«Jetzt fahre ich dreimal ums Quartier» Stadt Zürich streicht blaue Zone – Anwohner frustriert und wütend

Von Samuel Walder

14.11.2024

Hier gab es noch vor kurzem 16 Anwohner-Parkplätze und einen Velostreifen. Neu sind die Liegenschaften rechts von der Strasse abgeschnitten und nicht mehr mit dem Auto erreichbar.
Hier gab es noch vor kurzem 16 Anwohner-Parkplätze und einen Velostreifen. Neu sind die Liegenschaften rechts von der Strasse abgeschnitten und nicht mehr mit dem Auto erreichbar.
Bild: Samuel Walder

Die Anwohner*innen im Brunau-Quartier sind wütend: Die Stadt Zürich baut viele Parkplätze ab. Teilweise herrscht neu sogar ein Fahrverbot – gewisse Anrainer kommen gar nicht mehr zu ihren Häusern.

Samuel Walder

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die Stadt Zürich hat im Brunau-Quartier die blaue Zone abgebaut, um Platz für den Ausbau einer Veloroute und ein neues Verkehrsregime zu schaffen.
  • Das trifft bei den Anwohnern auf grossen Widerstand.
  • Betroffene Anwohner, die auf ihr Auto angewiesen sind, kritisieren mangelnde Information und fehlende Alternativen.
  • Die Stadt verteidigt die Massnahme mit Verweis auf die Verkehrssicherheit und die Umsetzung eines demokratisch beschlossenen Velowegnetzes.

Die Stadt Zürich setzt einen Abbau durch, den viele Anwohner*innen des Brunau-Quartiers in der Zürcher Enge in die Bredouille führt: Die blaue Zone ist verschwunden oder verschwindet bald. Der Grund ist der Veloroutenausbau und der angekündigte Parkplatzabbau, den die Stadt Zürich in verschiedenen Quartieren durchführt.

Lukas T.* ist direkt betroffen: «Genau vor meinem Haus, in der Nebenstrasse, will die Stadt ein Fahrverbot verhängen. Oben auf der Rieterstrasse haben sie die Parkplätze schon entfernt.» T. und andere Anwohner*innen sind auf ihr Auto angewiesen und können den radikalen Schritt der Stadt nicht nachvollziehen.

Schon 2019 wird der Velowegausbau angekündigt

Der Schritt, den die Stadt Zürich nun vollzieht, geht auf das Jahr 2020 zurück: «Das Netz der Velovorzugsrouten nimmt den Auftrag der Stimmbevölkerung auf, die im September 2020 die Initiative ‹Sichere Velorouten für Zürich› mit einem herausragenden Ergebnis angenommen hat.» Die ganze Stadt ist vom Velowegausbau betroffen. 

Das bedeutet, dass auf Strassen, wo Parkplätze oder sonstige Infrastruktur den Velowegen in der Quere stehen könnten, eine Lösung gefunden werden muss. So sollen Anwohner zum Beispiel in nahegelegenen Parkhäusern oder Garagen parkieren können. 

An der Rieterstrasse im Brunau-Quartier im Kreis 2 war die Lösung einfach: Die Stadt hat die blaue Zone und die weissen Töff-Parkplätze gleich ganz abgeschafft. Nun prägt ein autobreiter Veloweg die Strasse durchs Quartier – zum Unmut der Anwohner*innen. Denn diese finden erst viel weiter oben im Bellaria-Quartier genug Parkplätze: Im noblen Villenviertel stehen viele blaue Zonen leer, dort ist kaum jemand auf Anwohner-Parkplätze angewiesen.

Wo sollen die Anwohner nun parkieren?

Lukas T. lebt in einer Wohnung im Brunau-Quartier. Die Gebäude rund um die Rieterstrasse gehören einer Genossenschaft. «Die Menschen, die hier leben, gehören meistens zum Mittelstand und sind arbeitstätig», schildert T. die Situation. Die Gebäude sind noch aus dem letzten Jahrhundert und liegen an einem Hang. Dementsprechend konnte man bis anhin nur in der blauen Zone sein Auto abstellen. Im Quartier und in der Genossenschaft gibt es nur ganz wenige Garagen.

Die Anwohner*innen wurden von der Stadt nicht informiert, dass die Parkplätze verschwinden. Erst eine Woche vorher wurden sie durch ein Schild an der Strasse belehrt, dass die Parkplätze abgebaut werden. «Wir hatten keine Gelegenheit, Einspruch einzulegen», sagt T. Er glaube, die Stadt sei nicht ganz ohne Absichten so vorgegangen. Ein Sprecher der Stadt Zürich sagt zu blue News: «Die Verkehrsvorschriften wurden am 4. Dezember 2019 im Amtsblatt veröffentlicht.»

Das hat auch T. bemerkt – aber zu spät. «Die Stadt kann nicht verlangen, dass die Anwohner jeden Tag ins Amtsblatt schauen gehen, von welchen Änderungen das Quartier betroffen ist.»

