Folgen der Konzern-Initiative«Die Gefahr, dass da ein zahnloser Tiger entsteht, ist sehr gross»
Von Gil Bieler
30.11.2020
Werden Unternehmen nach dem hauchdünnen Scheitern der Konzern-Initiative über die Bücher gehen? Nein, sagt Wirtschaftsethiker Andreas Brenner – er befürchtet sogar negative Folgen für die Anliegen der Initianten.
Herr Brenner, haben wir in der Schweiz schon einmal so intensiv über die Folgen internationaler Geschäftstätigkeit diskutiert?
Nein, und das allein ist schon ein grosser Erfolg der Initianten. Die Schweizer Gesellschaft hat intensiv – und über ein ganzes Jahr hinweg – über die Verantwortung grosser Konzerne für Mensch und Natur diskutiert. Dass Natur und Mensch als Einheit wahrgenommen werden, darin sehe ich einen Mehrwert dieser Debatte.
Ist diese Erkenntnis denn neu?
Wir reden schon lange über Nachhaltigkeit und kennen Bilder etwa von Glencore-Gruben, die Umweltschäden zeigen – aber im Zuge dieser Diskussion haben wir alle gelernt, dass Nachhaltigkeit nicht nur eine ökologische, sondern auch eine soziale Komponente hat. Und dass man das eine nicht vom anderen trennen oder gegeneinander ausspielen kann. Wenn man sich zum Beispiel nur um den Naturschutz kümmert, ist das keine nachhaltige Politik.
Mir ging es da wie vielen Beobachtern, die eine noch grössere Zustimmung erwartet hätten. Von daher bin ich eher überrascht, dass das Ja nicht noch deutlicher ausgefallen ist. Hier hat wohl die Panikmache einiger grosser Unternehmen verfangen.
Nach dem Scheitern der Initiative kommt der indirekte Gegenvorschlag zum Zug. Dieser sieht eine vertiefte Berichterstattungspflicht und Sorgfaltsprüfung vor, aber keine Haftungspflicht. Eine ‹Alibi-Übung›, wie die Initianten kritisieren?
Zur Person
zVg
Andreas Brenner ist Professor für Philosophie an der Universität und der FHNW in Basel und Buchautor. Zum Thema sind von ihm erschienen: «WirtschaftsEthik. Das Lehr- und Lesebuch» sowie «CoronaEthik. Ein Fall von Globalverantwortung?», beide im Verlag Königshausen u. Neumann.
Die Gefahr, dass da ein zahnloser Tiger entsteht, ist in der Tat sehr gross. Im schlimmsten Fall könnte das sogar einen negativen Effekt haben: Unternehmen könnten diese Berichte als gratis PR-Mittel nutzen und bei künftigen Diskussionen darauf verweisen, sie wären ja ihren Pflichten nachgekommen. Das würde eine Diskussion erschweren und de facto zu einer schlechteren Situation führen, als wir sie jetzt haben.
Wieso sind Sie da so pessimistisch?
Man darf nicht vergessen, dass von einer verstärkten Haftungspflicht im Endeffekt nur ein kleiner Kreis von Unternehmen betroffen gewesen wäre. Ich glaube auch nicht, dass die Schweizerinnen und Schweizer ein generelles Misstrauen gegenüber der Wirtschaft hegen – aber gegen einige Akteure in der Wirtschaft schon. Die Hoffnung, dass diese nun aufgrund einer neuen Berichterstattungspflicht ihre Unternehmenspolitik ändern, ist nicht begründet. Damit wird sich nichts ändern.
«Das Argument, Alleingänge würden nicht funktionieren, hat wohl verfangen. Aber es ist falsch.»
Der Bundesrat betont, er bevorzuge ein international abgestimmtes Vorgehen.
Dieses Argument, wonach Alleingänge nicht funktionieren, wird häufig gebracht – es hat politisch wohl auch verfangen und zum knappen Resultat mit beigetragen. Aber es ist falsch. In sehr vielen Bereichen können auch einzelne Akteure etwas bewegen, und es muss ja immer jemand den ersten Schritt machen. Die Schweiz hätte dem Ausland signalisieren können, dass sie Firmenpolitiken, die grundlegende Menschenrechts- oder Umweltschutzstandards nicht respektieren, nicht duldet.
Welche Partner hätte die Schweiz überhaupt, um in diesen Bereichen etwas zu bewegen?
