Triage im Inselspital Berner Chefarzt: «Wir rasseln in riesige Probleme»

Stefan Michel

9.12.2021

Aristomenis Exadaktylos, Chefarzt und Direktor Universitäres Notfallzentrum des Inselspitals, warnt vor «riesigen Problemen», wenn die Politik nicht entschieden handle. (Archivbild).
Aristomenis Exadaktylos, Chefarzt und Direktor Universitäres Notfallzentrum des Inselspitals, warnt vor «riesigen Problemen», wenn die Politik nicht entschieden handle. (Archivbild).
KEYSTONE / Peter Schneider

Schon jetzt müssen Operationen verschoben und Patienten in andere Spitäler verlegt werden – das sei nichts anderes als Triage, sagt Aristomenis Exadaktylos im Gespräch mit SRF.

Stefan Michel

«Die Schweizer Notfallstationen sind voll – übervoll», sagte Aristomenis Exadaktylos, Chefarzt des Notfallzentrums des Berner Inselspitals, im Interview mit SRF. 82 Prozent der Notfallbetten sind belegt, 31 Prozent mit Covid-Patienten (Stand 9. Dezember). Zugleich verlieren die Notfallstationen ausgebildetes Personal, weil viele diese andauernde Überlastung nicht mehr hinnehmen wollen.

Trotzdem macht er sich wegen den nahenden Feiertagen und der Skisaison keine Sorgen. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, damit meint er über 60 Prozent, habe das Bestmögliche getan, um sich zu schützen. Den Schneesportler*innen gibt er aber zu bedenken: «Wenn man sich schwer verletzt, ist die Versorgung nicht ganz so einfach wie in anderen Zeiten. Wir appellieren wie auch letztes Jahr: Wenn man Wintersport macht, dann mit Vernunft und Augenmass.» Das gelte auch für das Biken, Wandern und andere Wintersportarten.

«Es könnte länger dauern, bis Sie operiert werden.»

Mit «nicht so einfach» meint der Notfallmediziner, dass nicht alle im Spital ihrer Wahl behandelt werden können, vielleicht nicht einmal in einem Spital im Wohnkanton. «Es könnte länger dauern, bis Sie operiert werden, weil die Spezialisten nicht operieren können, weil zum Beispiel die Anschlussbetreuung auf einer Intensivstation nicht garantiert ist.» Das könne sich auch auf die Genesung auswirken, gibt er zu bedenken.

In normalen Zeiten wird ein Notfallpatient im Spital seiner Wahl operiert, sobald es aus medizinischer Sicht Zeit dafür ist. Das ist gemäss Exadaktylos nun nicht mehr gegeben. Die Spitalangestellten müssen nun entscheiden, für wen im eigenen Spital, in der eigenen Notaufnahme, Platz ist und wer verlegt werden muss. Und wer sofort operiert wird und wer erst später.

«Ja, wir machen eigentlich schon eine Triage», bestätigt er, «wenn nicht jeder ins Spital seiner Wahl kann, wenn nicht jeder sofort operiert werden kann aufgrund der massiven Engpässe, dann gibt es bereits eine Triage.»

Das Problem lässt sich nicht mit Geld lösen

Diese Situation könnte sich noch verschärfen. Nicht nur, weil die Spitaleintritte von Covid-Kranken weiter zunehmen und spätestens in den Weihnachtsferien mit Sicherheit auch mehr verunfallte Wintersportler*innen in die Notaufnahmen kommen. Exadaktylos betont, dass das Personal an seiner Belastungsgrenze angelangt sei. «Wir können Geld ausgeben für Apparate, aber unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nicht mehr können, die den Beruf wechseln, die können wir nicht ersetzen.»

Es brauche ein schnelles, radikales und mutiges Umdenken der Politik, um diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu halten, ist Exadaktylos überzeugt. «Sonst rasseln wir im Jahr 2022 in riesige Probleme – und die lassen sich dann nicht mit Geld lösen.»