Neues Dienstpflichtsystem Einführung eines Bürgerdiensts: Müssen Frauen und Ausländer ran?

Von Anna Kappeler

6.9.2019

Der Bürgerdienst sieht vor, dass auch Frauen einen Dienst an der Allgemeinheit leisten.
Der Bürgerdienst sieht vor, dass auch Frauen einen Dienst an der Allgemeinheit leisten.
Bild: Keystone

Armee, Zivilschutz und Zivildienst sind im Konkurrenzkampf – ein sogenannter Bürgerdienst soll Abhilfe schaffen. Der Ständerat debattiert am Montag über eine allfällige Dienstpflicht für Männer, Frauen und Ausländer. Es wäre ein Systemwechsel.

Der Armee fehlen Leute, die Rekrutierungen beim Zivilschutz sinken, ja sogar der Boom beim Zivildienst lässt jüngst nach. Während sich Armee, Zivilschutz und Zivildienst um ihre Ausgestaltung streiten, kommt am Montag – neben der Totalrevision des Zivilschutzgesetzes – ein visionäres Postulat in den Ständerat. Es will die Einführung eines sogenannten Bürgerdienstes prüfen.

Die Idee: eine Dienstpflicht an der Allgemeinheit. Ein Dienst also, der je nach Auslegung auch für Frauen sowie für Ausländerinnen und Ausländer mit einer unbefristeten Aufenthaltsbewilligung gelten soll.

Neu wäre zudem die Wahlfreiheit. Die Dienstpflichtigen sollen frei entscheiden können, wo sie sich einsetzen. Die Personalbedürfnisse der Armee müssen dabei aber gesichert sein. Tätigkeiten neben der Armee wären etwa der Zivilschutz, der Bevölkerungsschutz, die Landwirtschaft, Betreuungs- und Pflegeleistungen, aber auch ein öffentliches Amt in einer Gemeinde.

«Das gesellschaftliche Miteinander stärken»

Eingereicht hat das Postulat der Ständerat Beat Vonlanthen (CVP/FR). Sein Plan: Prüfen, ob mit einem Bürgerdienst den neuen gesellschaftlichen Herausforderungen begegnet werden kann – und das Milizsystem gestärkt. «Im Verhältnis zur ständigen Wohnbevölkerung leisten immer weniger Menschen Dienst», heisst es in der Begründung. Auf Nachfrage von «Bluewin» bestätigt Vonlanthen auch: «Frauen und Ausländer sind im Postulat implizit mitgemeint.»

Der Bürgerdienst könnte laut Postulat in einer Welt des Individualismus helfen, «das gesellschaftliche Miteinander zu stärken.» Eine offene Frage sei beispielsweise, ob damit die Integration von Ausländerinnen und Ausländern mit unbefristeter Aufenthaltsbewilligung gefördert werden könne. Auch gelte es abzuklären, ob aufgrund der alternden Bevölkerung die Dienste etwa in der Pflege und der Betreuung erhöht werden könnte.



Unterstützung von SP bis SVP

Der Bundesrat hat bereits festgehalten, dass er dem Ständerat eine Annahme des Postulats beantragt. Neben Vonlanthen haben den Vorstoss weitere elf Parlamentarier von der politischen Linken über die Mitte bis nach rechts mitunterzeichnet. Ein Postulat ist angenommen, wenn ein Rat zustimmt. Danach ist wiederum der Bundesrat mit einem Bericht am Zug.

Die Idee eines Bürgerdiensts ist nicht neu. Die Details und Auswirkungen sind allerdings noch sehr unklar. Im Auftrag des Bundesrates hat eine Arbeitsgruppe bereits zwischen 2014 und 2016 Vorschläge für Neuerungen des Dienstpflichtsystems ausgearbeitet. Im Schlussbericht hat die Gruppe neben anderen auch das Modell eines Bürgerdienstes genannt.

Das Modell der «Allgemeinen Dienstpflicht», eine Variante davon wäre ein Bürgerdienst.
Das Modell der «Allgemeinen Dienstpflicht», eine Variante davon wäre ein Bürgerdienst.
Screenshot: Bericht der Studiengruppe Dienstpflichtsystem

Bürgerdienst bedingt Verfassungsänderung

Der Westschweizer Verein ServiceCitoyen.ch plant zudem eine Volksinitiative zur Einführung eines Bürgerdienstes. Nächstes Jahr startet die Unterschriftensammlung. Co-Präsidentin Noémie Roten begrüsst das Postulat Vonlanthens. «Es zeigt, dass die Botschaft im Bundeshaus angekommen ist und der Vorschlag ernst genommen wird», sagt sie.

Die Wiederbelebung des Milizsystems sei ein komplexes Thema, entsprechend wichtig sei es, sich früh genug mit potenziellen Umsetzungsfragen auseinanderzusetzen. «Unabhängig von den Antworten vom Bundesrat bedingt die Einführung eines Bürgerdienstes eine Verfassungsänderung und somit eine Volksabstimmung», sagt Roten.

Viele offene Fragen

Und was hält der oberste Zivilschützer vom Bürgerdienst? «Gegen eine Prüfung des Vorschlags ist nichts einzuwenden», sagt Alexander Krethlow, der Generalsekretär der Regierungskonferenz für Militär, Zivilschutz und Feuerwehr (RK MZF). Er ist der Mann, der die Interessen der Kantone in Bundesbern vertritt. Doch stellen sich für Krethlow grundsätzliche Fragen: «Gibt es einen umfassenden Bedarf für diesen Systemwechsel? Wie viel kostet dieser Wechsel? Ist dieser überhaupt erlaubt?»

Und: «Die kantonalen Militärdirektoren befürworten insbesondere die Prüfung der Integration von Zivildienstleistenden in den Zivilschutz.» Auf gut Deutsch: Krethlow schwebt ein gänzlich anderes Modell vor. Er möchte eine Verfassungsänderung erwirken, die den Zivilschutz stärken und damit aber faktisch den Zivildienst abschaffen würde. «Am 23. September treffe ich mich unter dem Lead des Verteidigungsdepartement mit verschiedenen Vertretern, um über solche Fragen konkret zu diskutieren.» Vorschläge sollen spätestens bis Ende 2020 auf dem Tisch liegen.

Wie Dienstpflicht weiterentwickeln?

Von solchen Plänen hält der Schweizerische Zivildienstverband Civiva gar nichts. Er setzt sich für den Erhalt und den Ausbau des Zivildienstes ein. Zum Vorschlag eines Bürgerdienstes sagt Geschäftsführer Nicola Goepfert: «Mit dem Postulat werden wichtige und spannende Fragen gestellt. Es ist gut, wenn die Politik darüber nachdenkt, wie die Dienstpflicht weiterentwickelt werden kann.» Massnahmen könnten sinnvoll sein, damit sie sich an veränderte gesellschaftliche Strömungen anpasse. 

«Das darf aber nicht auf dem Buckel des Zivildienstes passieren», sagt Goepfert. Die Gewährleistung zum Beispiel der Pflege sei eine breite gesellschaftliche Aufgabe. «Es ist wichtig, dass die Unterstützung – welche heute der Zivildienst leistet – auch in Zukunft gewährleistet ist.»

Goepfert ist skeptisch: Aktuell möge die Unterstützung für die Ausarbeitung eines Bürgerdienstes breit sein. «Geht es dann aber um konkrete Schwerpunkte, dürfte es schnell vorbei sein mit der Einigkeit», sagt er.

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