Abstimmungen Selbstkritische Operation Libero, zufriedene Bundesräte und Streit ums Ständemehr 

Von Julia Käser

30.11.2020

Ein klares Nein bei der Kriegsgeschäfte-Initiative und ein historisches Scheitern am Ständemehr bei der Konzern-Initiative: Der gestrige Abstimmungssonntag gibt zu reden. Die Reaktionen im Überblick. 

Obwohl sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen abzeichnete, ging es um kurz vor 14 Uhr plötzlich schnell: Die Konzernverantwortungsinitiative (Kovi) wird abgelehnt. Gescheitert ist sie am Ständemehr. 

Dass die Vorlage vom Volk angenommen wurde – mit 50,7 Prozent Ja-Stimmen – bezeichnet Laura Zimmermann, Co-Präsidentin der Operation Libero (OL), als historisch. Enttäuscht über die Niederlage ist sie trotzdem. Für die OL, die sich mit einer Kampagne für die Kovi einsetzte, sei es selbstverständlich, dass Konzerne in der globalisierten Wirtschaft Verantwortung übernehmen sollen. 

«Es macht mich traurig, dass dieses Denken noch nicht ganz mehrheitsfähig ist», sagt Zimmermann. Durch mit dem Thema sei die Operation Libero aber nicht: «Die Diskussion ist noch nicht fertig.» Das Bewusstsein in der Bevölkerung wachse. «Punkte wie die gesellschaftliche Verantwortung und Menschenrechte werden beim wirtschaftlichen Handeln immer wichtiger.» 

«Müssen beim Abstimmungskampf über die Bücher»

Über die Bücher muss man laut Zimmermann vor allem bei der Art, wie der Abstimmungskampf zur Kovi geführt wurde: «Von der Gegenseite wurde viel Desinformation in den Raum geworfen. Aber auch wir müssen uns an der Nase nehmen und haben mit harten Begriffen zur unnötigen Emotionalisierung beigetragen.» 

Laura Zimmermann, Co-Präsidentin der Operation Libero, bedauert den emotionalen und harten Abstimmungskampf zur Kovi. 
Laura Zimmermann, Co-Präsidentin der Operation Libero, bedauert den emotionalen und harten Abstimmungskampf zur Kovi. 
Bild: Keystone

Zimmermann spricht von einer Amerikanisierung der Kampagne. Das habe die demokratieerprobte Schweiz nicht nötig. Und etwas anderes hebt sie hervor: «Besonders wichtig ist es, dass von den Behörden sachgerechte Informationen vermittelt werden.» 

Erstmals kämpfte die Operation Libero in einem Abstimmungskampf gegen ihre sonstige Verbündete, den Wirtschaftsdachverband Economiesuisse. Dessen Präsident Christoph Mäder zeigte sich erfreut über das Abstimmungsresultat. Er habe damit gerechnet, dass es knapp werde, sagte Mäder zur Nachrichtenagentur Keystone-SDA. 

Wirtschaftsfeindliches Klima in der Schweiz – laut SVP

Von einem Vertrauensverlust gegenüber der Wirtschaft könne aber nicht die Rede sein. «Wir haben immer betont, dass es um ein paar wenige Fälle geht.»

Zufrieden gibt sich Mäder mit dem indirekten Gegenvorschlag, der nun automatisch in Kraft tritt – sofern innert den nächsten 100 Tagen kein Referendum ergriffen wird. Dieser entspreche den internationalen Standards und enthalte gezielt die wichtigen Themen. Zudem erfasse er jene Firmen, die in «heiklen Bereichen» tätig seien.

Ähnlich klingt es bei der FDP. Der Gegenvorschlag nehme die berechtigten Anliegen der Initiative auf, orientiere sich aber anders als die Initiative an internationalen Standards. Laut FDP-Nationalrätin Regine Sauter ist diese vielerorts als zu extrem rübergekommen, wie sie gegenüber SRF sagte. «Man wollte nicht wegen ein paar vermeintlich schwarzen Schafen die ganze Wirtschaft, alle Unternehmen abstrafen.»

Andere Töne schlägt die SVP an. Das knappe Resultat zeuge von einem allgemeinen wirtschaftsfeindlichen Klima, das in der Schweiz entstanden sei. 

