Delta-Mutante in GrossbritannienWas die steigenden Zahlen für die Schweiz bedeuten
Von Anne Funk
2.6.2021
Die Verbreitung der Delta-Variante des Coronavirus bereitet einige Sorgen, vor allem in Grossbritannien bereitet sie sich schnell aus. Muss sich nun auch die Schweiz für die nächste Welle wappnen?
Von Anne Funk
02.06.2021, 18:17
02.06.2021, 19:00
Anne Funk
In Indien hat sie zum Kollaps in der Gesundheitsversorgung geführt: die Coronavirus-Variante B.1.617.2, besser bekannt als indische Variante. Seit Beginn der Woche hat sie nun einen neuen Namen, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat beschlossen, die Varianten nach dem griechischen Alphabet zu benennen, damit Länder nicht mit bestimmten Virusvarianten in Verbindung gebracht und Menschen, die dort leben, diskriminiert werden. Also heisst diese Variante nun Delta.
Und Delta macht den Wissenschaftlern und Virologen Sorgen. Die Mutation verbreitet sich aktuell rasend schnell in Grossbritannien, wo man gerade stolz seine Erfolge im Kampf gegen das Virus feierte und vermehrt Massnahmen lockerte. Während Anfang Mai noch rund 2000 Neuinfektionen täglich (im Sieben-Tage-Durchschnitt) gemeldet wurden, sind es am 29. Mai bereits über 3400. Im Vergleich zum Beginn des Jahres ist das noch sehr wenig, am 6. Januar lag die Zahl bei über 59'600, doch besorgt ist man trotzdem.
Schnellere Übertragung
Vor allem die Variante Delta scheint der Grund für den neuerlichen Anstieg zu sein. Mindestens 50 Prozent der Neuansteckungen seien inzwischen auf sie zurückzuführen, es könnten sogar 75 sein, hatte der britische Gesundheitsminister Matt Hancock in der vergangenen Woche erklärt. «Wir müssen wachsam bleiben», so Hancock an einer Medienkonferenz und auf Twitter.
The latest estimates are that more than half & potentially as much as three quarters of all new cases, are now of the variant first identified in India.
Grund für die rasante Ausbreitung sei, dass sich die Variante schneller übertrage, wobei allerdings nicht bekannt sei, ob sie 20 oder 80 Prozent infektiöser sei als die britische Variante, so der Epidemiologe Neil Ferguson vom Imperial College London.
Auch wisse man zum jetzigen Zeitpunkt nicht, wie sich die Mutation jenseits der Grenzen Grossbritanniens verhalte, dafür gebe es zu wenig Daten. «Wir werden erst in einigen Wochen sehen, was in anderen Ländern passiert.»
Besorgniserregende Variante auch in der Schweiz
Laut der epidemiologischen Lagebeurteilung der Swiss National COVID-19 Science Task Force wurden in der Schweiz bisher 69 Fälle der neuen Variante Delta nachgewiesen. Davon sei die grosse Mehrheit die Untervariante B.1.617.2, die die Gesundheitsbehörde Public Health England als «variant of concern (VOC)», also besorgniserregende Variante, klassifiziert hat.
Die Delta-Variante verdränge die britische Virusvariante B.1.1.7, inzwischen Alpha genannt, «in vielen britischen Städten und hat wahrscheinlich eine höhere Übertragungsrate, die sich jedoch noch nicht beziffern lässt», heisst es weiter von der Task Force.
Zusätzlich zur schnelleren Verbreitung besteht ausserdem die Frage, ob die aktuellen Corona-Impfstoffe auch gegen diese Variante ausreichend wirksam sind. Ravindra Gupta von der University of Cambridge vermutet im Gespräch mit «The Wire», dass dies eventuell nicht der Fall sein könnte. Er glaube, die Variante sei «weniger empfindlich gegenüber Impfstoffen».
Impfstoffe schützen ähnlich gut
Die Impfstoffe würden zwar gegen Delta schützen, allerdings nur bis zu einem gewissen Grad. Einer noch nicht begutachteten Studie von Public Health England zufolge sei die Wirksamkeit nach der ersten Dosis des mRNA-Impfstoffs von Biontech nur etwa bei 34 Prozent (statt 51 Prozent gegen Alpha), nach der zweiten Dosis bei 88 Prozent (statt 93 Prozent), so der Bericht der Task Force. Impfungen mit dem in der Schweiz nach wie vor nicht zugelassenen Vakzin AstraZeneca führten zu einem Schutz von etwa 60 Prozent nach der zweiten Dosis.
Aufgrund der Ausbreitung der Delta-Variante und damit steigenden Zahlen hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) Grossbritannien seit dem 27. Mai wieder als Risikoland gelistet. Die Gefahr, dass sich die Mutante auch in der Schweiz ausbreiteten könnte, sei noch immer gegeben, erklärt Andreas Cerny vom Moncucco-Spital in Lugano im Gespräch mit «20 Minuten».
«Es ist durchaus denkbar, dass sich die indische Variante auch bei uns ausbreitet – so wie vor einigen Monaten die britische Variante», so der Infektiologe. Besonders Ungeimpfte seien leichte Beute für die Delta-Mutation, das hätten die Daten aus England gezeigt.
Daher sei nun der Impffortschritt in der Schweiz von enormer Wichtigkeit. «Es ist ein Lauf gegen die Zeit: Je schneller wir impfen, desto weniger Probleme haben wir in den nächsten Monaten», so Cerny.
Auch Jürg Utzinger, Epidemiologe und Direktor des Schweizerischen Tropen- und Public Health-Instituts, mahnt bei «20 Minuten» zur Vorsicht. «Sollte es an bestimmten Orten zu einem erhöhten Infektionsgeschehen kommen, müssen wir in der Lage sein, die zirkulierende Virusvariante sofort zu identifizieren oder noch unbekannte Varianten zu entdecken.»
Impftempo ist entscheidend für die Schweiz
Er halte das Risiko, dass die Ansteckungen in der Schweiz wieder steigen könnten, allerdings für überschaubar – sofern das Impftempo beibehalten werde. «Gefährdet wären die weiteren Lockerungsschritte nur, wenn die Impfung von einem Tag auf den anderen gegen eine neue Variante nicht mehr funktionieren würde.» Dafür gebe es aber derzeit keine Hinweise.
Ein kleines Zeichen der Entwarnung hinsichtlich der Sorgen-Mutante kommt auch von der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Man stuft nun nur noch einen Strang der zuerst in Indien entdeckten Mutation als «besorgniserregend» ein.
Die Variante wird aufgrund ihrer Zersplitterung in drei Stränge auch als Dreifach-Mutante bezeichnet, davon sei aber nur eine Unterlinie besorgniserregend: Delta. Bei den beiden weiteren Strängen sei ein geringeres Ansteckungsrisiko beobachtet worden, weshalb eine nun nur noch als «Variante von Interesse» eingestuft wird, die zweite erhält keine besondere Einstufung mehr.