RahmenabkommenDas musst du zu Parmelins Reise nach Brüssel wissen
Von Lia Pescatore
23.4.2021
Das Rahmenabkommen wird zur Chefsache: Ab heute 10 Uhr wird in Brüssel über die zukünftige Beziehung zwischen der EU und der Schweiz verhandelt. Die wichtigsten Punkte im Überblick.
Von Lia Pescatore
23.04.2021, 06:40
23.04.2021, 09:34
Lia Pescatore
Warum sind die heutigen Verhandlungen so wichtig?
Der Bundesrat kämpft seit Monaten um einen Plan B, was das Institutionelle Abkommen Schweiz-EU (InstA) anbelangt. Doch in mehreren Punkten konnte bisher keine Einigung erzielt werden. Heute ist es wichtig, dass Bewegung in die Verhandlungen kommt. Darum muss die Schweiz einen geeigneten Lösungsansatz für die strittigen Punkte einbringen. Ansonsten droht der ganze Vertrag zu scheitern.
Wer nimmt teil?
Zum Treffen in Brüssel reist neben Bundespräsident Guy Parmelin auch Staatssekretärin Livia Leu. Aussenminister Ignazio Cassis bleibt hingegen daheim. Die EU vertritt die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Was ist die Position der EU vor den Gesprächen?
Die EU signalisiert keine Kompromissbereitschaft, für sie ist der jetzige Entwurf bereits finalisiert und nicht mehr verhandelbar. Gemäss internen Papieren, die in der vergangenen Woche in den Medien kursierten, erwartet die EU-Kommission klar Impulse vonseiten der Schweiz. Darin kritisierte Brüssel auch, dass bis anhin keine Textvorschläge von der Gegenseite eingebracht worden seien. Von der Leyen solle am Treffen herausfinden, was die Schweiz nun eigentlich wolle.
Was ist die Position des Bundesrats?
Die Mehrheit des Bundesrats unterstützt den aktuellen Entwurf nicht. Doch der Bundesrat konnte bis jetzt keine valide Alternative dazu vorlegen. Ignazio Cassis präsentierte vergangene Woche einen Gegenentwurf. Er wollte das Freihandelsabkommen von 1972 aktualisieren. Der Entwurf scheiterte daran, dass damit auch die Schutzzölle für Landwirtschaftsprodukte neu verhandelt hätten werden müssen. Das war der Mehrheit des Bundesrats zu heikel.
Besonders hartnäckig beharrt die EU auf der Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie, die EU-Bürgern den Anspruch auf Sozialhilfe und eine Aufenthaltsbewilligung nach fünf Jahren in der Schweiz gewähren würde. Momentan werden diese Bereiche vom Abkommen über die Personenfreizügigkeit (PFA) abgedeckt, das weniger bis gar keine Zugeständnisse in diesen zwei Punkten macht. Aus Sicht der EU ist das Abkommen aus dem Jahr 1999 veraltet und muss durch die fünf Jahre jüngere Unionsbürgerrichtlinie ersetzt werden. Die Schweiz wehrt sich dagegen.
Ein weiterer Streitpunkt ist der Lohnschutz. Momentan müssen sich Unternehmen aus der EU acht Tage vor einem Auftrag in der Schweiz anmelden. Dies soll den Schweizer Kontrollbehörden genug Zeit gewähren, um allfällige Kontrollen gegen Lohndumping organisieren zu können. Bei einer Lockerung der 8-Tage-Regel wird befürchtet, dass der Lohnschutz nicht mehr gesichert werden könne.
Wie man so hört, wurde hingegen bei den sogenannten staatlichen Beihilfen eine Einigung erzielt. Dies sind finanzielle Anreize, die der Schweizer Staat Unternehmen gewähren darf. Im EU-Raum sind solche nur erlaubt, wenn sie nicht den Wettbewerb verfälschen. Gemäss Medienberichten soll eine Zusatzerklärung bekräftigen, dass die Beihilferegelung nur für den Bereich des Luftverkehrs gelten wird.
Mit welchen Eingeständnissen will die Schweiz die EU von einem Plan B überzeugen?
Die genaue Strategie, die Parmelin heute in Brüssel verfolgen wird, bleibt bis zuletzt geheim. In den Medien wurden mehrere Möglichkeiten gehandelt:
Finanzielles Zückerchen: Die Zahlung des Beitrags der Schweiz an die Kohäsionsmilliarde steht noch aus. Die Schweiz könnte ihren Anteil auszahlen und eventuell sogar erhöhen, um die EU milder zu stimmen.
Interimsabkommen: Eine Zwischenlösung, die es ermöglichen würde, die kritischen Stellen des Abkommens vorübergehend auf Eis zu legen und damit gewisse Blockaden aufzuheben.
Rechtsübernahme: Die Schweiz könnte einwilligen, EU-Recht in den vom Abkommen abgedeckten Bereichen automatisch zu übernehmen. Lohnschutz und die Unionsbürgerrichtlinie müssten aber ausgenommen sein, um nicht die Mehrheit bei einer Volksabstimmung zu gefährden.
Die Befürworter hielten sich lange zurück, doch in den vergangenen Tagen meldeten sich mehrere zu Wort, um sich für das Fortsetzen der Verhandlungen auszusprechen. Mit einem Brief machten sich am Wochenende 17 Handelskammern für das Abkommen stark und warnten darin vor schwerwiegenden Nachteilen für die Wirtschaft, falls das Abkommen scheitern würde. Das gleiche Mittel wählte der Schweizerische Städteverband (SSV). Die Städte seien als Zentren für Wirtschaft, Bildung, Forschung und Kultur auf gute und stabile Beziehungen mit der EU angewiesen.
Von den Parteien stellt sich allein die GLP vorbehaltlos hinter das Abkommen.
Wer ist dagegen?
Längst nicht nur die SVP, sondern alle Bundesratsparteien äussern Vorbehalte gegenüber dem Rahmenabkommen. Kritisiert werden die Frage der Gerichtsbarkeit und der dynamischen Rechtsübernahme, die Bürgerlichen wehren sich zudem geeint gegen die Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie. Für die Gewerkschaften ist die diskutierte Lockerung beim Lohnschutz die rote Linie, um sich gegen das Abkommen auszusprechen.
Könnte das Abkommen heute scheitern?
Auch wenn der Vertrag in Bundesbern teilweise schon für tot erklärt wird, ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich die Parteien zumindest einen kleinen Schritt aufeinander zubewegen werden, um den Boden für weitere Verhandlungen zu ebnen. Bundesratssprecher André Simonazzi sagte im Vorfeld, dass es das Ziel des Treffens sei, «die Gespräche auf politischer Ebene wieder aufzunehmen».
Was wären die Konsequenzen, wenn die Verhandlungen ohne Erfolg blieben?
Die EU droht damit, bilaterale Abkommen auslaufen zu lassen. Teilweise setzt sie die Drohung schon in die Tat um und blockiert Verhandlungen für anstehende Updates von Abkommen, zum Beispiel in den Bereichen Strom, Gesundheit und Migration. Die Folgen zu spüren bekommt bereits die Medizinaltechnik-Branche, die wegen auf Eis gelegten Aktualisierungen eines Abkommens nur noch erschwerten Zugang zum Binnenmarkt hat.