«Sie hatten das Geld, wir die Menschen»

Weder ein Stände- noch ein Volksmehr erhielt hingegen die Kriegs-Geschäfte-Initiative: Sie wurde an der Urne deutlich abgeschmettert. Aber auch hier reden einige von einem Erfolg. So etwa GSoA-Sekretärin Nadia Kuhn, die sich über die Zustimmungsrate von 42,5 Prozent freut: «Die Vorlage war doch ein sehr linkes Anliegen», sagt sie auf Anfrage.

Die Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA) hatte die Initiative zusammen mit den Jungen Grünen lanciert. Dem Initiativ-Komitee sei viel weniger Geld zur Verfügung gestanden als den Gegnerinnen und Gegnern, betont Kohn. Das habe man an zahlreichen Plakaten der Gegenseite gesehen. 

GSoA-Sekretärin Nadia Kuhn gibt sich zufrieden mit dem Abstimmungsergebnis. 
GSoA-Sekretärin Nadia Kuhn gibt sich zufrieden mit dem Abstimmungsergebnis. 
Bild: Keystone

Auf Social Media hingegen und auf der Strasse beim Flyern sei das Initiativ-Komitee gut vertreten gewesen. «Sie hatten das Geld, wir die Menschen», bilanziert Kuhn. Nun will die GSoA weiterkämpfen – gegen die Finanzierung von international geächtete Waffen.

«In der Schweiz sind Stand jetzt bloss Direktinvestitionen verboten, das muss dringend ausgeweitet werden auf indirekte Investitionen wie beispielsweise Aktien», so Kuhn. 

Gegnerinnen und Gegner sehen sich bestätigt 

CVP-Nationalrätin und Präsidentin der Sicherheitskommission des Nationalrates, Ida Glanzmann widerspricht. «Ich bin erleichtert, dass es uns gelungen ist, aufzuzeigen, dass es diese Initiative nicht braucht. Denn schon heute unterbindet die Schweiz mit dem Kriegsmaterialgesetz die direkte Finanzierung von verbotenem Kriegsmaterial», lässt sie sich zitieren.

Erfreut über das Nein zeigt sich auch die GLP. Zwar seien die verfolgten Ziele nachvollziehbar, die Initiative hätte aber nicht dorthin geführt, kritisiert die Partei das geforderte Verbot der Herstellerfinanzierung. Zielführender sei es, den Export oder die Nutzung von bestimmten Rüstungsgütern zu verbieten. 

«Wollen uns für eine friedlichere Welt einsetzen»

Nicht zuletzt äusserten sich die zuständigen Bundesräte Guy Parmelin und Karin Keller-Sutter zu den Abstimmungsresultaten. Beide begrüssten diese.  «Der Weg wurde abgelehnt, nicht das Anliegen», kommentierte Keller-Sutter das Nein zur Kovi. 

Mit dem Gegenvorschlag werde für Schweizer Unternehmen nun verbindlich, was bisher freiwillig war, so die FDP-Justizministerin, die sich bereits im Vorfeld stark für den indirekten Gegenvorschlag engagierte.

SVP-Wirtschaftsminister Guy Parmelin seinerseits versprach, dass sich der Bundesrat auch in Zukunft für eine friedliche Welt einsetzen werde. Jedoch ohne damit die Wirtschaft zu belasten – das sei vor in der aktuellen Krisensituation wichtig. 

Debatte ums Ständenmehr entbrannt

Was von diesem Abstimmungssonntag bleiben wird, ist in erster Linie die Diskussion über das Ständemehr, die neu entbrannte. Zum ersten Mal seit 1956 ist eine vom Volk angenommene Volksinitiative daran gescheitert. 

Eine Nachwahlbefragung von Tamedia und 20 Minuten zeigt denn auch: Knapp die Hälfte der Bevölkerung will das Ständemehr abschaffen. Passieren wird das aber kaum, wie Politologe Nenad Stojanović im Interview mit «blue News» erklärte. Denn die Abschaffung des Ständemehr würde eine Volksabstimmung bedingen – und diese dürfte eben genau wieder am Ständemehr scheitern. 

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