP) und der rechtspopulistischen Vox.
In der Schweiz ist die SVP die lauteste Fürsprecherin der «Nein heisst Nein»-Lösung, die auch vom Bundesrat und von der Ständeratskommission favorisiert wird. Am heutigen 7. Juni wird im Rahmen der Sommersession die kleine Kammer über das Thema beraten.
Die zwei Modelle
Ja heisst Ja: Das Modell erfordert die ausdrückliche oder implizite Zustimmung. Nur so ist eine sexuelle Handlung straffrei. Schweden kennt das Ja-Modell seit 2018. Dieses wollen hierzulande Amnesty International sowie SP und Grüne. Nein heisst Nein: Hier muss das Opfer seine ablehnende Haltung zum Ausdruck bringen. Unterschied: Es muss sich nicht körperlich wehren – ein Nein genügt. Deutschland hat dieses Nein-Modell. In der Schweiz will das die SVP. (red)
Das Problem: Bis zu 70 Prozent der Opfer erleben nach Angaben der Betroffenengruppe eine Schockstarre. Gruppen wie Amnesty International fürchten, dass Opfer in so einer Lage ihren Widerwillen nicht ausdrücken können.
Rege Diskussion
Auch die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen (EKF) findet den «Nein heisst Nein»-Ansatz «ungenügend»: «Gemäss dieser Lösung müssen Opfer auch zukünftig darlegen und erklären, ob und inwiefern sie eine sexuelle Handlung abgelehnt haben.»
Bürgerliche Politiker halten entgegen, die «Nur Ja heisst Ja»-Lösung würde die Beweislast umkehren: «Das würde eine Verletzung der Unschuldsvermutung bedeuten, die eine wichtige Errungenschaft des Rechtsstaates ist», denkt auch die Solothurner Rechtsanwältin Eveline Roos, die das SRF dazu befragt hat.
Dem widerspricht Nora Scheidegger, Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht: «Auch unter der ‹Nur Ja heisst Ja›-Lösung müsste der beschuldigten Person immer noch nachgewiesen werden, dass keine Zustimmung vorgelegen hat und ihr dies bewusst war.»
Das alte Problem
Auch Herr und Frau Schweizer glauben einer Umfrage zufolge, dass die Zustimmungslösung den besten Schutz bietet: Am höchsten ist der Zuspruch mit 50 Prozent bei den 18- bis 39-Jährigen, während sie bei den 40- bis 64-Jährigen noch bei 45 und bei den über 65-Jährigen bei 40 Prozent liegt.
Doch während es richtig und wichtig ist, das Sexualstrafrecht in der Schweiz zu modernisieren, dürfen Opfer eines nicht vergessen: Sie müssen nach wie vor vor Gericht belegen, was sich hinter verschlossenen Türen zugetragen hat. Und für das, was vor der Tat besprochen – oder eben nicht besprochen worden ist, gibt es in der Regel keine Zeugen.
Hinzu kommt: Selbst wenn jemand dem Sex explizit zugestimmt hat, kann es sich die Person im Verlauf des Verkehrs noch anders überlegen. Und auch in diesem Fall steht das Opfer in der Regel vor dem Problem, Beweise dafür anführen zu müssen, was der Täter oder die Täterin verbrochen hat. Vor diesem schweren Akt schützt die Betroffenen keine der beiden Lösungen.