Konzerninitiative So funktioniert die professionellste Polit-Kampagne

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22.6.2020

Aktivistinnen und Aktivisten von «Fastenopfer» und «Brot für Alle» bei einer symbolischen Aktion mit einem Goldbarren gegen Menschenrechtsverletzungen beim Goldhandel.
Aktivistinnen und Aktivisten von «Fastenopfer» und «Brot für Alle» bei einer symbolischen Aktion mit einem Goldbarren gegen Menschenrechtsverletzungen beim Goldhandel.
Bild:  Keystone

Wie gewinnt man eine Volksabstimmung? Der Abstimmungskampf zur Konzerninitiative zeigt, wie professionell Polit-Campaigning heute betrieben wird. Ein Einblick in Konzeptpapiere, Protokolle und Abrechnungen.

Noch steht nicht einmal der Abstimmungstermin. Und doch zieren bereits 45'000 Fahnen zur Konzernverantwortungsinitiative landesweit die Balkone und Terrassen. Die Abstimmung ist zudem dauerpräsent in den Medien. Warum eigentlich?

Das ist kein Zufall, sondern hat System. Die Befürworter der Konzernverantwortungsinitiative, kurz Kovi, planen die Kampagne dazu minutiös – und das seit Jahren. Der «Tages-Anzeiger» berichtet dazu nun aus Konzeptpapieren, Protokollen und Abrechnungen aus dem innersten Kreis der Organisation. 

FDP-Mann als Kopf für mehrheitlich linkes Anliegen

Die Initianten planen seit Frühjahr 2014. Sie kommen mehrheitlich aus dem linken Lager. Doch nicht alle. Kopf der Kampagne ist deshalb Dick Marty, ehemaliger FDP-Ständerat und Menschenrechtsexperte. Die Initianten wissen: Die Kovi darf nicht als rein linkes Anliegen daherkommen – weil das sonst nicht für eine Mehrheit reichen würde.

Das will die Konzerninitiative
Keystone

Seit rund drei Jahren beschäftigt sich das Parlament schon mit dem Volksbegehren «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt», kurz: Konzernverantwortungsinitiative. Diese fordert, dass Unternehmen mit Sitz in der Schweiz auch für Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden von Tochtergesellschaften im Ausland haften.

Auch hier: Nichts ist Zufall, laut Kampagnenkonzept von 2017 sollen 30 Prozentpunkte von der Linken kommen, zehn weitere von CVP und FDP und der SVP. Dafür gibt es auch gleich vier Komitees, eines für die Linke und je eines mit bürgerlichen Politikern, der Wirtschaft und den Kirchen.

Perfekt getimt – wenige Tage zuvor hatte das Parlament in der Sommersession endgültig Nein gesagt zum Volksanliegen – flatterte ein Bettelbrief in Schweizer Briefkästen. Absender: Dick Marty. Der Inhalt: vergiftete Landarbeiter, verseuchte Dörfer, arme Kinder. Der Aufruf ans Volk, doch bitte den «skandalösen» Entscheid des Parlaments an der Urne zu korrigieren. Dazu aber, so Marty, brauche es finanzielle Unterstützung, denn ohne die «können wir diese Abstimmung gegen die acht Millionen der Konzernlobby nicht gewinnen».

Der Bettelbrief zur Konzernverantwortungsinitiative.
Der Bettelbrief zur Konzernverantwortungsinitiative.
Bild: bb

Rechtsprofessoren weibeln mit Gesprächen und drucken Heft

Genutzt wird laut der Zeitung zudem von der Unterschriftensammlung bis zum parlamentarischen Prozess jede Organisation, jedes Milieu, jede staatliche Institution für das Anliegen. Rechtsprofessoren wollen laut dem Konzept von 2015 mit «informellen Gesprächen», Fachtagungen und Artikeln in Juristenzeitschriften die Initiative «positiv würdigen». Die Zeitschrift «Aktuelle juristische Praxis» soll 2017 ein ganzes Heft zur Unterstützung der Initiative gedruckt haben.



Wichtig sind den Initianten zudem die Medien, auch sie sollen gezielt für das Anliegen gewonnen werden. Ausgewählten Journalisten werden Hintergrundgespräche inklusive fixfertiger «Fälle» angeboten. Diese Geschichten erzählen Verstösse von Menschenrechten mit einem Bezug zu einer Schweizer Firma.

Der ehemalige FDP-Ständerat Dick Marty (zweiter von links) unter anderem mit Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga.
Der ehemalige FDP-Ständerat Dick Marty (zweiter von links) unter anderem mit Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga.
Bild: Keystone

Laut Strategiepapier 2015 wird auch gezielt bei Simonetta Sommarugas zuständigem Justizdepartement geweibelt. Zahlreiche Treffen finden statt, das alles sei «hochvertraulich». Dann ein erster Erfolg: Im Herbst 2016 vermerkt das Protokoll, Sommarugas Departement habe einen «durchaus akzeptablen» Gegenvorschlag erarbeitet. Doch dann, im Januar 2017, unterliegt Sommaruga im Bundesrat. Dieser lehnt die Initiative ohne Gegenvorschlag ab.

Entscheid, doppelgleisig zu fahren

Es folgt eine Strategiesitzung der Initianten mit dem Entscheid, ab sofort doppelgleisig zu fahren: Einerseits bereiten sie sich auf eine Abstimmung vor, andererseits lobbyieren sie im Parlament für einen Gegenvorschlag. Wie das gehen soll? Nur wenn die Bürgerlichen ein Ja zur Initiative als reale Möglichkeit in Betracht ziehen, werden sie einem Gegenvorschlag zustimmen. Dazu dienen die «Fälle» für die Medienschaffenden.

Und: teure Lobbyisten. Zwischen 2014 und 2020 arbeitet man mit mindestens fünf PR- und Lobbying-Büros zusammen. Darunter sind laut dem «Tages-Anzeiger» Ellips Public Affairs, Mark Balsiger und Kohler.

Und wer zahlt?

Bleibt zuletzt die Frage der Finanzierung: Wer zahlt? Bereits die laufenden Arbeiten haben laut Abrechnungen und Budgets seit 2015 jährlich zwischen 300'000 und 600'000 Franken gekostet. Das finanzieren die 120 Mitgliedsorganisationen des Trägervereins über einen «Abstimmungsfonds». Bis zum Herbst könnte dieser zwei Millionen Franken umfassen, so die Zeitung. 100'000 Franken und mehr zahlen demnach Amnesty International, Brot für alle, Fastenopfer, Greenpeace, Swissaid, Helvetas, Heks, Terre des Hommes und der WWF.

Das Budget der Gegner soll indes acht Millionen betragen – was ein Sprecher von Economiesuisse dementiert. Eine andere Zahl nennt er nicht.

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