Bevor die Parkplätze abgebaut wurden, gab es 16 Blaue-Zonen-Plätze an der Rieterstrasse. Die blaue Markierung zeigt, wo die Parkplätze vorher lagen. Die rote Markierung zeigt den vorherigen Veloweg. 
Bevor die Parkplätze abgebaut wurden, gab es 16 Blaue-Zonen-Plätze an der Rieterstrasse. Die blaue Markierung zeigt, wo die Parkplätze vorher lagen. Die rote Markierung zeigt den vorherigen Veloweg. 
Bild: Samuel Walder

T. sagt: «Ich fahre seit 30 Jahren Velo in der Stadt. Das Auto brauche ich aber auch. Ich muss Material transportieren und da ich selbstständig bin, arbeite ich nicht immer am gleichen Ort, sondern fahre auch mal einige Kilometer aus der Stadt raus.»

Die Effingerstrasse, wo T. wohnt, darf künftig nicht mehr befahren werden. Die Stadt will ein Fahrverbot verhängen. Die Stadt hat zu diesem Fahverbot Einsprüche erhalten, weswegen sich das Vorhaben nun im Rechtsmittelprozess befindet. T. wird also nicht mehr direkt zu seinem Haus gelangen. «Ich finde es unverständlich, dass ich dann jedes Mal eine Bewilligung einholen muss, damit ich mein Auto für zehn Minuten im Fahrverbot hinstellen kann, um meine Sachen einzuladen.»

Parkplätze dienten auch als Temporegulierung

Auf dem Grundstück, auf dem T.s Wohnhaus steht, entsteht ein Spielplatz. Dieser liegt direkt an der Rieterstrasse, wo jetzt schon «die Autos mit 50 km/h und mehr durchrasen statt der erlaubten 30 km/h», wie T. beobachtet. «Vorher war die Strasse wegen der blauen Zone und dem Veloweg relativ eng und man musste mindestens auf dreissig runterbremsen», erklärt er. 

Lukas T. will eine Lösung finden – und das am besten mit der Stadt zusammen. «Mir geht es nicht darum, die Stadt zu beschuldigen. Ich will zukunftsorientiert eine Lösung finden, die für alle passt.» Zudem sei es, so wie es jetzt ist, verschwendeter Platz. «Es ist ja bekannt, dass wir in der Stadt nur spärlich Platz haben. Vorhin konnten Velofahrer auf dem Veloweg ohne Probleme fahren, genau wie jetzt. Doch die Parkplätze fehlen», ergänzt er. 

Die Alternativen für die Anwohner im Brunau-Quartier sind überschaubar. «Ich bin jetzt angewiesen auf die umliegenden Parkplätze, die teils einige hundert Meter weit von meiner Wohnung liegen. Diese sind meistens besetzt. Jetzt muss ich dreimal ums ganze Quartier fahren, damit ich mein Auto abstellen kann», sagt T.

Die Stadt lässt die Kritik der Anwohner nicht gelten

Ein Sprecher der Stadt sagt auf Anfrage zu blue News: «Die bisherige Fahrbahnaufteilung war für keinen der Verkehrsteilnehmenden zufriedenstellend und entsprach nicht den heutigen Sicherheitsstandards.» 

Den Vorwurf der Anwohner, dass sie täglich im Amtsblatt nachschauen müssten, ob sich etwas in ihrem Quartier ändert, lässt die Stadt nicht gelten. Der Sprecher der Stadt sagt: «Diese Anpassung wurde am 4. Dezember 2019 im Amtsblatt veröffentlicht. Die Massnahme konnte aufgrund eines verzögerten Hochbaus nicht früher umgesetzt werden.» Gegen die Verfügung hätte innert 30 Tagen ab Publikation beim Stadtrat Zürich mit stadtinterner Einsprache schriftlich eine Neubeurteilung verlangt werden können.

Die Anwohner müssen sich laut dem Sprecher aber keine Sorgen machen: «Die Zufahrt zu den Liegenschaften, Anlieferungen und Abholen ist weiterhin möglich.»

Doch was ist mit den zu schnellen Autos, die teils auch auf dem neuen Velostreifen fahren? Die Parkplätze wurden vergangene Woche am 7. November abgebaut. «Bei verkehrlichen Anpassungen braucht es jeweils eine gewisse Angewöhnungszeit. Wir beobachten die Situation und geben die Beobachtungen, falls nötig, an die Stadtpolizei weiter», sagt der Sprecher.

Zufahrt von der Autobahn ins Quartier soll blockiert werden

Auch ein anderer Anwohner, der ebenfalls anonym bleiben möchte, ärgert sich über das neue Verkehrsregime: «Die Stadt will die Zufahrt von der Autobahn ins Quartier blockieren, angeblich wegen unerwünschtem Schleichverkehr.» Dies zwinge alle Anwohner*innen der Brunau, künftig einen Umweg durch Wollishofen oder über die Utobrücke zu fahren.

Neben zusätzlichem Suchverkehr wegen der verlorenen Parkplätze werde es so zu deutlich mehr Verkehr in den Quartieren kommen. Dabei sei die heutige Verkehrssituation im Brunau-Quartier überhaupt kein Problem: «Ich werde den Eindruck nicht los, dass die rot-grüne Regierung die Velorouten und das angeblich dringend nötige neue Verkehrsregime als Vorwand benutzt, um Bürgerinnen und Bürger aus der Stadt zu drängen, die noch ein Auto besitzen.»

* Name von der Redaktion geändert.


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