Toxische Chemikalien Über hundert giftige Hotspots in der Schweiz

tgab

25.2.2023

Viele Böden in der Schweiz sind durch den Abrieb kaum abbaubarer sogenannter «Ewigkeitschemikalien» belastet, die auch in Skiwachs vorkommen. (Symbolbild Hoch-Ybrig)
Viele Böden in der Schweiz sind durch den Abrieb kaum abbaubarer sogenannter «Ewigkeitschemikalien» belastet, die auch in Skiwachs vorkommen. (Symbolbild Hoch-Ybrig)
Urs Flueeler/KEYSTONE

Chemikalien der Klasse PFAS gelten als gesundheitsschädlich und gelangen mit Nahrung und Trinkwasser in unseren Körper. Das «Forever Pollution Project» hat weit mehr verschmutzte Orte in Europa lokalisiert als bislang angenommen.

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Sie stecken in Regenjacken, Teflonpfannen, Feuerlöschern oder Verpackungen von Tiefkühlgemüse – per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) zählen wegen ihrer wasser-, schmutz- und fettabweisenden Eigenschaften zu den wichtigsten Industriechemikalien und sind in unzähligen Alltagsprodukten anzutreffen. 300'000 Tonnen PFAS werden in der EU schätzungsweise pro Jahr produziert und verarbeitet.

Das Perfide: PFAS sind in der Natur gar nicht oder erst nach sehr langer Zeit abbaubar, sammeln sich im Boden, in Lebensmitteln und dem Trinkwasser – und gelangen so in unseren Körper. Experten nennen sie «forever chemicals» – ewige Chemikalien. Sie stehen im Verdacht, unserer Gesundheit zu schaden.

Mehr als 17'000 belastete Orte in Europa

So kommen verschiedene Studien zu dem Schluss, dass PFAS Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit haben oder zu Entwicklungsverzögerungen bei Kindern führen können. Auch ein erhöhtes Risiko für bestimmte Krebsarten wird angeführt. PFAS können die Leber, die Niere oder die Schilddrüse angreifen sowie den Stoffwechsel beeinträchtigen.

«PFAS gehören zu den bedrohlichsten Chemikalien, die jemals erfunden wurden», sagt Roland Weber, Umweltberater für die Vereinten Nationen, der «Deutschen Welle». 98 Prozent der US-Bürger hätten PFAS im Blut. Bei Studien in Indien, Indonesien und den Philippinen seien die menschengemachten toxischen Substanzen in fast allen Proben von Muttermilch nachgewiesen worden, schreibt das Medium weiter.

Für Europa hat das «Forever Pollution Project», eine Untersuchung eines internationalen Recherchenetzwerks, mehr als 17'000 möglicherweise mit ewigen Chemikalien belastete Orte identifiziert. Dazu gehören Flughäfen und Militärstandorte, wo früher PFAS-haltiger Löschschaum eingesetzt wurde, Kläranlagen und Deponien, ebenso wie Industrieunternehmen, die PFAS verwenden, etwa die Textilindustrie, die Metallveredelung oder Altpapier verarbeitende Betriebe.

Das Projekt zeigt, dass es mehr als 2100 Standorte in Europa gibt, die als PFAS-Hotspots angesehen werden können – Orte, an denen die Kontamination ein Ausmass erreicht, das als gesundheitsgefährdend für exponierte Personen gilt.

Verunreinigung durch Skiwachs in der Schweiz

In der Schweiz gibt es 134 solcher Hotspots. Am weitaus stärksten belastet ist eine Stelle im Obergoms VS. Dort wurde bei einer Messung im Jahr 2021 eine Konzentration von 14'569 Nanogramm PFAS pro Kilogramm Bodenerde festgestellt – vermutlich aufgrund von Skiwachs. An zweiter Stelle rangiert Langenthal BE mit 5684 Nanogramm pro Kilogramm Boden, gefolgt von Rifferswil ZH mit 5636 Nanogramm.

Mitte Dezember letzten Jahres verbot der Kanton Wallis den Verzehr von Fischen aus dem Stockalperkanal im Unterwallis. In den Tieren war eine viel zu hohe Belastung mit PFAS festgestellt worden.

Dem «Forever Pollution»-Bericht zufolge gilt eine Konzentration von 100 Nanogramm PFAS pro Liter Trinkwasser als gesundheitlich problematisch. Alle 134 im Bericht erwähnten Standorte in der Schweiz weisen eine höhere Konzentration als diese 100 Nanogramm auf.

Anreicherung im Körper führt zu chronischer Belastung

In einem Interview zu den «Forever Pollution»-Ergebnissen sagt Umweltchemiker Martin Scheringer von der ETH Zürich im «Tages-Anzeiger», die Lage sei ernst. Die Belastung des Wassers mit PFAS sei zwar generell nicht so hoch, dass akute gesundheitliche Folgen zu befürchten seien, es könne jedoch zu chronischen Belastungen kommen, da sich die schwer abbaubaren Substanzen im Körper anreichern könnten.

Auch das Bundesamt für Umwelt (Bafu) bezeichnet auf seiner Internetseite PFAS als problematisch. Messdaten von 2021 hätten gezeigt, dass diese Stoffe auch in der Schweiz in relevantem Masse aufträten – etwa bei Löschübungsplätzen oder bei Deponien.

Bisher hat die Schweiz einen Höchstwert für einzelne PFAS in Trinkwasser festgelegt. Dieser muss laut dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) jedoch aufgrund einer neuen Beurteilung der PFAS durch die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA überprüft werden.

Sanierung der Böden kaum möglich

Deutschland, Dänemark, Norwegen, die Niederlande und Schweden fordern nun ein Verbot der ewigen Chemikalien. Sie reichten dies im Januar bei der EU-Chemikalienagentur ECHA ein. Eine Regelung müsste die EU-Kommission ausarbeiten, die sie dann den Mitgliedstaaten vorschlägt. Mit einer Umsetzung des Verbots wird daher frühestens 2026 gerechnet.

Die fünf europäischen Länder schätzen, dass in den kommenden 30 Jahren mindestens 4,4 Millionen Tonnen PFAS in die Umwelt gelangen, wenn es keine Regelung für die risikoreichen Chemikalien gibt. Unternehmen sollen je nach Verwendungszweck und Verfügbarkeit zwischen anderthalb und zwölf Jahren Zeit bekommen, um auf alternative Stoffe umzustellen.

Mit den bereits vorhandenen PFAS-Belastungen wird die Menschheit voraussichtlich wohl leben müssen. Es sei extrem teuer und aufwändig, diese Chemikalien wieder loszuwerden, wenn sie erst einmal in die Umwelt gelangt seien, heisst es in dem «Forever Pollution»-Bericht. An mehreren Orten hätten die Behörden bereits aufgegeben und beschlossen, die giftigen Chemikalien im Boden zu belassen, weil eine Reinigung nicht möglich sei.

Mit Material von SDA und AFP