Nein zu den Agrar-Initiativen «Vor einem halben Jahr hätte kaum jemand auf uns gewettet»

Von Tobias Bühlmann

13.6.2021

Die Ablehnung ist umfassend: Ein Verantwortliches des Bauernverbands registriert jede Standesstimme mit der Flagge des entsprechenden Kantons im Hauptquartier des Initiativ-Gegner.
Die Ablehnung ist umfassend: Ein Verantwortliches des Bauernverbands registriert jede Standesstimme mit der Flagge des entsprechenden Kantons im Hauptquartier des Initiativ-Gegner.
Bild: Keystone/Alessandro della Valle

Mit dem doppelten Nein zu den beiden Agrar-Initiativen geht ein Abstimmungs-Kampf zu Ende, der auf beiden Seite tiefe Wunden gerissen hat. Dabei ist der Handlungsbedarf eigentlich unbestritten.

Von Tobias Bühlmann

«Du seisch i sig e Buur, u lueg nid zur Natur / Wüss nid, um was es geit – ke Plan vo Nachhautigkeit», tönt es von der Band um kurz vor 12 Uhr auf dem Hof der Betriebsgemeinschaft Herren-Schurtenberger. Mit diesem Song hat der Schweizer Baunernverband (SBV) für zwei Nein zu Trinkwasser- und Pestizid-Initiative geworben. Nun treffen sich die Verantwortlichen der Kampagne auf dem Hof im Berner Vorort Oberbottigen, um gemeinsam die Resultate zu verfolgen.

Als um 12 Uhr die Trend-Rechnung zwei Mal Nein vorhersagt, ist die Freude trotzdem noch verhalten. Man will sich auf keinen Fall zu früh freuen nach dem langen und hart geführten Abstimmungskampf – doch eigentlich wissen alle, dass die Sache nun wirklich gelaufen ist.

Richtige Freude kommt bei den Versammelten in Oberbottigen erst um 13.40 Uhr auf, als mit Glarus der erste Kanton sein Endresultat liefert. Nun ist auch Urs Schneider die Erleichterung anzumerken. Er hat die Nein-Kampagne für den SBV geleitet: «Mir fällt ein riesengrosser Stein vom Herzen», sagt der Bauern-Funktionär.

Herzblut brachte den Sieg

Die zwei deutlichen Nein sind für ihn ein Riesenerfolg: «Vor einem halben Jahr hätte kaum jemand auf uns gewettet», sagt er zu «blue News». Erst mit den letzten Umfragen vor zwei bis drei Wochen habe sich dann das zweifache Nein abzuzeichnen begonnen. Gewonnen habe man vor allem mit dem Herzblut, mit dem die Bauernschaft die Kampagne unterstützt habe: «Wenn Tausende von Bauern losmarschieren, sich zeigen und Standaktionen machen, dann hat das seine Wirkung», sagt der Kampagnen-Chef.

Dann setzt noch einmal die Band an zum Kampagnen-Song. Gesungen zur Melodie eines französischen Hits, zeigt der Text die tiefe Kränkung der Bauern über eine Kampagne, die ihnen vorgeworfen hat, unser Trinkwasser und unsere Umwelt zu vergiften. Man fühlte sich zu Unrecht an den Pranger gestellt.

Auch die Verlierer stossen an

Kurz vor 15 Uhr ist das Nein zu den Initiativen offiziell, dann steht das Ständemehr fest. Und nun endlich ist es auch den Leuten vom Bauernverband ums Feiern: Mit Bier und Weisswein stossen sie auf die geschlagene Schlacht an – die Erleichterung ist ihnen anzusehen.

Eine Dreiviertelstunde später in der Berner Innenstadt: Auch in der Aula des Kulturzentrums Progr wird mit Weisswein angestossen. Aber freuen mag sich im Hauptquartier der Befürworter der Pestizid-Initiative niemand. Gleichwohl ergreift Mit-Initiant Laurent Berset das Wort und dankt den Anwesenden für den guten Kampf, den sie geschlagen hätten.

Die Waadtländer Grünen-Ständerätin Adele Thorens Goumaz setzte sich für ein Ja zur Pestizid-Initiative ein – ein Ja zur Vorlage lag am heutigen Abstimmungssonntag aber nie in Griffweite.
Die Waadtländer Grünen-Ständerätin Adele Thorens Goumaz setzte sich für ein Ja zur Pestizid-Initiative ein – ein Ja zur Vorlage lag am heutigen Abstimmungssonntag aber nie in Griffweite.
Bild: Keystone/Anthony Anex

Hinter der Pestizid-Initiative stand auch die Kleinbauern-Vereinigung mit ihrem Präsidenten Kilian Baumann. Der Grünen-Nationalrat hat sich in den letzten Monaten stark gemacht für ein Ja zum Verbot synthetischer Pestizide. Er betont, dass sich im Abstimmungskampf eigentlich alle Beteiligten einig gewesen seien, dass es so wie bisher nicht mehr weitergehe. «Der Einsatz von Pestiziden muss stark reduziert und die Landwirtschaft allgemein ökologischer ausgerichtet werden», sagt der Biobauer.

Dieser Konsens sei noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen. Aber unterdessen habe man den Handlungsbedarf erkannt, und das gemeinsame Ziel einer ökologischen Landwirtschaft sei «unbestritten», so Baumann. Darum wolle man die Gegner der Initiative nun in die Pflicht nehmen und endlich wirksame Massnahmen ergreifen. «Die bisherige Pflästerli-Politik genügt nicht.»

Polarisierung und Drohungen

Der Grünen-Nationalrat ist im Abstimmungskampf zum Wortführer geworden der Befürworter von Pestizid- und Trinkwasserinitiative. Die hitzigen Diskussionen haben zu enormer Gehässigkeit geführt zwischen Gegnern und Verfechtern; Baumann erhielt wegen Drohungen gegen ihn und seine Familie zuletzt sogar Polizeischutz.

Eine Polarisierung, die auch Markus Ritter aufgefallen ist, der als Chef des Bauernverbands an vorderster Front gegen die beiden Initiativen gekämpft hat. «Es ging um Zehntausende Existenzen, das hat enorm mobilisiert», sagt er zu «blue News».

Ritter will nun nach vorne schauen und gemeinsam mit Grünen und Sozialdemokraten nach Lösungen suchen – mit ihnen sieht er weiterhin gemeinsame Positionen. Das Verhältnis zu den Umweltverbänden hingegen habe mehr Schaden genommen in dem Abstimmungskampf. «Ihr Negative-Campaigning hat sicher Wunden gerissen», so der Bauern-Präsident.

Es braucht wieder mehr Zwischentöne

Nach dem enorm polarisierten Abstimmungskampf ist es Bio-Bauer Baumann wichtig, wieder mehr Zwischentöne in die Diskussion um die Agrar-Politik zu bringen. «Das Bild von einer grossen, heterogenen Mehrheit der Bauern, die klar und fest hinter der Haltung des Bauernverbands stehen, stimmt nicht.»

Der Grünen-Nationalrat will darum die Aufmerksamkeit auf jene Bäuerinnen und Bauern lenken, die durchaus eine nachhaltigere Landwirtschaft wollen und die Rolle des Bauernverbands kritisch sehen.  Er betont im Gespräch mit «blue News» noch einmal: «Beide Initiativen hatten auch Unterstützung aus der Landwirtschaft, die Pestizid-Initiative wurde schliesslich von der Keinbauern-Vereinigung und von BioSuisse unterstützt.»