Schweiz und EU weiter uneins Parteien fordern von Guy Parmelin ein Ende der «Geheimniskrämerei»

Von Lukas Meyer und Anna Kappeler

23.4.2021

Spitzentreffen zum Rahmenabkommen: Guy Parmelin und Ursula von der Leyen in Brüssel.
Spitzentreffen zum Rahmenabkommen: Guy Parmelin und Ursula von der Leyen in Brüssel.
Bild: KEYSTONE

Guy Parmelin bleibt optimistisch, was das Rahmenabkommen angeht. Politiker aller Parteien teilen dieses Gefühl nur bedingt. SP und Mitte fordern Klarheit und ein Ende der Geheimniskrämerei.

Von Lukas Meyer und Anna Kappeler

Man habe keine Fortschritte gemacht, bleibe aber in Kontakt: Bundespräsident Guy Parmelin hatte nach seinem Treffen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nicht viel zu vermelden. Offenbar wollte er die drei umstrittenen Bereiche Lohnschutz, Unionsbürgerrichtlinie und Staatsbeihilfen ganz vom Geltungsbereich des Rahmenabkommens ausklammern, was für die EU nicht infrage kommt.

Parmelin bleibt zuversichtlich – gleichwohl. Es sei das erste Mal gewesen, dass aus der politischen Perspektive über dieses Abkommen gesprochen worden sei. So weit, so (zwangs-)optimistisch. Doch teilen hiesige Politiker*innen seine Einschätzung?

«Ich wäre optimistisch, wenn der Bundesrat und die Gewerkschaften sich endlich mal bewegen würden», redet die Berner FDP-Nationalrätin Christa Markwalder Klartext. Parmelin sei in der irrigen Annahme nach Brüssel gereist, dass die EU auf Maximalforderungen der Schweiz eingehen würde. Die strittigen Punkte auszuklammern, sei nie realistisch gewesen.



Doch die Differenzen seien nicht fundamental, und die EU sei der Schweiz schon in einigen Punkten entgegengekommen. «Die Schweiz ist ein Land mit einer guten Kompromisskultur – es wäre an der Zeit, kreative Kompromisslösungen zu finden.»

«Die Geheimniskrämerei des Bundesrats muss aufhören»

«Guy Parmelin hat das Maximum gefordert und eine neue Position vertreten, das hat mich persönlich überrascht», sagt Nationalrat Eric Nussbaumer (SP/BL). «Er wollte offenbar nicht eine Präzisierung, sondern eine Nichtanwendungsklausel für die drei strittigen Punkte.» Damit habe er nicht viel herausgeholt und möglicherweise Geschirr zerschlagen. Es sei aber trotzdem klar, dass die Schweiz an einer Lösung interessiert ist.

Die Kompromisse seien da – diese müssten aber endlich transparent gemacht werden. «Die Geheimniskrämerei von Bundesrat und Verhandlungsdelegation muss aufhören. Dann kennen wir die Lösungsansätze und können darüber reden», so Nussbaumer.

Nationalrat Roland Rino Büchel (SVP/SG) dagegen freut sich über das von Parmelin verkündete Resultat: «Das ist ehrlich. Die EU sagt seit zweieinhalb Jahren, dass das Abkommen ausverhandelt ist. Nun müssen auch die Rahmenabkommen-Befürworter aufhören zu träumen. Das Abkommen hätte innenpolitisch ohnehin keine Chance in der Schweiz.»

Es habe sich gelohnt, dass Parmelin nach Brüssel gereist sei: «Das heutige Resultat ist ein sauberes Ende. Nun können wir pragmatisch mit der EU weiterarbeiten – so wie bisher schon auf dem bilateralen Weg.» Im Gegensatz zu den Briten hätten wir Schweizer keine Kampfscheidung mit der EU. «Aber es ist jetzt einfach Zeit, das tote Ross nicht mehr weiterzureiten.»

«Ich bin froh, konnte das Schlimmste verhindert werden»

«Immerhin kam es heute nicht zu einem Abbruch der Verhandlungen», findet Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (Mitte/BL). Sie sei froh, «konnte somit das Schlimmste verhindert werden». Die Schweiz und die EU bräuchten sich gegenseitig, eine Eskalation der Beziehungen wäre sehr schädlich gewesen. Vielleicht sei sie zu optimistisch – sie werte es aber als Erfolg, dass beide Seiten weiter nach Lösungen suchen. So bestehe die Chance, dass das Rahmenabkommen doch noch zum Fliegen komme. Oder dass wenigstens der bilaterale Weg nicht erodiere.

«Es ging heute nicht darum, Details des ‹Wie weiter› zu präsentieren, sondern sich auf Augenhöhe zu begegnen. Das ist gelungen. Mehr hat niemand erwarten können», sagt Schneider-Schneiter weiter. Klar sei aber auch: «Der Bundesrat darf nicht mehr auf Zeit spielen.» Ihre Partei fordere die Landesregierung auf, endlich Klarheit zu schaffen. «Der Bundesrat soll hinstehen und transparent sagen, wie es weitergeht. Ob mit einem mehrheitsfähigen Rahmenabkommen oder sonst halt ohne. Schluss mit der leidigen Geheimniskrämerei.»

GLP will mehr Europa wagen

GLP-Präsident Jürg Grossen wirft dem Bundesrat auf Twitter vor, dass er das Rahmenabkommen mutwillig scheitern lassen wolle oder einen «völlig verzerrten Blick auf die Realität» habe. Die Partei fordert, dass man mehr Europa wagt.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) hält daran fest, dass der Bundesrat den eigenständigen Lohnschutz im Rahmenabkommen durchsetzen müsse, heisst es in einer Mitteilung: «Die bilateralen Verträge müssen den Arbeitnehmenden nützen – in der Schweiz sowie in ganz Europa. Dazu braucht es einen wirksamen Lohnschutz und einen garantierten Service public.» Der Arbeitnehmer-Dachverband Travail.Suisse zeigte sich erfreut darüber, dass der Bundespräsident bei seinem Treffen in Brüssel den Lohnschutz verteidigt habe.

Der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) sieht in der Bereitschaft der EU, weiterzuverhandeln, eine Chance. So könne man ein politisch ausgewogenes Modell erarbeiten. Bisher sei man zu viele Konzessionen eingegangen und habe zu viel vom Schweizer Erfolgsmodell preisgegeben, schreibt der SGV in einer Mitteilung. Es sei möglich, den Marktzugang zur EU und die Souveränität der Schweiz zu verbinden.