Politologin über Bundesratsrennen«Ein extremer Kandidat ist nicht wirklich im Interesse der SVP»
Von Gil Bieler
10.10.2022
Albert Rösti will für die SVP in den Bundesrat
Albert Rösti, SVP-Nationalrat und Agronom aus dem Berner Oberland, will Bundesrat werden. Er hat am Montag seine Kandidatur bekanntgegeben. Dabei stellte er sich als gut vernetzten Brückenbauer dar, dem neben der Parteilinie der Draht zum Volk wichtig ist.
10.10.2022
Ist Albert Rösti schon gewählt? Nicht unbedingt: Eine Bundesratswahl funktioniere nach eigenen Gesetzen, sagt Politikwissenschaftlerin Sarah Bütikofer. Ein Gespräch über Blocher, die Frauenfrage und die Grünen.
Von Gil Bieler
10.10.2022, 19:59
11.10.2022, 13:52
Gil Bieler
Werner Salzmann und Albert Rösti wollen in den Bundesrat: Wer hätte im Parlament die besseren Wahlchancen?
Das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten, dafür gibt es zu viele Fragezeichen. Zum einen kommt es darauf an, wer am Ende auf dem SVP-Ticket steht – und zum anderen darauf, wie die Hearings verlaufen und welche Überlegungen sich die anderen Parteien bis zum Wahltag noch machen. Der ist erst am 7. Dezember, da kann noch vieles passieren.
Eine Unbekannte ist Christoph Blocher. Der SVP-Parteistratege sagte kürzlich, sowohl Rösti als auch Salzmann lägen politisch auf seiner Linie, die Zeit der Flügelkämpfe sei vorbei. Sehen Sie das gleich?
Zur Person
Sarah Bütikofer ist Politikwissenschaftlerin an der Universität Zürich und beim Forschungsinstitut Sotomo sowie Herausgeberin des Onlineportals «DeFacto».
Die Message von Christoph Blocher scheint mir zu sein, dass offiziell alle wählbar sind, die auf Parteilinie liegen. Die SVP tritt im Parlament sehr geschlossen auf, von Flügelkämpfen innerhalb der Partei kann man wirklich nicht sprechen. Aber der Bundesrat wird vom Parlament gewählt. Und dessen wichtigstes Kriterium ist nicht, ob ein Kandidat respektive eine Kandidatin Blocher genehm ist. Sein Einfluss dürfte daher eher bei der Kandidatensuche zum Tragen kommen.
An der Medienkonferenz vom Montag stellte Rösti klar, seine Kandidatur müsse nicht abgesegnet werden. Wie stark ist Blochers Einfluss in der Partei in dieser Frage überhaupt?
Von aussen ist das schwierig zu sagen. Und die kantonalen Parteien sind frei in der Frage, wen sie vorschlagen. Auf nationaler Ebene befasst sich dann ohnehin noch eine Findungskommission mit allen Personen und macht die offiziellen Vorschläge, wobei auch die Wahlchancen im Parlament berücksichtigt werden. Am Schluss muss ein Kandidat oder eine Kandidatin eine Mehrheit im Parlament erreichen, von ganz links bis ganz rechts. Ein extremer Kandidat oder eine extreme Kandidatin hat es eher schwer und ist daher wohl auch nicht wirklich im Interesse der SVP.
Eine solche Kandidatur erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die anderen Parteien anfangen, sich nach möglichen alternativen Kandidaturen umzusehen. Doch deuten alle Signale bisher darauf hin, dass niemand ein Interesse an einem Skandal bei dieser Wahl hätte.
Bisher gibt es erst zwei Berner Kandidaten. Die St. Galler Nationalrätin Esther Friedli hält sich noch bedeckt. Angenommen, die SVP nominiert Frideli oder eine andere Frau: Muss das links-grüne Lager ihr zwangsläufig den Vorrang geben – im Sinne der Frauenförderung?
