Globalisierung «made in China»? Wie China versucht, die Welt nach der Krise zu prägen

tsha

14.5.2020

Auch 44 Jahre nach seinen Tod wacht Mao noch immer über den Platz des Himmlischen Friedens in Peking.
Auch 44 Jahre nach seinen Tod wacht Mao noch immer über den Platz des Himmlischen Friedens in Peking.
Bild: Keystone

China ist derzeit so unbeliebt wie nie. Dennoch macht sich das Land daran, die Wirtschaftsordnung der Post-Corona-Zeit zu prägen. Dabei bedient es sich eines Mittels, das Tradition hat: Geschichtsfälschung.

Immer dann, wenn in der langen chinesischen Geschichte eine Dynastie von der nächsten abgelöst wurde, schlug die Stunde der Geschichtsschreiber. Das, was die zumeist konfuzianisch geschulten Literaten nach jeder historischen Umwälzung zu Papier brachten, erfüllte nach heutigen Massstäben freilich nicht selten den Tatbestand der Geschichtsfälschung.

Kein Wunder. Denn indem der neue Kaiser die Geschichte der besiegten Dynastie aufschrieben liess, schuf er immer auch die Rechtfertigung für seine eigene Herrschaft. Wenn er seine Vorgänger in ein möglichst schlechtes Licht rückte, konnte er selbst umso mehr strahlen. Wenn also stimmt, dass Geschichte immer von den Siegern gemacht wird, dann ist klar, auf welcher Seite sich das heutige China sieht.

Eifrig machen sich die chinesische Regierung und ihre Vertreter in aller Welt seit Wochen daran, die Geschichte der Corona-Pandemie, einem Ereignis von historischen Ausmassen, nach ihrem Gutdünken umzuschreiben.

Da wird der Annahme, das Virus könne aus einem chinesischen Labor entkommen sein, die Behauptung entgegengestellt, das US-Militär sei schuld. Und aus immer mehr Ländern kommt die Meldung, chinesische Diplomaten würden aggressiv versuchen, die mediale Berichterstattung über die Corona-Krise zu beeinflussen. Der Tenor: China ist Opfer, nicht Täter. All das geschieht mit einer Geschwindigkeit, über die die alten Geschichtsschreiber staunen dürften.

Nur: Verfängt das chinesische Narrativ? Und, wichtiger vielleicht: Schafft es China, die Post-Corona-Welt nach seinen Massstäben umzuformen?



Die Wirtschaft liegt am Boden – noch

Neben der klassischen Propaganda war bislang die Wirtschaft der stärkste Hebel Chinas, um im Ausland Einfluss zu nehmen. Derzeit aber befindet sich die Wirtschaft des Landes an einem Tiefpunkt.

Erstmals seit Jahrzehnten schrumpft die chinesische Ökonomie wieder; und auch wenn die Zeichen derzeit auf Entspannung stehen, könnte ein zweiter Ausbruch des Virus fatale wirtschaftliche Folgen auf das Land haben.

Allerdings leidet auch in Europa und in den USA die Wirtschaft, was Sorgen befeuert, China könnten dort in grossem Stile Unternehmen und damit auch Know-how aufkaufen, um sich technologische Vorteile für die Zeit nach der Krise zu sichern. 

Und während in Europa immer mehr Stimmen laut werden, die der Globalisierung eine Mitschuld an der Corona-Pandemie geben, könnte China die Krise nutzen, um der Globalisierung seinen eigenen Stempel aufzudrücken.

Die Globalisierung war es, die Hunderte Millionen Chinesen seit den 1980er-Jahren aus der Armut geholt hat, und sie könnten es auch sein, die China aus dem jetzigen wirtschaftlichen Tief hievt. Hatte China nach der Weltfinanzkrise 2008 noch massiv im eigenen Land investiert, um die Wirtschaft in Schwung zu bringen, ist das heute nicht mehr uneingeschränkt möglich. Das Land benötigt schlichtweg nicht unendlich viele Flughäfen, Autobahnen und Hochgeschwindigkeitsstrecken.



Also expandiert die chinesische Wirtschaft global, um auch im eigenen Land nach Corona wieder in die Gänge zu kommen, Stichwort: Neue Seidenstrasse.

Dass sich China mit dem offiziell etwas umständlich «Belt and Road Initiative» betitelten Investitionsprogramm nicht nur ökonomische Vorteile erhofft, ist längst offensichtlich: Die Neue Seidenstrasse soll auch politisch Chinas Vormachtstellung in der Welt ausbauen.

Die Krise, in der vor allem die ärmeren Länder händeringend nach Investitionen rufen, könnte diese Entwicklung noch verstärken. Die Globalisierung, sie wäre auf einmal «made in China».

Während in Europa in der Krise die Grenzen dichtgemacht werden und in den USA nicht erst seit der Wahl Donald Trumps ein neuer nationalistischer Geist weht, könnte ausgerechnet China die Fahne der Freiheit hochhalten. Welche Ironie der Geschichte.

China ist unbeliebt wie nie


Politisch sieht sich China freilich massivem Druck ausgesetzt. Nicht nur der notorische Lautsprecher Trump prangert öffentlich das Versagen der chinesischen Führung zu Beginn der Pandemie an; auch europäische Regierungen verlangen Aufklärung darüber, warum der Ausbruch des Coronavirus so lange verschwiegen worden ist. Das politische System Chinas, das auf Unfreiheit und auf Druck nach unten basiert, es hat in der Krise völlig versagt. Dass die chinesische Regierung öffentlichkeitswirksam Gesichtsmasken an europäische Staaten verteilt, dürfte dem Land kaum helfen. Der Ruf Chinas ist ruiniert.



So gaben einer Studie zufolge kürzlich rund zwei Drittel der US-Amerikaner an, eine schlechte Meinung von China zu haben. Vor der Krise waren die Werte noch deutlich besser – nie zuvor in den 15 Jahren, in denen die Studie durchgeführt wird, war China derart unbeliebt wie jetzt. In Europa dürfte das China-Bild derzeit kaum besser sein.

Dass wirtschaftliche Stärke nicht alles ist, hat die Führung in Peking längst erkannt. Unzählige Konfuzius-Institute weltweit sollen dabei helfen, die chinesische Kultur und damit auch ihre Werte auch im Westen attraktiv zu machen.

Die meisten dieser Bildungseinrichtungen, die übrigens dem chinesischen Bildungsministerium unterstellt sind, haben derzeit freilich geschlossen – Schuld ist, was sonst, die Corona-Krise.

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