Ohne Rahmenabkommen So will der Bundesrat künftig mit der EU geschäften

Von Lukas Meyer

27.5.2021

Guy Parmelin und Ursula von der Leyen im April  in Brüssel – solche Treffen soll es in Zukunft öfter geben, wenn es nach dem Bundesrat geht.
Guy Parmelin und Ursula von der Leyen im April  in Brüssel – solche Treffen soll es in Zukunft öfter geben, wenn es nach dem Bundesrat geht.
KEYSTONE

Wie weiter nach dem Ende des Rahmenabkommens? Der Bundesrat setzt auf den bilateralen Weg und will die EU mit der Übernahme von EU-Recht und der Auszahlung der Kohäsionsmilliarde besänftigen.

Von Lukas Meyer

Das Rahmenabkommen kommt nicht zustande – sieben Jahre haben die Schweiz und die EU verhandelt. Wie also weiter? Die bilateralen Verträge sind weiter in Kraft. Eine Modernisierung sieht die EU nun ausgeschlossen, die den Rückzug der Schweiz vom Verhandlungstisch bedauert.

Schon länger ist klar, dass die EU ohne Rahmenabkommen die bestehenden Verträge nicht aktualisieren und keine neuen abschliessen will. Das Aussendepartement hat nun Auffangmassnahmen definiert: «Der Bundesrat ist sich bewusst, dass das Nichtzustandekommen des InstA auch mit Nachteilen verbunden ist.» Die Schweiz will der EU nun in einigen Punkten entgegenkommen.

Der Brief an die EU

Guy Parmelin wollte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen telefonisch vom Entscheid des Bundesrats unterrichten, diese hatte aber keine Zeit. Also brachte Staatssekretärin Livia Leu den Brief in Brüssel vorbei. Die Schweiz und die EU seien durch eine lange gemeinsame Geschichte verbunden, heisst es darin. Sie würden fundamentale gemeinsame Werte teilen – Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit, Demokratie.

Auch ohne das Rahmenabkommen bleibe die Schweiz ein zuverlässiger und engagierter Partner der EU und arbeite mit an der Stabilität und dem Wohlstand in Europa. Wie es nun konkret weitergeht, ist in vielen Punkten offen. Klar ist aber: «Es gibt einen Berg von Arbeit», wie Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter zu «blue News» sagte.

«Dialog auf hohem Niveau»

In seinem Brief schlägt der Bundesrat der EU-Kommission einen regelmässigen Dialog auf hohem politischen Niveau und zwischen den federführenden Diensten vor. Das Ziel ist es, «eine gemeinsame Agenda über die weitere Zusammenarbeit zu entwickeln und zu begleiten». Man hofft darauf, dass die EU auch ohne Rahmenvertrag irgendwann zu weiteren Kooperationen bereit ist.

Der bilaterale Weg

Schliesslich bekräftigte der Bundesrat seinen Willen, die guten Beziehungen zu pflegen und zu vertiefen. Er will die bestehenden bilateralen Abkommen konsequent weiterführen und konkrete Probleme schnell lösen, um eine reibungslose Anwendung der bilateralen Verträge zu garantieren.

Die Bilateralen 1 und 2 sind allerdings mehr als 20 Jahre alt und statisch, wie Karin Keller-Sutter gestern betonte. Inzwischen habe sich das Recht auf beiden Seiten geändert, was ein neues institutionelles Abkommen erfordert hätte.

EU-Recht in Eigenregie übernehmen

Das Justizdepartement soll nun prüfen, wie die bestehenden Verträge angepasst werden können. Ein wichtiger Punkt im Plan des Bundesrates ist aber die Übernahme von EU-Recht, «wo es im Interesse der Schweiz sinnvoll und nötig ist». Das Justizdepartement soll Bereiche finden, in denen die Schweiz ihre Vorschriften an jene der EU angleichen könne. Der neue Kurs soll das Verhältnis zur EU «stabilisieren und weiterentwickeln», so Keller-Sutter an der gestrigen Pressekonferenz: «Das machen wir autonom und wir geben selber den Takt vor.»

Dadurch erreiche man eine Annäherung an den Binnenmarkt. Die Schweiz könne das aber ohne Verpflichtung oder Einmischung der EU-Gerichte tun, anders als im Rahmenabkommen vorgesehen. Allzu viele Differenzen dürfte es aber nicht mehr geben, weil die Schweiz ihre Gesetze schon lange auf Verträglichkeit mit EU-Recht überprüfe, schreibt die «Neue Zürcher Zeitung».

Karin Keller-Sutter übernimmt

Eine Schlüsselrolle kommt also Justizministerin Karin Keller-Sutter zu, die faktisch das Europa-Dossier von Aussenminister Ignazio Cassis übernimmt, wie der «Tages-Anzeiger» schreibt. Das werde zwar nicht so deklariert. Da ihr Departement prüfen soll, wie die bestehenden Verträge angepasst werden können, habe der Bundesrat die Zuständigkeiten aber faktisch verändert. Von Keller-Sutter erhoffe man sich auch einen neuen Stil und einen besseren Einbezug von Sozialpartnern und Kantonen.



Stromabkommen

Im Bereich Strom hofft die Schweiz auf eine Fortsetzung der guten Zusammenarbeit. Allerdings kann das eigentlich fertig ausgehandelte Stromabkommen nicht in Kraft treten, da die EU einen erfolgreichen Abschluss des Rahmenabkommens zur Bedingung gemacht hatte dafür. Hier könnte es zu Versorgungslücken und instabilen Netzen kommt.

Bildung und Forschung

Die EU blockiert seit längerem die Teilnahme der Schweiz am mit 90 Milliarden Euro dotierten Forschungsprogramm Horizon Europa. Auch über das Erasmus-Abkommen will die EU nicht verhandeln. Schweizer Hochschulen könnten ihren privilegierten Zugang verlieren. Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter fürchtet, dass die Schweiz zu einem Drittstaat degradiert werden könnte.



Kohäsionsmilliarde

Die Auszahlung der Kohäsionsmilliarde hat die Schweiz bereits zugesagt, wurde vom Parlament aber blockiert und an die Bedingung geknüpft, dass die EU die Schweizer Börse anerkennt. Der Bundesrat will sich nun dafür einsetzen, dass das Geld freigegeben und das entsprechende Memorandum of Understanding finalisiert wird. «Es ist die Eintrittsgebühr für den Zutritt zum EU-Binnenmarkt», sagte Cassis. «Wir sind bereit, die entsprechenden Kosten zu übernehmen.» Der definitive Entscheid dazu liegt aber beim Parlament.