Kampf ums Wasser Ist die Schweiz mit schuld an den Dürren ihrer Nachbarn?

Von Stefan Michel

26.3.2023

Ebbe auch in der Lagunenstadt an der Adria: Eine Gondel liegt auf Grund eines Seitenkanals in Venedig am Montag 23. Februar 2023.
Ebbe auch in der Lagunenstadt an der Adria: Eine Gondel liegt auf Grund eines Seitenkanals in Venedig am Montag 23. Februar 2023.
Bild: KEYSTONE

Vier der grössten Flüsse Europas entspringen auch oder ganz in der Schweiz, drei der grössten Seen Europas teilt sie sich mit ihren Nachbarn: Nun stehen alte Abkommen über die Wassernutzung auf dem Prüfstand. 

Von Stefan Michel

26.3.2023

Die Schweiz ist das Wasserschloss Europas. Rhein und Rhone entspringen in den Schweizer Alpen, ebenso der Tessin, der den Po speist und der Inn, der in die Donau fliesst: Die grossen Schweizer Flüsse fliessen tatsächlich in alle vier Himmelsrichtungen – durch die vier grossen Nachbarländer.

In Italien geht die extreme Trockenheit ins zweite Jahr. Es stellt sich die Frage, ob die Schweiz einen Anteil daran hat, dass der Po, Lebensader der norditalienischen Landwirtschaft, austrocknet. 

Das Bundesamt für Umwelt liefert auf Anfrage von blue News einen einfachen Vergleich, der zeigt, wie viel Wasser aus der Schweiz den Po hinabfliesst: «Der Abfluss aus der Schweiz, dem Ausfluss aus dem Lago Maggiore bei Sesto Calende, beträgt circa zehn Prozent der Abflussmenge des Po in die Adria.»

90 Prozent des Wassers des Po stammt nicht aus der Schweiz

Das heisst, 90 Prozent des Wassers, das aus dem Po ins Meer fliesst, hat der Fluss südlich der Schweiz hinzugewonnen von weiteren Zuflüssen und durch Niederschlag. Allerdings hat eine Wissenschaftlerin des Schnee- und Lawinenforschungsinstituts SLF vor kurzem errechnet, dass die Schneemenge im Winter bis zu 40 Prozent der Wassermenge der in den Alpen entspringenden Flüsse ausmacht.

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Die Rhone führt an der schweizerisch-französischen Grenze immerhin 20 Prozent der Wassermenge, die sie mehrere hundert Kilometer weiter ins Mittelmeer entlässt. Der Inn, der in die Donau fliesst, trägt nur gerade ein Prozent zum Durchfluss an deren Mündung ins Schwarze Meer bei. Alle diese Werte beziehen sich auf den langjährigen Durchschnitt. 

Der niederschlagsarme Winter und die dünne Schneedecke in den Alpen deuten zurzeit darauf hin, dass sich die Trockenheit im Süden Europas weiter verschärfen wird.

Wichtiger als die Wassermenge in den Flüssen seien die grenznahen Seen, erklärt Carlo Scapozza, Leiter der Abteilung Hydrologie beim Bundesamt für Umwelt (Bafu). Der Lago Maggiore, dessen Wasseroberfläche zu 80 Prozent auf italienischem Boden liegt, ist für Norditalien ein wichtiges Wasserreservoir.

Lago Maggiore ist ein Reservoir Norditaliens

Wie viel Wasser aus dem Lago Maggiore austritt, wird beim Stauwehr in der Nähe des italienischen Sesto Calende geregelt. In der Konzession ist festgelegt, in welcher Bandbreite der Pegel des Lago Maggiore schwanken darf.  

Seit 2015 läuft laut Bafu ein Versuch, den Pegel des Langensees im Frühling hochzuhalten, als Reserve für Juli und August. «Damit diese angepasste Regulierung funktioniert, müssen allerdings im Winter ausreichende Schneevorräte angelegt werden und im Frühling Niederschläge fallen. Im letzten Jahr war dies nicht der Fall», so der Bafu-Vertreter weiter.

Im Sommer 2022 hatte der Generalsekretär der Behörde für das Einzugsgebiet des Po in einem Interview mit dem SRF an die Schweiz appelliert, sie solle Italien Wasser aus ihren Stauseen zuführen. Hier kollidiert der Bedarf der italienischen Landwirtschaft mit der Schweizer Stromreserve, für die möglichst volle Stauseen nötig sind.

Klar ist: Die Schweiz kann Italien helfen, einen Teil der Wasserreserve in den Hochsommer hinüberzuretten. Allerdings nur, wenn vorher genug Regen und Schnee gefallen ist.

Noch regelt die Schweiz die Abflussmenge des Genfersees

Sogar vollständig unter Schweizer Kontrolle steht der Pegel des Genfersees. Nachdem die Rhone den Lac Léman in Genf verlassen hat, weitet sie sich zum Strom, der in Frankreich landwirtschaftlich, als Verkehrsweg am meisten, aber auch für die Stromproduktion genutzt wird.

Frankreich hatte laut Bafu 1984 darauf verzichtet, sich an der Regulierung des Genfersees zu beteiligen. Inzwischen verhandelt das Land mit der Schweiz aber über ein Abkommen, das die Nutzung der Rhone in beiden Staaten regelt. Ein Teil davon soll die Regulierung bei Niedrig- und Hochwasser betreffen.