IndividualbesteuerungSo will der Bundesrat die «Heiratsstrafe» abschaffen
mmi/gbi
2.12.2022
Geht's nach dem Bundesrat, sollen alle Personen künftig eine eigene Steuererklärung ausfüllen – auch Verheiratete. Dies sieht ein indirekter Gegenvorschlag zur Steuergerechtigkeits-Initiative der FDP vor.
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02.12.2022, 12:49
02.12.2022, 15:16
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Die sogenannte Heiratsstrafe soll wegfallen: Dieses Ziel verfolgt der Bundesrat. Er hat am Freitag seine Vorschläge für die Individualbesteuerung in die Vernehmlassung geschickt. Diese versteht die Landesregierung als indirekten Gegenvorschlag zur Steuergerechtigkeits-Initiative der FDP-Frauen. Diese lehnt der Bundesrat ab.
Neu soll jeder und jede künftig eine eigene Steuererklärung ausfüllen – bisher füllen Ehepaare eine gemeinsame Erklärung aus. Das hätte den positiven Nebeneffekt, dass die Heiratsstrafe beseitigt würde.
Heute wird das Einkommen von Verheirateten zusammengezählt, weshalb darauf ein höherer Steuerbetrag fällig wird als bei zwei Einkommen von unverheirateten Paaren.
Begleitmassnahmen geplant
Ausserdem schlägt der Bundesrat «im Interesse einer ausgewogenen Besteuerung» verschiedene Begleitmassnahmen bei der direkten Bundessteuer vor:
Für Eltern: Der Kinderabzug soll von heute 6500 Franken auf 9000 Franken pro Kind angehoben werden. Die Idee dahinter: Der Übergang zur Individualbesteuerung reduziert die Entlastungswirkung des Kinderabzugs bei Ehepaaren.
Für Ehepaare mit nur einem Haupteinkommen: Für Ehepaare mit nur einem Einkommen oder einem geringen Zweiteinkommen stellt der Bundesrat eine Variante mit und eine ohne Korrektiv zur Diskussion.
Die Variante ohne Korrektiv fördert den Erwerbsanreiz für Zweitverdienende besonders stark. Die Variante mit Korrektiv wirkt der Höherbelastung von Einverdiener- gegenüber Zweiverdienerehepaaren entgegen, indem sie einen Abzug für Einverdiener-Ehepaare erlaubt. Der Abzug kann gemäss Mitteilung bis zu 14'500 Franken betragen und nimmt mit steigendem Zweiteinkommen ab.
Für Alleinstehende und Alleinerziehende: Hier ist ein Abzug von 6000 Franken vorgesehen, weil Haushalte, die aus mindestens zwei erwachsenen Personen bestehen, gewisse Ersparnisse (wie beispielsweise tiefere Wohnkosten) erzielen.
Steuereinnahmen von einer Milliarde fallen weg
Mit der Individualbesteuerung dürfte die Mehrheit der Personen bei der direkten Bundessteuer entlastet werden – insbesondere Ehepaare mit gleichmässiger Einkommensaufteilung sowie zahlreiche Rentner-Ehepaare. Der Bundesrat rechnet derzeit mit Mindereinnahmen von einer Milliarde Franken. Davon entfallen rund 800 Millionen Franken auf den Bund und rund 200 Millionen Franken auf die Kantone.
Die Individualbesteuerung ist gemäss den Bundesratsplänen auf allen Staatsebenen vorgesehen. Die Kantone müssten die Reform somit auf Kantons- und Gemeindeebene umsetzen. Offen sind die Auswirkungen auf die kantonalen Steuern. Bis am 16. März 2023 können Kantone, Parteien und Organisationen Stellung nehmen zum Entwurf.
Beschäftigungsboom erwartet
Der Bund rechnet mit positiven Beschäftigungseffekten, da es insbesondere für verheiratete Zweitverdienende attraktiver wird, mehr zu arbeiten. Die Umsetzung der Individualbesteuerung auf allen Staatsebenen könnte bis zu 47'000 Vollzeitstellen führen, wie der Bundesrat schreibt.
Heute werden in der Schweiz verheiratete Paare und gleichgeschlechtliche Paare, die in einer eingetragenen Partnerschaft leben, gemeinsam besteuert. Gehen beide Personen einer Erwerbstätigkeit nach, müssen sie wegen der Progression höhere Steuern bezahlen als Konkubinatspaare mit zwei getrennten Steuerveranlagungen.
Dies führt dazu, dass viele Ehefrauen aus steuerlichen Gründen ihre Erwerbsarbeit reduzieren oder auf sie verzichten. Damit einher gingen Karrierestopp, finanzielle Abhängigkeit und Altersarmut, sind die Befürwortenden einer Individualbesteuerung überzeugt. Es gehe um eine Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau im Steuerrecht und das Aufbrechen traditioneller Rollenbilder.
Dauerthema Heiratsstrafe
Die Individualbesteuerung und die Abschaffung der Heiratsstrafe sind jahrelange politische Anliegen. Das Bundesgericht hatte bereits 1984 entschieden, dass die steuerliche Diskriminierung verheirateter und eingetragener Paare gegenüber Konkubinatspaaren verfassungswidrig ist.
2016 hatte das Stimmvolk die Volksinitiative der damaligen CVP «Für Ehe und Familie - gegen die Heiratsstrafe» äusserst knapp abgelehnt. Weil der Bund falsche Zahlen vorgelegt hatte, entschied das Bundesgericht später, dass die Abstimmung aufzuheben sei
Mit Material von der Nachrichtenagentur Keystone-SDA