Keine Impf-Priorität «Kinder können sich ruhig weiter anstecken»

Von Andreas Fischer

25.3.2021

Die Infektionszahlen steigen, gegen das Coronavirus werden Kinder aber auf absehbare Zeit nicht geimpft. (Symbolbild)
Die Infektionszahlen steigen, gegen das Coronavirus werden Kinder aber auf absehbare Zeit nicht geimpft. (Symbolbild)
KEYSTONE

In Grossbritannien sollen im Sommer 11 Millionen Kinder geimpft werden. In der Impfstrategie der Schweiz spielen sie bislang keine Rolle. Das hat einen einfachen Grund, wie ein Zürcher Mediziner erklärt.

Von Andreas Fischer

Dass Kinder ebenfalls Überträger des Coronavirus sind, daran gibt es in der Wissenschaft keinen Zweifel mehr. Und sie sind selbst auch immer häufiger betroffen. So meldete das deutsche Robert-Koch-Institut im aktuellen Lagebericht zur Corona-Pandemie, dass die Covid-19-Fallzahlen besonders stark bei Kindern und Jugendlichen ansteigen. Auch in der Schweiz lässt sich eine deutliche Zunahme der Infektionen in dieser Altersklasse feststellen, wie Daten des Bundesamts für Gesundheit (BAG) zeigen.

Trotzdem werden Kinder noch nicht geimpft. Zumindest in der Schweiz nicht. Grossbritannien hingegen macht bei Massenimpfungen für Kinder vorwärts: Schon ab August sollen 11 Millionen schulpflichtige Kinder und Jugendliche gegen Covid-19 geimpft werden. So sehen es vorläufige Regierungspläne vor, auf die sich ein Bericht der Zeitung «The Telegraph» beruft.

Dass sie in der Impfstrategie noch keine Rolle spielen, habe einen einfachen Grund, erklärt Dr. Felix Huber, Präsident der mediX Ärztenetze, «blue News»: «Es gibt zur Verträglichkeit der Impfstoffe für Personen unter 16 Jahren keine Studien. In der Schweiz sind bis jetzt zwei Impfstoffe zugelassen: der von Pfizer/Biontech ab 16 Jahren und der von Moderna ab 18. Die Hersteller haben ihre Impfstoffe unter diesem Alter einfach noch nicht getestet.»

Beim BAG tönt es auf Anfrage ähnlich: «Kinder waren bisher in Studien nicht inkludiert, aus diesem Grund werden sie aktuell in der Schweizer Impfstrategie nicht berücksichtigt.» 

Impfstoffe für Kinder erst in ein paar Monaten

Mittlerweile werden diese Studien zwar durchgeführt, allerdings dauert es noch einige Monate, bis die Ergebnisse vorliegen und validiert sind. «Kinder sind eine besonders vulnerable Gruppe, deshalb müssen klinische Studien besonders sorgfältig gemacht werden», erläutert Philippe Girard, Vizedirektor der Schweizer Zulassungsbehörde Swissmedic, im «Tages-Anzeiger», warum es mit der Impfstoff-Zulassung für Kinder länger dauert. 

Auch in Grossbritannien erfolgt der Impfstart für Kinder vorbehaltlich der Ergebnisse einer Studie der Universität Oxford in Zusammenarbeit mit Astrazeneca. Die Ergebnisse sollen im Juni oder Juli vorliegen.

Für Huber sei es «nicht wirklich» ein Versäumnis, dass sich die Hersteller bei ihren Studien zunächst auf die Erwachsenen konzentriert haben. «Kinder haben beim Impfen keine Priorität, weil sie Infektionen zumeist unbemerkt durchmachen oder nur leichte Symptome entwickeln.»

Viel wichtiger sei es, die erwachsene Bevölkerung durchzuimpfen: «Wir haben im Moment sehr viel damit zu tun, zunächst die Risikopersonen und dann alle anderen Erwachsenen zu immunisieren. Wenn wir das geschafft haben, können wir uns den Kindern zuwenden.»

Virus dockt bei Kindern nicht so leicht an

Gefährdet seien schliesslich eher Erwachsene und Risikoperson. «Kinder selber können sich ruhig weiter anstecken, sie machen dann einfach einen grippalen Infekt durch. Die Krankheit verläuft in den meisten Fällen ohne Komplikationen.» Ganz ausser Acht lassen sollte man Kinder dennoch nicht: «Natürlich verbreiten sie das Virus weiter, sie sind auf jeden Fall auch eine Ansteckungsquelle, wenngleich keine relevante.»

Wenn irgendwann die meisten erwachsenen Menschen geimpft worden sind, bleibt dem Virus keine Angriffsfläche mehr – ausser ungeimpfte Personen. Zu denen gehören dann vor allem Kinder: «Das ist richtig, aber das Virus dockt bei Kindern eben nicht so leicht an wie bei Erwachsenen», erklärt Huber.

Der Arzt geht davon aus, dass «die Ausbreitung des Coronavirus zusammenfallen wird, wenn 70 bis 80 Prozent der Erwachsenen geimpft sind». Es werde zwar immer eine gewisse Anzahl an Erwachsenen geben, die sich nicht impfen lassen wollen und sich demnach bei Kindern anstecken können. «Aber das ist ein Risiko, das diese Menschen selbst in Kauf nehmen.»

Swissmedic-Vizedirektor Girard ist daher überzeugt, dass «eine Zulassung für Kinder auch für eine künftige Herdenimmunität wichtig sein könnte». Und für Manfred Kopf, Immunologe an der ETH Zürich und Mitglied der Taskforce des Bundes, gibt es gar «keinen Grund, Kinder nicht zu impfen», wie er zu «20 Minuten» sagte.

Huber sieht das ähnlich, aber eben mit der Einschränkung, dass Kinder die «letzte Priorität» haben. «Wenn die Vakzine erprobt sind, dann können wir sie auf jeden Fall auch impfen.»