StänderatKommission definiert Begriff des sexuellen Übergriffs neu
SDA/tsha/jka
1.2.2021 - 16:35
Sexuell mündige Opfer sollen besser geschützt werden – deshalb will die zuständige Ständeratskommission das Strafrecht reformieren.
Jede zehnte Frau in der Schweiz hat bereits Sex gegen ihren Willen erlebt, 22 Prozent haben im Verlauf ihres Lebens mindestens einen unerwünschten sexuellen Angriff erlitten. Das zeigt eine 2019 durchgeführte Studie der Menschenrechtsorganisation Amnesty International und dem Meinungsforschungsinstitut GFS Bern.
Um Frauen künftig besser zu schützen, will die Kommission für Rechtsfragen des Ständerats (RK-S) im Strafrecht den neuen Straftatbestand des sexuellen Übergriffs einführen. Der Grundgedanke der neuen Bestimmung sei es, den entgegenstehenden Willen von sexuell mündigen Opfern zu schützen, wie die Parlamentsdienste am Montag mitteilten.
Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe könne demnach jemand bestraft werden, der gegen den Willen einer Person eine sexuelle Handlung an dieser vornimmt oder von ihr vornehmen lässt.
Ausweitung des Begriffs der Vergewaltigung
Sind die sexuellen Handlungen mit Nötigung oder dem Ausnützen einer Notlage oder Abhängigkeit verknüpft oder wird ein urteils- oder widerstandsunfähiges Opfer missbraucht, werden diese weiterhin von den geltenden Tatbeständen erfasst (Art. 188 ff. StGB). Geringfügige Übergriffe werden auch in Zukunft als sexuelle Belästigungen bestraft.
Ausserdem wird eine Ausweitung des Begriffs der Vergewaltigung zur Diskussion gestellt, damit neu auch bestimmte andere sexuelle Handlungen unter den Begriff fallen und vom Tatbestand von Artikel 190 StGB erfasst werden können. Die Kommission entschied sich jedoch gegen die in der Öffentlichkeit oft diskutierte «Zustimmungslösung».
Kinderschutz soll ausgeweitet werden
In der Vorlage wird zudem ein neuer Tatbestand für das Anbahnen von sexuellen Kontakten mit Kindern («cybergrooming») zur Diskussion gestellt. So soll ein neuer Art. 197a StGB es zukünftig ermöglichen, dass Vorbereitungshandlungen mit einer Geldstrafe bestraft werden können. Für sexuelle Handlungen mit Kindern unter 12 Jahren soll strafverschärfend für bestimmte Tatbestandsvarianten neu eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr gelten.
Auf der anderen Seite wird vorgeschlagen, dass das Herstellen, das Weiterleiten und der Besitz von pornografischem Material unter Jugendlichen in Zukunft unter gewissen Umständen straflos bleiben kann, damit sie nicht unnötig kriminalisiert werden. Das Vernehmlassungsverfahren dauert bis zum 10. Mai 2021.
Kritik am Entscheid der Kommission
Amnesty International kritisiert den Entscheid der Kommission, dass nicht-einvernehmlichen Geschlechtsverkehr als sexueller Übergriff statt als Vergewaltigung geahndet werden soll. Auf diese Weise hänge das Strafmass mitunter vom Verhalten des Opfers ab.
Falle dieses in eine Art Schockstarre – was nicht selten vorkomme – und die Täterschaft müsse kein Nötigungsmittel anwenden, habe das Einfluss auf das Strafmass. In diesem Fall drohen laut Amnesty International maximal bis zu drei Jahre Gefängnis, während es bei Vergewaltigung bis zu zehn Jahre sind.
«Der Entwurf der Bundesverwaltung ist eine verpasste Gelegenheit, unmissverständlich klarzustellen, dass das grundsätzliche Unrecht nicht in der Nötigung oder der Gewalt liegt, sondern in der Missachtung der sexuellen Selbstbestimmung», lässt sich Cyrielle Huguenot, Kampagnenleiterin für Frauenrechte bei Amnesty International, in der entsprechenden Mitteilung zitieren.