Debatte zu Genderfluidität Tessin – das Texas der Schweiz? Ein Schul-Comic löst Polemik aus

Celina Euchner

29.8.2023

Ein Comic zu Genderfluidität für Schulkinder im Tessin steht in der Kritik. (Symbolbild)
Ein Comic zu Genderfluidität für Schulkinder im Tessin steht in der Kritik. (Symbolbild)
Bild: Keystone/Laurent Gillieron

Auf zwei Comicseiten beschäftigt sich die Tessiner Schüleragenda mit Genderfluidität. Deswegen kommt es zu einer Debatte, die an Genderdiskussionen in republikanischen US-Staaten wie Texas erinnern. 

Celina Euchner

29.8.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Im Tessin wird über zwei bestimmte Seiten in der Schüleragenda diskutiert.
  • Dort ist abgebildet, wie eine Comicfigur darüber spricht, dass es sich mal als Junge und mal als Mädchen fühle.
  • Es geht um Genderfluidität. Das löst eine politische Debatte aus. 

Die Schule im Tessin hat nach zehn Wochen Sommerferien am Montag wieder begonnen. Doch seit einigen Tagen wird der Schulanfang von einer Kontroverse über geschlechtliche Vielfalt begleitet.

Der Auslöser dafür sind zwei Seiten in der aktuellen gedruckten Tessiner Schüleragenda. Dort erzählt eine Comicfigur traurig davon, dass sie sich mal als Junge, mal als Mädchen fühlt – es geht also um Genderfluidität.

«Ideologischer Kampf»

Was ist Genderfluidität?

Genderfluidität bezieht sich auf eine Geschlechtsidentität, bei der sich eine Person nicht ausschliesslich mit einem bestimmten Geschlecht identifiziert, sondern ihre Geschlechtsidentität im Laufe der Zeit ändern kann. Menschen, die genderfluid sind, können sich mal als männlich, mal als weiblich oder auch als nicht-binär oder anderweitig geschlechtsneutral identifizieren. Genderfluidität ist Teil der Vielfalt der Geschlechtsidentitäten und zeigt, dass Geschlecht nicht immer festgelegt oder binär sein muss.

Dies hat die Mitte- und Rechtsparteien aufgeschreckt. Sie sprechen gar laut dem SRF von einem «ideologischen Kampf», der dort ausgetragen wird. So sagt der Tessiner Politiker Fiorenzo Dadò laut «Corriere del Ticino»: «Das in der Schulordnung angesprochene Thema ist ernst und heikel, es kann nicht auf zwei Seiten der Tagesordnung abgetan werden.» Auch der Politiker Piero Marchesi sagt: «Wir kämpfen dafür, dass die Schule nicht dazu missbraucht wird, Schüler zu indoktrinieren.»

Die Erziehungsdirektion, die als Herausgeberin der Schulagenda fungiert, verteidigt die zwei Comicseiten damit, dass sie den Dialog fördern und Diskriminierung verhindern möchte.

Lugano verteilt Agenda nicht

Ausserdem steht es den Gemeinden frei, ob sie diese Schüleragenda bereits den Schülern der fünften Klasse geben möchten – oder nicht. Die Entscheidung über schulische Hilfsmittel liegt also in den Händen der Kommunalpolitiker, wie die Tessiner Erziehungsdirektion festlegt.

In Gemeinden wie der von rechtsbürgerlichen Kräften regierten Stadt Lugano wird die Schüleragenda daher nicht ausgehändigt. Im Tessin ist die Schule nun somit politisch.

Diese Kontroverse wird die Politik auch über den Schulanfang hinaus beschäftigen, und zwar durch verschiedene Vorstösse. Einer davon fordert, dass die Mitarbeiter*innen der Tessiner Erziehungsdirektion zukünftig den Entwurf dieser Schüleragenda den Politikern vorlegen müssen.

Debatte erinnert an US-Diskussionen

Diese Forderung ist aussergewöhnlich und erinnert an die massiven Diskussionen der Republikaner in den USA. Dort wird ein Kulturkampf in Schulen ausgetragen. So werden zum Beispiel an Schulen in Texas Bücher verboten, die Genderthemen thematisieren. Vorreiter ist dabei zum Beispiel der texanische Gouverneur Greg Abbott. 

Die Diskussion im Tessin und zeigt, wie stark die Schule im Tessin politisch geprägt ist und wie stark sich konservative Kräfte in der Schulbildung mitreden wollen.