Die SVP wird 50 Die Höhen und Tiefen der Provokateure

Von Alex Rudolf

22.9.2021

Macht sich durch Provokation einen Namen. Hier das Schwarze-Schafe-Plakat der SVP aus dem Jahr 2007.
Macht sich durch Provokation einen Namen. Hier das Schwarze-Schafe-Plakat der SVP aus dem Jahr 2007.
KEYSTONE

Heute vor 50 Jahren wurde die Schweizer Volkspartei in ihrer heutigen Form gegründet. Wie gelang der einstigen Bauernpartei der Aufstieg zur wählerstärksten Partei der Schweiz?

Von Alex Rudolf

«Die SVP Schweiz wäre ohne die Zürcher SVP nicht das, was sie heute ist», sagt die Zürcher FDP-Nationalrätin Doris Fiala. «Und die Zürcher SVP wäre ohne Christoph Blocher auch nicht das, was sie heute ist», fügt sie an. Das verdiene Respekt. Sie beschreibt damit den Aufstieg der ehemaligen Bauernpartei zur wählerstärksten Polit-Macht der Schweiz treffend.

Nach dem Zusammenschluss der Zürcher Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei mit den Bündner und Glarner Demokraten am 22. September 1971 passierte erst mal nicht sonderlich viel. Bei den Wahlen 1975 dümpelte die noch junge SVP bei einem Wähleranteil von 11 Prozent herum.

Das grosse Wachstum setzte erst nach den Wahlen von 1995 ein, nachdem Christoph Blocher die Partei neu ausgerichtet hatte. Mit Blocher rückten andere Themen wie Migrationspolitik und Aussenpolitik in den Fokus. Viel Schwung verschaffte der SVP auch das hauchdünne Nein des Stimmvolkes 1992 zum Beitritt zum europäischen Wirtschaftsraum (EWR) – als einzige Bundesratspartei hatte sie dagegen angekämpft.

Geringeres Echo auf Provokation

Mit grossem Selbstbewusstsein wurde auch die Rhetorik prononcierter. Das Messerstecher-Inserat, das die Zürcher Stadtpartei für den Wahlkampf 1994 schaltete, schlug hohe Wellen. Es habe den Startschuss für die heutige SVP-Rhetorik gebildet, sagt der Grünen-Präsident Balthasar Glättli. 

«Mit vielen Kampagnen ging die SVP an die Grenzen des Anstands oder darüber hinaus und sorgte damit – mithilfe der Medien – für grosse Provokation. Heute gibt es ein geringeres Echo darauf», findet Glättli. Dies sei gut und schlecht. Einerseits komme die SVP nicht mehr gleich rasch auf viel Medienpräsenz, andererseits «gelten heute Dinge als normal, die eigentlich nicht normal sein sollten».

«Mit vielen Kampagnen ging die SVP an die Grenzen des Anstands.»

Balthasar Glättli

Präsident Grüne Schweiz

Bei den Wahlen 1999 wurde die SVP zur stärksten Kraft im Land, vier Jahre später verteidigte sie diese Stellung und erhielt einen zweiten Bundesratssitz. Christoph Blocher sass nun in der Regierung.

Die Ernüchterung folgte wiederum vier Jahre später. Anlässlich der Bundesratswahlen 2007 unterlag Blocher der damaligen Bündner Regierungsrätin Eveline Widmer-Schlumpf und wurde aus dem Bundesrat gewählt. Folglich spalteten sich vorwiegend im Bündnerland und in Bern Unterstützer*innen Widmer-Schlumpfs von der Partei ab und bildeten die BDP.

«Manchmal wünsche ich mir, die SVP wäre nicht so stark, wie sie heute ist.»

Doris Fiala, Nationalraetin FDP-ZH, spricht waehrend einer Medienkonferenz des Komitees fuer ein NEIN zum E-ID Gesetz, am Montag, 14. Dezember 2020, in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)

Doris Fiala

Nationalrätin (FDP/ZH)

Dies ist wohl die grösste Krise, die die SVP je erlebt hat – und dennoch ging sie beinahe spurlos an ihr vorbei. 2019 legte noch immer jeder vierte Wählende den SVP-Stimmzettel in die Urne.

Der Erfolg der SVP ging besonders zulasten der Parteien rechts von ihr – und des Freisinns. Bei den Wahlen 1995 kam die FDP auf gut 23 Prozent, heute sind es noch 15 Prozent. «Manchmal wünsche ich mir, sie wäre nicht so stark, wie sie heute ist», sagt Fiala mit einem Augenzwinkern.

Den Erfolg der SVP erklärt sich die FDP-Politikerin damit, dass sie sehr nahe am Bürger politisiere, Themen benenne und damit auch gesellschaftliche Debatten lostrete: «Es ist jedoch schade, dass die SVP manchmal auch nahe am und für Wutbürger politisiert.»

Was ist das Geheimnis? Disziplin

Hört man sich in der Wandelhalle nach dem Erfolgsgeheimnis der SVP um, wird oft die Disziplin genannt. Die ganze Fraktion stehe zusammen und lass sich von einer starken Führung leiten. Bei den anderen komme es immer wieder zur innerparteilichen Querelen, bei der SVP selten.

Wie schätzt sich die SVP selber ein? Woher kommt ihr Erfolg? Parteipräsident Marco Chiesa sagt: «Unsere Werte bestimmen unser politisches Handeln.» Bei den Schweizer*innen finde man damit Gehör. Auch die Zielgruppe spielt eine Rolle. «Die SVP setzt sich für den Mittelstand ein – für jene Menschen, die jeden Tag früh aufstehen und die unser Land mit ihrer Arbeit am Laufen halten.»

Mit der Corona-Pandemie zeichnet sich ein erneuter Härtetest für die Partei ab. SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher war eine der Ersten, die im Ratssaal eine Schutzmaske trug – heute eint die SVP zahlreiche Impf- und Massnahmengegner*innen in ihren Reihen. Während die eigenen Gesundheitsdirektor*innen der Kantone die Massnahmen umsetzen, ist die Führung der Partei weiterhin für mehr Freiheit. Politologe Michael Hermann sagt im Spätsommer gegenüber «blue News», dass die SVP zur Politisierung der Pandemie beigetragen habe.



Hermann sieht die SVP in einer schwierigen Lage, da nun ein Konflikt innerhalb der Partei stattfinde. «Lange konnte sich die SVP mit ihrer Rolle ‹Allein gegen alle› und gegen die Corona-Massnahmen profilieren, doch dies ist nun vorbei.»

Wie schlägt sich die SVP durch die Krise? Politologe Hermann will keine Prognose abgeben. Dass die Partei aber krisenresistent ist, hat sie unlängst bewiesen.