Psychologen starten Anlaufstelle Sie hören zu, wenn erschöpftes Spitalpersonal nicht mehr kann

Von Jennifer Furer

25.3.2020

Die Corona-Krise bringt das Spitalpersonal ans Limit.
Die Corona-Krise bringt das Spitalpersonal ans Limit.
Bild: Keystone

Die Corona-Krise bringt das Medizinpersonal an seine Belastungsgrenze – körperlich und psychisch. Ein Psychologiestudent hat jetzt eine Anlaufstelle eingerichtet, an die sich Ärztinnen und Pfleger wenden können.

Noch hat die Corona-Krise ihren Höhepunkt nicht erreicht. Doch bereits jetzt sind Spitäler am Anschlag. Die Infrastruktur wird knapp und das Personal mehr beansprucht denn je. Die Arbeitsbelastung und die Bilder, denen Medizinerinnen und Pfleger ausgesetzt sind, hinterlassen Spuren – körperlich und psychisch.

Okan Yildirimlar ist Student der angewandten Psychologie im Master an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Seit die Corona-Krise in der Schweiz ausgebrochen ist, haben sich Ärztinnen und Pfleger aus seinem Umfeld vermehrt an ihn gewandt. Sie wollten reden – über die derzeitige Belastung und die Angst vor dem, was noch kommt.

«Mir kam plötzlich die Idee, dass man psychologische Hilfe für das Medizinpersonal in Zeiten des Coronavirus auch organisiert angehen kann», sagt Yildirimlar. Er habe sich sofort an die Arbeit gemacht und den Verein Loswerde.ch gegründet.

«Diese Zeiten gemeinsam überstehen»

Seit Montag ist die Vereinswebsite online. Dort findet das Medizinpersonal Kontaktmöglichkeiten, um telefonisch, via E-Mail oder soziale Medien Hilfe in Anspruch zu nehmen.

«Loswerde.ch bietet dem Medizinpersonal durch den Einsatz freiwilliger Psychologinnen, Psychologen und Psychologiestudierenden die Möglichkeit, ihre Probleme und ihre Sorgen, anonym oder nicht anonym, mitzuteilen und sich auszutauschen», sagt Yildirimlar.

Okan Yildirimlar hat den Verein Loswerde.ch gegründet.
Okan Yildirimlar hat den Verein Loswerde.ch gegründet.
Bild: zVg

«Wir sind der Überzeugung, dass wir uns durch solidarische Unterstützung des Medizinpersonals stärken und diese schwierigen Zeiten gemeinsam überstehen können.»

Zurzeit sind 32 Freiwillige im Einsatz – 17 Psychologinnen und Psychologen, neun Masterstudierende, vier Bachelorstudierende, eine Pädagogin und eine Ärztin. Yildirimlar: «Da ich neben meinem Studium als wissenschaftlicher Assistent arbeite, habe ich Zugang zu vielen Netzwerken und dementsprechend gewusst, wo ich bei meiner Suche nach Freiwilligen ansetzen kann.» Und die Angefragten hätten fast ausnahmslos zugesagt.

Drei Freiwillige pro Schicht

Die Freiwilligen würden sich selbstständig in einen Einsatzplan eintragen. «Ich koordiniere dann die Einsätze und schaue, dass pro Schicht drei Personen eingetragen sind», erklärt Yildirimlar. Hilfsbedürftiges Medizinpersonal kann sich von Montag bis Samstag von 8 bis 24 Uhr melden und am Sonntag von 8 bis 17 Uhr. Das Ziel sei es, irgendwann durchgehend erreichbar zu sein.



Die Begrenzung auf drei Freiwillige pro Schicht sei auf technische Ursachen zurückzuführen, da zurzeit maximal drei Anrufe gleichzeitig getätigt werden könnten. «Um intern zu kommunizieren, verwenden wir momentan Slack und Whatsapp», sagt Yildirimlar, der seit Freitag jede freie Minute für den Verein gearbeitet hat – teilweise bis tief in die Nacht. 

Schauen, ob Angebot echt ist

Seit dem Projektstart am Montag hätten sich bereits einige Leute gemeldet. «Es gab Personen, die sich nach einer professionellen Therapie erkundigt haben. Und andere, die sich bei uns bedankt haben, dass wir dieses Angebot auf die Beine gestellt haben», so Yildirimlar. Diese hätten aber ziemlich schnell wieder aufgelegt, um die Leitungen freizugeben. Manchen hätten auch nur angerufen, um zu sehen, ob das Angebot wirklich echt ist.



Grundsätzlich könne er sagen, dass die Resonanz durchs Band positiv ausgefallen sei. «Vor allem wird auch die symbolische Kraft gelobt, die unser Angebot hat.»

Das freut Yildirimlar und die Freiwilligen, die alle ehrenamtlich arbeiten. «Wir überlegen uns in einem weiteren Schritt, vielleicht einen Spendenaufruf zu starten», so Yildirimlar. Nicht, um mit dem Angebot Geld zu verdienen. «Wir könnten so die Infrastruktur verbessern und ausweiten.» Im Moment würden er und einige Spenderinnen und Spender aus dem Freiwilligen-Team die anfallenden Kosten bezahlen, sagt Yildirimlar.

Psychische Auswirkung unter Teppich kehren

Auch in Hinblick auf die kommende zunehmende Belastung des Medizinpersonals durch den Anstieg der Corona-Infizierten sei ein Ausbau der Infrastruktur sinnvoll. «Wir versuchen, uns flexibel an die Bedürfnisse des Medizinpersonals anpassen zu können», sagt Yildirimlar.

Eine Überlegung, die intern diskutiert werde, sei, ob die Psychologinnen, Psychologen und Studierenden in die Spitäler gehen sollen, um das Angebot auch dort anzubieten. «Wir haben eine entsprechende Anfrage von einem Spital», so Yildirimlar.

Gerade in Zeiten wie diesen sei es wichtig, die Gesundheit des Medizinpersonals im Auge zu behalten. «Mir scheint, als würden die psychischen Auswirkungen ihres Berufs oft unter den Teppich gekehrt. Aber auch Pfleger und Ärztinnen sind Menschen, die traumatisiert werden können», sagt Yildirimlar.



Hinzu komme, dass der Bundesrat vor Kurzem arbeitsrechtliche Schutzmassnahmen beim Medizinpersonal wegen des Kampfs gegen Covid-19 vorübergehend für sechs Monate ausgehebelt habe.

«Es ist wichtig, dass das Medizinpersonal besonders jetzt mehr Ressourcen aufbauen kann, um mit der erhöhten Belastung überhaupt umgehen zu können», so Yildirimlar. «Mit unserem Hilfsangebot versuchen wir, eine Ressource für das Medizinpersonal darzustellen.»

Die Coronavirus-Krise: Eine Chronologie

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