Rahmenabkommen am EndeStatt zu jubeln, schiesst sich Blocher auf Keller-Sutter ein
Von Gil Bieler
28.5.2021
Für Christoph Blocher ist das Scheitern des Rahmenabkommens ein «grosser Triumph für die Schweiz». Doch der SVP-Stratege ist schon einen Schritt weiter – bei Bundesrätin Karin Keller-Sutter, die nun die Wogen mit der EU glätten soll.
Von Gil Bieler
28.05.2021, 16:08
28.05.2021, 20:28
Gil Bieler
Wie das endgültige Aus des Rahmenabkommens mit der EU zu bewerten ist, dazu gehen die Meinungen im Land weit auseinander. Ein Scherbenhaufen, die Chance auf einen Neuanfang oder auch ein Freudentag für die Schweiz: alles ist zu hören. Wobei der Jubel vor allem aus dem rechten politischen Spektrum erklingt.
Ein Name, der auffällig häufig fällt, ist jener von Christoph Blocher. Der SVP-Parteistratege habe seinen «grössten Sieg» errungen, kommentierte etwa das Newsportal «Watson». Und auch SVP-Nationalrat und «Weltwoche»-Chefredaktor Roger Köppel feierte den Parteidoyen auf Twitter als «Drachentöter».
Drachentöter Christoph Blocher steht hinter dem Ende dieses institutionellen Abkommens. Seiner visionären Kraft verdankt die Schweiz enorm viel.
Blocher selbst schwieg. Und äusserte sich erst in der heute ausgestrahlten neuesten Ausgabe seiner Onlinesendung «Teleblocher», für die er sich regelmässig vom Journalisten Matthias Ackeret höflich befragen lässt. Ob es denn wirklich sein grösster Triumph sei, will dieser gleich als Erstes wissen. «Nein», antwortet der 80-Jährige alt Bundesrat in gewohntem Understatement, «aber es ist ein ganz grosser Triumph für die Schweiz, das muss ich sagen.»
Lob für Cassis, Schelte für Keller-Sutter
Er preist den Föderalismus und streicht den Schweizer Sonderfall heraus, in dem die Kantone grosse Souveränität und das Stimmvolk das Sagen hätten. Im nächsten Atemzug lobt er, dass der Bundesrat diesmal in Eigenregie entschieden – sprich: die Verhandlungen abgebrochen – hat. Dass das Volk in dieser wegweisenden Frage gar nicht angehört wurde, scheint kein Widerspruch.
Blocher ist für einmal sogar versöhnlich auf den Bundesrat, den «grössten Vertreter» der «Classe politique», zu sprechen: Er lobt den Auftritt von Bundespräsident Guy Parmelin (SVP) und Aussenminister Ignazio Cassis (FDP), die am Mittwoch «staatsmännisch» und mit einer «klaren Botschaft» vor die Medien getreten seien: «Das ist mutig.»
Was ist aber mit der ebenfalls aufgetretenen Justizministerin Karin Keller-Sutter (FDP)? «Da ist es geschwätzig geworden», meint Blocher, «und niemand ist mehr richtig drausgekommen.» Die Kritik mag milde im Ton klingen, aber inhaltlich hat sie Gewicht: Denn Blocher stört sich an der Ankündigung, das Justizdepartement solle nun Bereiche finden, in denen die Schweiz ihre Rechtsnormen an jene der EU angleichen könne.
Er wolle gar nicht die gleichen Normen wie die EU, so Blocher: «Die Schweizer sind doch Schweizer, wir sind anders als die anderen.» Wenn die EU deswegen «einen Wirtschaftskrieg» lostreten wolle, brauche sich die Schweiz nicht zu fürchten. Auch Brüssel habe Interesse an guten Wirtschaftsbeziehungen.
Statt nun fieberhaft einen Plan B zu suchen, solle der Bundesrat besser einfach mal abwarten, was passiere, wenn man nichts mache: «Es läuft ja.» Die Schweiz sei schliesslich von grosser wirtschaftlicher Bedeutung für die EU, «solch einen Kunden lässt man doch nicht fallen». Sollten Probleme auftauchen, solle man diese von Fall zu Fall lösen.
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Kein Rahmenabkommen mit der EU: Ein guter Entscheid?
Im Verlauf des Gesprächs bringt Blocher noch weitere Spitzen gegen Keller-Sutter unter, die nach Auffassung von Beobachter*innen nun im Bundesrat die Führung in Sachen Europapolitik übernimmt: Sie verfolge aus Machtinteresse «eine Parallelstrategie» – «die will dem Herrn Cassis das Zeug wegnehmen». Der Aussenminister tue ihm fast schon leid: «Am Schluss drückt man noch den Tessiner zum Bundesrat hinaus.»
Bereitet der gewiefte Taktiker so bereits den Boden für die nächsten Abstimmungskämpfe, sollte der Bundesrat der EU entgegenkommen wollen? Es wäre nicht untypisch, schliesslich lobt Blocher in «Teleblocher»-Folge 717 auch seinen Weitblick: «Man muss immer weit nach vorne schauen. Man muss denken wie die EU, man muss denken wie Amerika – aber handeln wie ein Schweizer.»
«Die Verdrängung ist noch nicht abgeschlossen»
Der Verhandlungsabbruch zum Rahmenabkommen sei durchaus vergleichbar mit dem Volks-Nein zum EWR-Beitritt 1992, findet Blocher, «denn die Grundfrage beim EWR war die gleiche wie jetzt». Beide Male sei es um die Frage gegangen, ob man europäisches Recht automatisch übernehmen wolle. Und beide Male hätten seine politischen Gegner*innen gemeint, er sehe Gespenster, als er gewarnt habe. Selbst in der SVP hätten zu Beginn einige so gedacht.
Die Landesregierung habe den Rahmenvertrag erst abgelehnt, als sie sich endlich damit befasst habe, so Blocher – davor habe sie lange Zeit nur verdrängt. «Und die Verdrängung ist noch nicht abgeschlossen.»
Zum Schluss der Sendung warnt er eindrücklich davor, dass der Bundesrat nun versuchen könnte, «alten Wein in neuen Schläuchen» aufzutischen. Das bedeutet: Was auch immer Keller-Sutter nun machen wird, Blocher wird genau hinschauen.
Die neueste Folge von «Teleblocher» in voller Länge.