Steuervorteile bei Vorsorge sollen wegfallen«Das System stösst an seine Grenzen» – Experte warnt
Von Samuel Walder, Lea Oetiker
22.10.2024
Der Bundesrat plant, die steuerlichen Vorteile der 2. und 3. Säule der Altersvorsorge zu reduzieren, was vor allem Mittelstand und Grossverdiener belasten würde. Ein Experte und Politiker ordnen ein.
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Von Samuel Walder, Lea Oetiker
22.10.2024, 04:30
22.10.2024, 08:20
Samuel Walder
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Der Bundesrat plant, die steuerlichen Vorteile bei der 2. und 3. Säule der Altersvorsorge zu reduzieren, was für viele Menschen deutlich höhere Steuern bedeuten würde.
Vor allem die Mittelschicht und Grossverdiener müssten dadurch mehr Steuern bezahlen.
Ein Experte und Politiker und Politikerinnen äussern sich bei blue News zu den Plänen vom Bund.
Der Bundesrat plant, die steuerlichen Vorteile bei der 2. und 3. Säule der Altersvorsorge zu reduzieren. Das würde für viele Menschen deutlich höhere Steuern bedeuten.
Menschen mit tiefen Einkommen kämen je nach Konstellation mit der neuen Regel besser weg. Beispiel: Wer 60'000 Franken verdient und sich im Alter 250'000 Franken Kapital auszahlen lässt, zahlt bisher 3940 Franken – neu wären es noch 3650 Franken.
Das Anreizsystem 3. Säule ist ein Auslaufmodell
Tashi Gumbatshang ist Leiter des Kompetenzcenters für Vermögens- und Vorsorgeberatung bei Raiffeisen Schweiz. Für ihn ist klar, dass in der Schweiz das Säulensystem eine gute und sehr abgestimmte Strategie der Vorsorge ist.
Doch jetzt kommt das System an seine Grenzen. Grund dafür: «Die Demografie in der Schweiz hat sich verändert. Die Menschen werden älter und es werden weniger Kinder zur Welt gebracht.» Das bringt die Vorsorgewerke aus dem Gleichgewicht.
Zudem sei das Vorhaben des Bundes eine nicht ganz unproblematische Sache: «Die 3. Säule enthält ein sogenanntes Anreizsystem. Man zahlt auf ein Konto ein und das Geld vervielfacht sich durch die Zinsen und Kapitalgewinne sowie Dividenden bei Wertschriften.» Wenn man aber in Zukunft einzahle, mit dem Glauben, dass sich das Geld vermehren würde und man dann bei den Steuern einen Teil davon wieder abgeben müsste, schwinde der Anreiz in die 3. Säule zu investieren, sagt Gumbatshang.
Wenn der Anreiz, in ein System zu investieren, geschmälert werden würde, besteht die Möglichkeit, dass sich die Menschen umorientieren und das Geld anderweitig nutzen.
Trend verschiebe sich mehr Richtung Selbstverantwortung
Der Trend verschiebe sich immer mehr in Richtung Selbstverantwortung. «Das System stösst an seine Grenzen. Nun sollten vor allem die Menschen, die in der Mittelschicht sind, sich selbst organisieren», meint Gumbatshang.
Er stellt infrage, ob der Staat mit dem neuen Vorschlag des Bundesrates viel mehr Geld einnehmen könne. «Diese Änderung hätte Auswirkungen, die man gar nicht richtig antizipieren kann. Denn erfahrungsgemäss können solche Steuereingriffe zu Veränderungen im Verhalten führen und so der gewünschte Effekt nicht erreicht werden oder sogar schädlich wirken», sagt Gumbatshang.
Reale Investitionen: eine Alternative zur 3. Säule
Menschen, die jetzt in ihre Altersvorsorge investieren, sollten sich genau überlegen, wie und wo sie das tun. «Ich empfehle bei der 3. Säule immer wieder, Investitionen in reale Werte zu prüfen. Zum Beispiel kann man in ein breites Aktienportfolio investieren.
Da muss man natürlich die Verhältnismässigkeit beachten», sagt Gumbatshang. Die 3. Säule sei nach wie vor eine gute Anlage für die Altersvorsorge.
FDP und SVP äussern sich kritisch zum Plan des Bundes
blue News fragt bei drei FDP-Politikern und -Politikerinnen nach. Andri Silberschmidt meldet sich zurück und verweist auf einen LinkedIn-Beitrag, den er geschrieben hat. Darin steht: «Die FDP lehnt eine höhere Besteuerung von Kapitalbezügen in der beruflichen und in der privaten Vorsorge ab.»
Die FDP argumentiert, dass eine solche Besteuerung den Anreiz zur Vorsorge mindern würde und, «wer im Glauben eingezahlt hat, dass ihm das steuerliche Vorteile bringt, würde sich hintergangen fühlen», so Silberschmidt.
Auch SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr äussert sich kritisch zum Plan des Bundesrats. In erster Linie müsse man sich die Ausgaben und nicht die Einnahmen anschauen.
Sie hebt zudem die Bedeutung der Rechtssicherheit hervor: «Es muss sich lohnen, gut zu verdienen und für das Alter vorzusorgen. Die Vorlage untergräbt diesen Grundsatz.» Sie kritisiert zudem die Ungleichbehandlung von Steuernzahlern, da viele Gutverdiener bereits überproportional zum Steueraufkommen beitragen. «Diese würde man mit der Vorlage einmal mehr zur Kasse bitten», so Gutjahr.
Und nicht nur gut verdienende Personen würden ihr Geld auf diese Art und Weise auf die Seite setzen. «Würde das eingeführt werden, wäre es ein Zeichen, dass sich Sparen gar nicht mehr lohnt.»
Gutjahr betont zudem die Komplexität der Regelung: «Die Umsetzung ist für mich nicht brauchbar.» Stattdessen will sie, dass es so bleibt, wie es ist. «Es sollte noch mehr Anreiz da sein, dass die Menschen fürs Alter sparen wollen, dass sich Arbeit lohnt.»
SP begrüsst Schliessung des «Steuerschlupflochs»
Anders als SVP und FDP argumentiert die SP. Nationalrätin Céline Widmer schreibt auf Anfrage von blue News: «Heute gibt es einen Anreiz, dass Haushalte mit hohen Einkommen via 2. und 3. Säule Steuern umgehen können. Damit gehen dem Staat hohe Summen an Steuereinnahmen verloren. Ich begrüsse es, wenn dieses Steuerschlupfloch geschlossen wird.»
Cédric Wermuth, Co-Präsident der SP, sagt: «Die SP ist der Meinung, dass zuerst diese Steuersubventionen der letzten Jahre rückgängig gemacht und der Kampf gegen die Steuerkriminalität intensiviert werden soll.»
Weiter habe die SP einen Plan vorgelegt, wie zusätzliche Investitionen möglich seien, ohne die Mittelklassen zu belasten. «Konkret kann man über eine Anpassung der Abzüge für die 2. und 3. Säule natürlich diskutieren. Diese kommen primär Gutverdienenden zugute», so Wermuth. Die SP ist der Meinung, dass man beispielsweise die Abzüge nur bis zu einem bestimmten Einkommen zulassen könnte.