CoronakriseDer Online-Handel boomt – jetzt wollen Schweizer die Lädeli retten
Von Jennifer Furer
13.7.2020
Der Handel im Internet boomt. Die Tendenz zeigt – auch wegen der Coronakrise – nach oben. Eine neue Umfrage zeigt nun aber auch einen Gegentrend.
Diese Zahlen lassen aufhorchen: 6,35 Milliarden Franken Umsatz erzielten die Top 30 der Schweizer Onlineshops 2019 – also noch vor Corona – in der Schweiz. Die Tendenz zeigt nach oben. Bedingt durch die Krise könnten nun Rekorde fallen.
Jedes Jahr geben E-Commerce-Experten von Carpathia die Liste der grössten Onlineshops in der Schweiz heraus. Der Modehändler Zalando und die Elektronikhändler Digitec und Amazon schafften es 2019, wie bereits in den Jahren zuvor, auf die ersten drei Ränge. Darauf folgen Aliexpress, Brack und Nespresso.
Alle Onlinehändler konnten ihre Umsätze steigern. Am stärksten zugelegt haben unter anderem Brack und Microspot. Der Umsatz bei brack.ch ist gemäss Schätzungen von Carpathia um rund 15 Prozent auf 356 Millionen Franken gestiegen, jener der Coop-Tochter Microspot von 242 auf 279 Millionen Franken.
Sättigung für Chinawaren
Deutlich weniger zulegen konnten die chinesischen Unternehmen Aliexpress und Wish. Noch im Vorjahr konnten sie ihre Umsätze jeweils verdoppeln. 2019 verzeichnet Aliexpress ein Umsatzwachstum von 25 Millionen, Wish eines von 15 Millionen.
«Es scheint, als hätte sich eine gewisse Sättigung für Chinawaren eingestellt», sagt Thomas Lang, CEO der Carpathia AG. Anderseits sei die Beliebtheit nach wie vor gross und es handle sich nicht immer nur um Billigware. «Denn viele Erzeugnisse anderer Händler kommen auch aus China – also beschaffen Frau und Herr Schweizer die Ware gleich selber in Fernost.»
Trotz diesem Dämpfer ist das Wachstum des Onlinehandels augenscheinlich – und keinesfalls vorbei. Denn Corona hat den E-Commerce-Unternehmen neuen Aufschwung verliehen. Thomas Lang sagt: «Die B2C-Umsätze werden dieses Jahr überproportional wachsen, das scheint jetzt schon festzustehen.» Unter B2C wird das Geschäft mit Privatkunden verstanden.
In Zahlen ausgedrückt: Nebst dem jährlichen strukturellen Wachstum von etwa 10 Prozent komme ein Corona-Sondereffekt von nochmals gegen 20 Prozent hinzu. «Der B2C-Onlinehandel könnte dieses Jahr um die 30 Prozent zulegen, wie verschiedene Prognosen und Experten vorhersagen», sagt Lang.
Demnach sei es gar wahrscheinlich, dass die beiden umsatzstärksten Online-Unternehmen Zalando und Digitec die Umsatzmilliarde knacken werden.
Shoppingcenter auf Aufholjagd
Bedeutet das nun das definitive Aus für das stationäre Gewerbe? Es gibt Anzeichen, die diese Frage verneinen lassen. Zum einen verzeichneten Einkaufscenter in den letzten Wochen Rekordumsätze. So viele Besucher wie kaum je zuvor pilgerten in die Läden, berichtete «CH Media».
Einige Läden konnten gar Umsatzeinbussen aufgrund des Lockdowns wieder wettmachen. Marc Schäfer, Center-Leiter der Shopping-Arena in St. Gallen, sagte etwa: «Obwohl der Mai im Vergleich zum Vorjahr sieben Verkaufstage weniger hatte, haben die meisten Läden bei uns gleich viel Umsatz gemacht.»
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Ganz so euphorisch wird die Stimmung in den Shoppingcentern nicht bleiben. Schliesslich dürften die Grenzöffnungen und der damit verbundene Einkaufstourismus wieder viele Kundinnen und Kunden ins Ausland ziehen. Und auch der Onlinehandel dürfte weiterhin grossen Einfluss auf die Umsätze stationärer Läden haben – und zwar nicht nur positiven.
Laut Experten der Credit Suisse wird der erhöhte Online-Anteil den stationären Non-Food-Läden zusetzen. Ökonomen gehen bei Letzteren von einer negativen Umsatzentwicklung von minus 20 Prozent für das Jahr 2020 aus. In dieser Zahl enthalten sind auch die Einbussen durch den Lockdown und die Eintrübung der Konsumentenstimmung.
Konsumentinnen wollen mehr Nachhaltigkeit
Im Gegensatz dazu scheint der Food-Detailhandel laut der Credit Suisse ein Profiteur der Coronakrise zu sein. «Das Umsatzplus infolge des Mehrverkaufs durch eher niedrig gepreiste Basisnahrungsmittel und Hygieneprodukte dürfte sich aber in Grenzen halten», heisst es in einer Mitteilung. Expertinnen und Experten rechnen damit, dass sich die stationären Food-Umsätze auf dem Niveau des Vorjahres einpendeln dürften.
Den stationären Handel optimistisch stimmen dürften neuste Umfragewerte des Marktforschungsinstituts Gfk. Denn die Coronakrise scheine bei vielen Konsumentinnen und Konsumenten das Bewusstsein für mehr Nachhaltigkeit geweckt zu haben.
«Beim Einkaufsverhalten ist ein klarer Trend zum verstärkten Kauf von regionalen Produkten zu beobachten», sagt Anja Reimer von der Abteilung Consumer Insights bei GfK. 55 Prozent der Schweizer planten, mehr in kleinen Geschäften und von lokalen Produzenten einzukaufen.
Drei Viertel der Schweizerinnen und Schweizer befürchten, dass viele kleinere Unternehmen und Geschäfte schliessen müssen und viele Konsumenten wollen diese daher unterstützen. «Auch ethische Gesichtspunkte spielen eine stärkere Rolle, die Schweizer hinterfragen stärker, woher ein Produkt kommt und wie es hergestellt wurde», so Reimer.
Das Marktforschungsinstitut GfK hat zudem eruiert, dass 55 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer ohnehin weniger einkaufen und mehr sparen wollen – vor allem bei Frauen ist dieser Vorsatz verbreitet. «Das Leben vieler Konsumenten hat sich durch den Lockdown auf breiter Front verändert und es hat ein gewisses Umdenken stattgefunden», sagt Reimer.
SBB gewinnen, Reisebranche verliert
Das Beratungsunternehmen Carpathia hat auch die Top 5 der umsatzstärksten Online-Unternehmen im Bereich Reisen, Tickets und horizontale Plattformen im Jahr 2019 aufgelistet. Auf Rang 1 hat sich die Swiss eingenistet, gefolgt von den SBB, booking.com, airbnb.ch und Ricardo.
Zulegen konnten besonders die SBB. Sie steigerten ihren Umsatz von 848 auf 1,13 Milliarden Franken. «Das mag verschiedene Ursachen haben», sagt Thomas Lang, CEO der Carpathia AG. «Zum einen bringt sicher die neue App noch mehr Convenience. Anderseits werden immer mehr Schalter und Ticketautomaten abgeschafft, sodass primär der Billettkauf über Web und Mobile im Fokus steht.»
Lang nimmt an, dass Corona gerade bei Ticket- und Reiseplattformen zu massiven Umsatzrückgängen kommen wird. «In welchem Umfang, ist heute schwer abschätzbar.»