Russland bedroht NZZ-Journalist Weil er die Realität beschrieb, soll ein Zürcher ins Straflager

Von Philipp Dahm

20.4.2023

Krokusse vor der russischen Botschaft in Bern: Nun ist das EDA gefragt.
Krokusse vor der russischen Botschaft in Bern: Nun ist das EDA gefragt.
Keystone

Die russische Botschaft in Bern stellt einen Schweizer Journalisten wegen eines Ukraine-Artikels an den Pranger und droht mit Folgen. Nun solidarisieren sich diverse Medienschaffende mit dem Kollegen.

Von Philipp Dahm

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die russische Botschaft in Bern hat den NZZ-Journalisten Ivo Mijnssen wegen eines Artikels persönlich angegriffen.
  • Auf der Website der Botschaft wird Mijnssen mit möglichen juristischen Konsequenzen in Russland gedroht.
  • Schweizer Journalisten diverser Medienhäuser solidarisieren sich nun mit dem Kollegen.
  • Das EDA bereitet eine Reaktion auf den Vorgang vor.

Die russische Botschaft in Bern hat auf ihrer Internet-Seite den «NZZ»-Journalisten Ivo Mijnssen angegriffen und ihm wegen eines Artikels über Partisanen im besetzten Melitopol mit juristischen Folgen gedroht.

Nun springen Schweizer Journalisten für den Kollegen in die Bresche. «Solidarität mit Ivo», mahnt David Nauer an, der für das SRF als Korrespondent in Moskau gearbeitet hat. Arena-Moderator Sandro Brotz ergänzt: «Wir sollten nicht – nur als Medienschaffende – mit Ivo Mijnssen solidarisieren.»

Neben seinen Kollegen von der NZZ ...

... verteidigen auch Kollegen der Konkurrenz die Arbeit des Journalisten und wehren sich gegen den Versuch Russlands, die Pressefreiheit in diesem Land zu torpedieren.

Auch freue Journalisten setzen sich für Mijnssen ein: Der Freelancer Hüseyin Aydemir thematisiert in dem Zusammenhang, wie Trolle die Nachricht nutzen, um über «Fake News und US-Propaganda» zu lamentieren, die «praktisch alle Medienhäuser hierzulande» betreiben. Der Schweizer habe «terroristische Propaganda» verbreitet, schreibt einer, «Die Unterstützung von Terrorismus ist strafbar» ein anderer.

Die Solidaritätsbekundungen bleiben nicht unbemerkt.

Doch was ist dran am Vorwurf «terroristischer Propaganda»? Der in Wien stationierte Mijnssen veröffentlicht am 7. April einen Artikel über den Widerstand in Melitopol gegen die russische Besetzung. Unter dem Titel «Partisanen, Himars und eine drohende ukrainische Offensive: Die Nerven in der ‹Terrorhauptstadt Neurusslands› liegen blank» beschreibt er, wie sich die Bevölkerung – auch mit Gewalt – gegen die Okkupation wehrt.

Russland wittert «Volksverhetzung» und «Terrorismus»

Die russische Botschaft in Bern wertet das als eine «Rechtfertigung des Terrorismus», die von einer «absoluten [Degradierung] der journalistischen und allgemeinmenschlichen Ethik der Autoren» zeuge. Im holprigen Deutsch wird Mijnssen ein «eindeutig den Kopfabschneidern sympathisierender Ton» unterstellt.

«Es ist auffallend», schreibt die Botschaft, «dass Melitopol in der «NZZ» falsch als ein ‹Fremdkörper› in Bezug auf Russland dargestellt wird.» Dabei sei die Stadt wie auch die Krim 1783 zu Russland gekommen. Die Darstellung rechtfertige «Terrorismus» und fördere «Volksverhetzung».

Das Pamphlet endet: «Zum Schluss möchten wir Mijnssen auf die strafrechtlichen Bestimmungen hinweisen, die auf seine Äusserungen in Russland angewendet werden könnten.» Eine Busse und zwei bis fünf oder fünf bis sieben Jahre Haft drohten dem Journalisten.

Nicht der erste Vorfall dieser Art

Es ist allerdings nicht das erste Mal, dass die russische Botschaft in Bern verbal austeilt. Auch 2021 schlagen die Diplomaten zu: Botschafter Sergei Garmonin beleidigt vor zwei Jahren «anrüchige Autoren», denen er «gute seelische Gesundheit» wünscht, berichtet im April die «Aargauer Zeitung».

«Die Wortmeldungen des russischen Botschafters sind inhaltlich wie in ihrer Tonalität absolut bedenklich», mahnt damals schon die Mitte-Nationalrätin Marianne Binder-Keller. Die Aargauer Abgeordnete fühle sich an den Kalten Krieg erinnert: «Die Art der persönlichen Angriffe könnte man meines Erachtens auch als versteckte Einschüchterung verstehen.»

Dass sich ein derartiger Vorgang nun wiederholt, zeigt vor allem, wie unterschiedlich die Schweiz und Russland die Pressefreiheit, die Rolle des Journalismus in der Gesellschaft und demokratische Strukturen bewerten. Nun ist das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten gefragt: Noch ist unklar, wie das EDA reagieren wird.

Die Behörde kann eine schriftliche Protest-Note verfassen, die dem russischen Aussenministerium zugestellt würde. Eine schärfere Aktion wäre die Einbestellung des russischen Botschafters. Die strengste Antwort wäre eine Ausweisung von Diplomaten aus der Schweiz.