Die UNO hat bereits vor neun Jahren einen Schritt in diese Richtung gemacht, als sie die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte aufgestellt hat. Das ist ein umfangreiches Dokument, das sogar noch weiter geht als es die Konzernverantwortungsinitiative verlangte. Allerdings haben die Vereinten Nationen keine staatlichen Strukturen, darum hat sich das auch nicht konkret ausgewirkt. Dennoch sind solche Schritte wichtig, um ein Bewusstsein für Missstände zu schaffen. Und wie in der Schweiz gibt es in vielen anderen europäischen Ländern eine kritische Öffentlichkeit, die sagt: Wir unterstützen keine Konzerne, die schlecht mit anderen Menschen oder der Natur umgehen.
Hat sich unsere Wahrnehmung als Konsumenten auch längerfristig verändert?
Es ist zumindest zu hoffen, dass das Thema nicht mehr vollkommen verschwinden wird. Doch sind Voraussagen dazu schwierig, und das Jahr 2020 hat uns ja schon mehrfach überrascht.
Die Corona-Pandemie hat auch die Risiken globaler Lieferketten aufgezeigt. Könnte das zu einer Entglobalisierung führen?
Diese Vermutung kam in den letzten Monaten immer wieder auf, und es ist durchaus möglich, dass es zu einer Gegenbewegung zur Globalisierung kommt. Sprich: dass die einzelnen Staaten wieder etwas eigenständiger werden wollen. Wenn man diesen Weg geht, muss man aber auch beachten, welche Folgen das für die Weltwirtschaft und die schwächsten Glieder in diesem System hat.
Aber in Krisen schaut doch jeder zuerst für sich selbst, oder?
Das sollte aber nicht sein: Wenn ein Staat sich dazu entscheidet, Produktionsprozesse ins eigene Land zurückzuholen, ist das natürlich ein legitimer Entscheid – aus verantwortungsethischer Sicht müsste man sich aber auch die Auswirkungen auf die armen Länder ansehen. Wir, also die reichen Länder, haben in fremden Ländern über Jahrzehnte industrielle Monokulturen angelegt, das heisst: Wir haben andere Länder von unseren Bestellungen abhängig gemacht. Würde man das jetzt alles rasch wieder rückgängig machen, brächte das viele arme Länder in grosse Not. Wir müssten die negativen Folgen eines solchen Umbruchs abfedern.
«Wir haben andere Länder von unseren Bestellungen abhängig gemacht»
Welches Interesse hätte die Schweiz denn daran?
Indem wir unsere Werkbänke ausgelagert haben, haben wir auch schlechtere Umweltstandards oder billigere Löhne in Kauf genommen – und dies mit dem Ziel niedrigerer Preise. Wenn wir diesen Ländern nun bei ihrer Strukturanpassung helfen, wäre das nur eine gerechte Kompensation; nicht im Sinne eines Geschenks, sondern im Sinne einer Reparation. Denn man muss sehen: Nachdem wir jahrzehntelang eine wirtschaftliche Monokultur etabliert haben, fehlt den betroffenen Regionen oder Ländern oft jede Alternative. Man müsste also, wenn man die Produktionsstätten wieder in den Westen zurückholt, mithelfen, in diesen Ländern eine unabhängige Wirtschaft aufzubauen.
Ist China bei den armen Ländern mitgemeint?
China ist natürlich mittlerweile eine sehr starke Volkswirtschaft, aber wenn dort von heute auf morgen die Aufträge ausblieben, würde das Land wieder in eine gigantische Krise stürzen. Mehr noch wäre aber an Indien und weite Teile Asiens und Afrikas zu denken.
Sind denn die Schweizerinnen und Schweizer auch bereit, für das gute Gewissen mehr zu bezahlen?
Im kleinen Bereich sind wir das. Das zeigt sich an den Bioprodukten, die immer mehr Konsumentinnen und Konsumenten kaufen. Bei anderen Gütern dürfte ein Aufpreis aber nicht mit dem Argument der besseren Qualität begründet sein. Wer Biogemüse kauft, verspricht sich dadurch ja ein gesünderes Produkt – was letztlich ein egoistischer Antrieb ist. Wenn man eine verantwortungsvolle Ökonomie anstrebt, geht es um mehr. Dann müssen wir zuerst einmal einsehen, dass die Preise, die wir lange bezahlt haben und immer noch bezahlen, zu tief sind – und daher eine Ausbeutung begünstigen.
China tritt global immer stärker in Erscheinung, mit Deals in afrikanischen Ländern oder der Neuen Seidenstrasse, die Geschäfte mit über 60 Ländern umfasst. Zu einer Stärkung der Menschenrechte und Umweltstandards dürfte das kaum führen.
Das stimmt, um solche Standards kümmert sich China sehr wenig bis gar nicht, in Afrika betreibt es sogar eine neokoloniale Politik. Das zeigt: Wenn man die Ziele der Konzernverantwortungsinitiative stärken möchte, wäre China definitiv kein geeigneter Partner für die Schweiz.