Wäre es der SVP wirklich ein Anliegen, dass jetzt eine Frau für Ueli Maurer nachrückt, dann müsste sie konsequenterweise nur Frauen nominieren – dann wird garantiert auch eine gewählt. Stehen dagegen ein Mann und eine Frau auf dem Ticket, würde diese Frauenfrage dem Parlament übertragen, was nicht die richtige Strategie wäre. Bundesratswahlen unterliegen vielen ungeschriebenen Quoten oder Gesetzmässigkeiten, die es zu berücksichtigen gilt. Für das Parlament – auch für die Linke – ist die Geschlechterfrage nicht das einzige Kriterium.
Ist der Anspruch der SVP auf den zweiten Bundesratssitz gänzlich unbestritten?
Es ist nirgendwo festgeschrieben, wie die sieben Bundesratssitze auf die Parteien verteilt werden müssen. Als mit Abstand stärkster Partei hat die SVP aber nach gängiger Praxis Anspruch auf zwei Sitze. Gleichzeitig könnten die Grünen ihren Anspruch auf eine Vertretung im Bundesrat wieder geltend machen, sie sind ja schon bei der letzten Vakanz angetreten. Ob sie jetzt aus Prinzip bei jeder Vakanz antreten wollen, um ihren Willen, mitregieren zu wollen, zu untermauern, müssen die Grünen zuerst für sich beantworten.
Hätten die Grünen mit einer solchen Kandidatur überhaupt etwas zu gewinnen? Ihre Kandidatin Regula Rytz scheiterte 2019 klar.
Das ist durchaus fraglich. Bereits im Fall der Kandidatur von Regula Rytz agierte die Partei zögerlich und meldete ihre Kandidatur erst spät an. Wenn die Grünen voll auf Angriff gehen möchten, dann hätten sie sich sehr wahrscheinlich direkt nach der Rücktrittsankündigung von Ueli Maurer zu Wort gemeldet. Das ist bis heute aber noch nicht geschehen.
Im Moment scheint es, dass eine Grünen-Kandidatur nur geringe Chancen auf Erfolg hat. Von dem her ist auch die Motivation, sich in einen solchen Wahlkampf zu stürzen, gering. Aber es geht ja doch noch fast zwei Monate bis zur Wahl, da ist noch einiges möglich.
So sieht der Zeitplan für die Maurer-Nachfolge aus
Bis zum 21. Oktober können die SVP-Kantonalsektionen ihre Kandidati*nnen der zentralen Findungskommission melden.
Danach finden Anhörungen in der Findungskommission statt unter Leitung von Caspar Baader statt. Der Baselbieter ist alt Nationalrat und war einst Präsident der SVP-Bundehausfraktion.
Bis zum 11. November will die Kommission dem Vorstand der SVP-Bundeshausfraktion ihre Empfehlungen unterbreiten.
Voraussichtlich am 18. November will die SVP-Fraktion die offiziellen Kandidaten ernennen.
Am 7. Dezember, während der Wintersession, wählt die Vereinigte Bundesversammlung dann den Nachfolger respektive die Nachfolgerin von Ueli Maurer.
Sprechen wir zuletzt noch über den als Favoriten gehandelten Albert Rösti: Was könnte man von ihm als Bundesrat erwarten?
Albert Rösti war – genau wie Ueli Maurer – Präsident der SVP. Er vertritt die Politik der Partei inhaltlich voll und ganz. Vom Typ her ist er sicher anders als Ueli Maurer. Doch wie sich jemand als Bundesrat entwickelt, hängt auch davon ab, welches Departement jemand erhält und wie sich die Person darin entfaltet.
Das ist nicht spezifisch ein Maurer-Phänomen, auch andere Bundesratsmitglieder fielen schon damit auf und liessen jeweils gut erkennen, wenn ein Entscheid des Gremiums nicht ihrer persönlichen Meinung entsprach. In unserem System sind Parteien von links bis rechts in die Regierung eingebunden. Für gewöhnlich tun sich Bundesratsmitglieder dann am schwersten mit der Konkordanz, wenn eines der Kernthemen ihrer Partei tangiert wird.