Abstimmungskampf der Superlative Warum die Konzerninitiative dermassen mobilisiert

Von Anna Kappeler

1.10.2020

Aktivist*innen von «Fastenopfer» und «Brot für Alle» bei einer symbolischen Aktion mit einem Goldbarren gegen Menschenrechtsverletzungen vor dem Bundeshaus.
Aktivist*innen von «Fastenopfer» und «Brot für Alle» bei einer symbolischen Aktion mit einem Goldbarren gegen Menschenrechtsverletzungen vor dem Bundeshaus.
Bild: Keystone

Kaum ist der Superabstimmungssonntag vorbei, rückt der Abstimmungskampf zur Konzerninitiative in den Vordergrund. Und der ist aussergewöhnlich – das Lobbying ist professionell wie selten. Was Sie dazu wissen müssen.

Das hat Seltenheitswert. Eine Mehrheit der Schweizer Bevölkerung weiss bestens über den Inhalt einer Volksinitiative Bescheid, lange bevor der Abstimmungstermin dazu steht. Davon zeugen die zahlreichen Fahnen an Balkonen nicht nur in linken Städten, sondern auch in ländlichen Bergdörfern im Tessin oder im Graubünden. Und auch die Medien berichten schon lange vor dem Tag X – es ist der 29. November – regelmässig über die Konzernverantwortungsinitiative (Kovi).

Da stellt sich die Frage: Warum dieser Effort, ja diese Nervosität bei Befürwortern wie Gegnern des Volksanliegens?

Doch beginnen wir von vorne: Um was geht es in der Initiative?

Die Initianten fordern, dass globale Konzerne mit Sitz in der Schweiz Menschenrechte und Umweltschutz beachten. Und das weltweit. Hierfür sollen sie einem Regelwerk unterstellt sein. Herzstück der Initiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt» ist die Sorgfaltsprüfungspflicht, die neu eingeführt werden soll. Falls Konzerne Menschenrechte verletzen oder die Umwelt zerstören, müssten sie dafür geradestehen. Egal, wo das Delikt geschieht, egal, ob es sich dabei «nur» um eine Tochterfirma handelt.

Auffällig ist das professionelle Lobbying – auf beiden Seiten. Wie kommt’s?

Diese Initiative hat eine der aufwendigsten und bestorchestrierten Kampagnen der vergangenen Jahre. Laut «Tages-Anzeiger» sollen die Befürworter seit Frühjahr 2014 auf die Abstimmung hin planen. Zudem ist das Anliegen im öffentlichen Raum mit Zehntausenden von farbigen Fahnen präsent. Dazu kommen die Kirchen, die sich sonst meist zurückhalten in Abstimmungskämpfen. Nun aber unterstützen Hunderte von Kirchgemeinden in der ganzen Schweiz die Initiative – mit Flyern und Flaggen an Kirchtürmen. Und immer wieder werden Journalist*innen vorrecherchierte Fälle von Umwelt- und Menschenrechtsverstössen mit Bezug zu Schweizer Firmen angeboten.



Was kostet das alles?

Zum Budget schweigen die Initianten eisern, Schätzungen gehen von Millionen von Franken aus.

Kann da die Gegenseite mithalten?

Ja. Bis zu acht Millionen Franken etwa soll allein der Wirtschaftsdachverband Economisuisse als Kampagnenbudget haben. Das schrieb das Magazin «Bilanz», der Verband dementierte dies allerdings.

Was machen die Gegner mit dem Geld?

Auch sie fahren gezielte Kampagnen. Unterstützung erhalten sie dabei von Werbebüros, darunter bekannte PR-Agenturen wie Furrer Hugi. Und zum Start der Nein-Kampagne gestern Mittwoch traten die Parteipräsidenten von SVP, FDP und CVP höchstpersönlich auf. In Anbetracht des vollen Terminkalenders von Marco Chiesa, Petra Gössi und Gerhard Pfister ist auch das eher aussergewöhnlich.

Der Streit im Parlament dauerte. Weshalb?

Genau, rund drei Jahre beschäftigte sich die vereinigte Bundesversammlung mit der Kovi. Beide Räte lehnen sie schliesslich ab.

Warum brauchte es dafür drei Jahre?

Kompliziert wird es, weil National- und Ständerat über einen indirekten Gegenvorschlag zur Initiative stritten. Während zuerst darüber gezankt wurde, ob es überhaupt eines solchen bedürfe, standen zwischenzeitlich zwei unterschiedliche Entwürfe im Raum. Der Vorschlag des Nationalrats sah wie die Initiative vor, dass Firmen belangt werden können, jedoch bei eingeschränkten Haftungsregelungen. Beim Vorschlag des Ständerats hingegen, der ursprünglich vom Bundesrat ins Spiel gebracht worden war, wird ganz auf Haftungsregelungen verzichtet. Stattdessen gibt es Berichterstattungspflichten für bestimmte Unternehmen.

Die Einigungskonferenz musste also eingesetzt werden. Darin und in der Schlussabstimmung entscheidet sich das Parlament im Juni 2020 dann für den ursprünglichen Vorschlag des Ständerates. Die Initianten teilen daraufhin mit, sie sähen ihre Forderungen nicht erfüllt, weshalb sie ihr Volksbegehren nicht zurückziehen.



Wer ist dafür?

Lanciert hat die Initiative eine Koalition aus über hundert Hilfswerken, Menschenrechts- und Umweltorganisationen. Von den grossen Parteien sind SP und Grüne dafür. Aber nicht nur: Auch ein bürgerliches Ja-Komitee mit über 350 Politikerinnen und Politikern aus SVP, FDP, CVP, GLP, BDP und EVP weibelte gestern Mittwoch an einer Pressekonferenz dafür. Clever auch: An vorderster Front engagiert sich nicht etwa ein Linker, sondern FDP-Mann Dick Marty, ehemaliger Ständerat und Menschenrechtsexperte.

Wer ist dagegen?

Neben Bundesrat und Parlament sind das von den grossen Parteien SVP, FDP und CVP. In der ebenfalls gestern lancierten Nein-Kampagne vorne dabei sind zudem Economiesuisse sowie weitere Wirtschaftsverbände wie Swissmem, Swiss Banking oder Interpharma.

Was sind die wichtigsten Argumente?

Für die Befürworter ist es eine «Selbstverständlichkeit», dass Konzerne dafür geradestehen müssen, falls sie Menschenrechte verletzen oder die Umwelt zerstören. Die Initiative sei pragmatisch, umsetzbar und mache internationale Standards verbindlich.

Für die Gegner ist das Anliegen an sich zwar berechtigt, die Umsetzung aber zu extrem. Statt über nicht eingehaltene Menschenrechte sprechen sie über nicht umsetzbares Recht. Wenn Schweizer Richter aus der ganzen Welt nach Schweizer Recht urteilen müssten, wäre das ein Eingriff in die Souveränität anderer Nationen, so die Argumentation. Zudem könne es nicht angehen, dass Unternehmen künftig ihre Unschuld beweisen müssten. Sie wollen deshalb den indirekten Gegenvorschlag annehmen.

Was passiert bei einem Nein zur Initiative?

Dann tritt der indirekte Gegenvorschlag in Kraft. Auf Haftungsregeln würde verzichtet.

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